Protestcamp installiert
Bürgerinitiative "Kein ICE-Werk bei Harrlach" verschärft Ton gegenüber der Bahn

"Notfalls ketten wir uns an die Bäume!"

19.09.2021 | Stand 23.09.2023, 20:52 Uhr
  −Foto: Leykamm

Harrlach - Es ist ein eher vernichtendes Bild, das die Bürgerinitiative (BI) "Kein ICE-Werk bei Harrlach" bei einem Protestcamp vom Geschäftsgebaren der Deutschen Bahn zeichnet.

Vor der Standortsuche für ein solches Ausbesserungswerk in der Region habe das Unternehmen eigene, in Frage kommende Flächen teuer verkauft - nur um sich jetzt billig beim Staatswald bedienen zu können. Und das bleibt nicht der einzige Vorwurf. Das Projekt soll das Gebiet treffen, in dem aufgrund geringer Einwohnerzahl mit wenig Aufschrei zu rechnen ist - so vermutet man es bei der Initiative.

Kleines gallisches Dorf bezieht Stellung im Camp

Sollte dies wirklich einer der Beweggründe sein, hat sich die DB allerdings gründlich verkalkuliert. Denn sie trifft auf den Widerstand eines Rother Ortsteils mit unter 150 Seelen, der sich als "das kleine gallische Dorf" entpuppt hat, wird am Campeingang Bezug genommen auf eine schon sprichwörtliche Unbeugsamkeit. "Etwas erschöpft sind wir schon", gibt Verena Masopust zwar zu. Aber der Entschlossenheit tut dies keinen Abbruch: "Wir sind wegen der Natur hierher umgezogen, aber nicht, um nun eines Tages in einem Industriegebiet aufzuwachen!"

Beim Marsch hin zum potenziellen Zentrum des Werks werden dessen Dimensionen deutlich. Harrlach drohe "von einem gigantischen Monsterbau überthront zu werden", so Petra Seitz vom Sprechertrio der Bürgerinitiative. Der Gebäudekomplex erreiche eine Höhe von bis zu 30 Metern, moniert Sprecherkollege Jürgen Amrhein. Einen halben Kilometer vor dem Ortsschild solle ein Werksgelände mit 144 Hektar aus dem Boden sprießen. Allein der Flächenbedarf für das Werk und die Anschlussgleise entspricht nach BI-Aussagen bis zu 45 Fußballfeldern. Täglich würden hier 25 Züge gewartet - unter Emissionen jeglicher Art. Bei einem Wasserverbrauch von 600000 Litern pro Tag. Dabei sei hier der Grundwasserspiegel nach der letzten Trockenheit bereits um eineinhalb Meter abgesunken. Durch den massiven Eingriff in die Natur (vor allem durch Rodungen) werde sich dieser Spiegel auch nicht mehr so schnell anheben können, gibt Masopust zu bedenken.

Derweil steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt tatsächlich vor Ort realisiert wird. Von einst neun möglichen Standorten sind nur noch drei im Rennen. Laut der BI und den Rednern ist keiner geeignet, die Bahn müsse neu planen. Wird stattdessen das Vorhaben in Harrlach umgesetzt, entstünde hier das zweitgrößte ICE-Werk nach Berlin.

Um es zu verhindern, wollen die Bewohner bis zum Äußersten gehen. "Wir haben uns vorgenommen, bis zum bitteren Ende zu kämpfen und uns notfalls an unsere Bäume zu ketten. Denn wir schützen, was wir lieben!" Bestätigt Seitz unter großem Beifall der rund 200 Protestierenden. Und die stehen Hand in Hand: Auch aus den beiden anderen Standorten, die sich im ehemaligen Munitionslager Feucht beziehungsweise südlich davon finden, wird Solidarität bei der Veranstaltung bekundet.

Gemeinsam erklingt der lautstarke Appell, der zugleich auf dem T-Shirt des Gründers der dortigen BI, Eckhard Schulz, zu lesen ist: "Wir sind hier, wir sind laut - weil die Bahn den Wald uns klaut!" Ein Vorwurf, den sie sich selbst zuzuschreiben habe. Denn laut ihrem eigenen Kriterienkatalog für die Standortwahl hätte Harrlach schon längst aus dem Rennen sein müssen.

Dass dem nicht so ist, zeuge von einem "absolut intransparenten Verfahren", beklagt eine der Protestierenden. Unter ihnen sind auch einige prominente Gastredner. Zuerst beschritt die eigens errichtete Waldbühne aus Strohballen und Brettergerüst Landtagsabgeordnete Verena Osgyan (Bündnis 90 / Die Grünen), die aus dem Zielkonflikt keinen Hehl machte.

"Es ist ein Unding, so ein Werk in den Wald bauen zu wollen."

Beim Umbau des Mobilitätssektors gelte es zwar die Bahn zu unterstützen, aber nicht um jeden Preis. "Und schon gar nicht bei einem Projekt, das aus der Zeit gefallen ist". Bisher habe das Unternehmen bei ähnlichen Vorhaben Industrie- und Brachflächen genutzt. Aus gutem Grund: "Es ist ein Unding, so ein Werk in den Wald bauen zu wollen." Dass sich der Protest dagegen lohne, habe der ursprünglich favorisierte Standort in Nürnberg Altenfurt/Fischbach gezeigt. Hier sei der Staatsforst nicht an die Bahn verkauft worden - nach einer Intervention des Ministerpräsidenten.

"Das hat einen Präzedenzfall geschaffen, an den wir uns dranhängen können", so die Abgeordnete. Sie deutete zudem an, dass die Bahn bereits einen Flächenkompromiss signalisiert habe. Hier sei auch der Staat in der Pflicht, habe der Bund doch Eigentümerkompetenz, ergänzte Parteikollege Klaus Peter Murawski, ehemaliger Staatsminister in Baden Württemberg. Und genau in jenem Bundesland "hätte es auch einen geeigneten Standort gegeben", führte er weiter aus. Wenn die Bahn denn ihrem ursprünglichen Suchkreis Süddeutschland treu geblieben wäre.

Es sei ein Fehler gewesen, sich vorschnell auf den Raum Nürnberg festzulegen, attestierte auch LBV-Geschäftsführer Helmut Beran. Er verwies auf ein Vogelschutzgebiet, das hier dran glauben müsste. Und damit wohl auch der seltene Ziegenmelker, der eigentlich das Zeug habe, zum "Charaktervogel" der Region zu werden. Er frage sich zudem, woher die Bahn denn die Ausgleichsfläche direkt im Anschluss an den Bannwald nehmen wolle, der wegen seiner außergewöhnlichen Bedeutung für Klima, Wasserhaushalt und Luftreinigung unter besonderem Schutz stehe.

Und deswegen eigentlich nicht angetastet werden darf, wie Hubert Weiger deutlich machte, Ehrenvorsitzender des Bundes Naturschutz. Falls das Vorhaben grünes Licht erhalte, "werden wir deswegen auch Rechtsmittel einlegen", kündigte er an. Zudem seien gleich mehrere Trinkwasserschutzgebiete betroffen, was eine Trinkwasserkrise heraufbeschwöre: "Da wird Widerstand zur Pflicht." Am Ende der Kundgebung sorgte ein Protestlied zur Melodie von "Heal the world" (Michael Jackson) dank lautstarker Kinderstimmen noch für einen Gänsehautmoment, bevor der Abend nach einem Lichterzug beim Lagerfeuer am Camp ausklang.

HK

Jürgen Leykamm