Eichstätt
Bühnenkunst vom Feinsten

Stefan Leonhardsberger begeisterte mit "Rauhnacht" im Alten Stadttheater

04.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:52 Uhr
Kongeniales Zusammenspiel: Martin Schmid (links) und Stefan Leonhardsberger −Foto: Buckl

Eichstätt (EK) Kein Zweifel: Mit "Rauhnacht" erreichten die Eichstätter Kabaretttage schon an ihrem dritten Abend einen Höhepunkt, der schwer zu überbieten sein dürfte: 300 Besucher mochten es gewesen sein, die am Samstag mit Stefan Leonhardsbergers "Kabarett-Thriller" im Alten Stadttheater Eichstätt (Asthe) einen absolut grandiosen Abend erlebten, der mit fast frenetischen Ovationen endete.

Und das zu Recht: Was der aus Österreich stammende Schauspieler und Sänger und sein kongenialer Musiker und Mitspieler Martin Schmid boten, war mimisch, musikalisch und dramaturgisch feinste Theaterkunst auf höchstem Niveau.

"Rauhnacht" ist weit mehr als bloßes Kabarett, es ist ein veritables Bühnendrama, und es ist trotz der "One-Man-Performance" - Schmid verharrt stoisch am linken Bühnenrand - auch mehr als ein großer Monolog. Denn Leonhardsberger schlüpft in fast ein Dutzend Rollen und findet in Schmid dabei immer wieder einen Dialog-Partner.

Dabei entfaltet Leonhardsberger eine exzeptionelle Bandbreite mimischer Möglichkeiten, kredenzt er ein Kaleidoskop an Charakteren, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten - von dumpfgeistigen You-Tube-Rappern bis hin zur senilen Oma, die sich als ebenso dement wie diabolisch erweist, von der vernachlässigten eitlen Gattin bis hin zum linkisch unbeholfenen Verehrer von der Tankstelle, vom herrischen zackigen Firmenchef und seiner zickigen Tochter über den servilen Vorarbeiter bis hin zum verzweifelten rustikalen Vater. Kunstvoll werden mehrere Handlungsstränge miteinander verflochten, erst am Schluss merkt man, dass die überraschende Auflösung des Thrillers im vorherigen Handlungsverlauf immer wieder angedeutet worden war.

Den roten Faden bildet das Verschwinden der 15-jährigen Nora Höllerbauer in der Neujahrsnacht, was ihren Vater Erich zunächst zu zornigen, dann zu flehentlichen Nachrichten auf ihrer Mailbox veranlasst. Indem sich der Höllerbauer auf die Suche nach Nora macht, wobei immer wieder der Furor den Vater packt, gerät er in die ihn umgebenden Handlungsstränge, die alle mit der Dynastie des tyrannischen Schottergruben-Tycoons Röbelreiterer ("ich dulde keine Arbeits-Pausen") zu tun haben.

Denn während der vom Schlaganfall gefällte Patriarch im Koma liegt, demolieren seine nichtsnutzigen Söhne Robert und Ronald den Steinschreibtisch und die Wackenmaschine. Jene Zwillinge, zu deren Silvester-Party Nora aufgebrochen war und sich an der Tankstelle Gas zum Schnüffeln besorgt hatte. Dies bei jenem Tankwart, der schon seit seiner Jugend in die Röbelreiterer-Gattin Brigitte verknallt war, bei der er jetzt seine Chance gekommen sieht, was deren Tochter Doris erzürnt, da sie im Gegensatz zu ihren Brüdern Parteigängerin des Vaters ist.

Zurück am Höllerbauerhof bleibt die Oma, festgeschnürt am "elektrischen Stuhl", mit dessen Fernbedienung sie Radiosender mit skurrilen Meldungen answitcht ("Skispringer Ry?y Kobayashi gilt seit seinem Rekord-Sprung noch immer als vermisst"), wenn sie nicht dunkel schwadronierend über die Gefahren der Rauhnacht raunt.

Das Stück ist reich an literarischen Anspielungen - etwa auf Edgar Allan Poes "Raben", der immer wieder diabolisch krächzt, oder auf Shakespeares "Hamlet" - heißt der Vertreter der Arbeiterschaft im Steinbruch doch ausgerechnet Polonius und wird auch noch gebeten, hinter dem Vorhang hervorzutreten. Nur wenige Songs werden diesmal zitiert - von Katja Ebstein, die Leonhardsberger bei der Performance des "Stern von Mykonos" perfekt imitiert, von Andreas Gabalier, Chris de Burgh oder David Bowies "Heroes".

Unglaublich, welch breite Percussion- und Geräusch-Kulisse Schmid mit seiner Gitarre synchron zu Leonhardsbergers Gestik hervorzaubert, vom blasenden Wind bis zu knarzenden Keller- und Autotüren, vom Tuckern des Traktors bis zum Ticken des Perpendikels, vom Schreddern des Wackenzertrümmerers bis hin zum Schließen des Reißverschlusses. Selbst ein Silvesterfeuerwerk gehört dazu - ein Soundtrack zur schwarzhumorigen One-Man-Show Leonhardsbergers, der gänzlich ohne Kostüme auskommt und weder Maske noch Requisiten benötigt, um seine Charaktere zu geben, die er mit leitmotivischen Sätzen oder Gesten klar verkörpert. Allein ein Stuhl ist nötig, der zum Traktor, zur Liege oder zum Elektromöbel der Oma mutiert. Zu erleben war ein fantastischer Theaterabend, ein Fest der Fiktion, Bühnenkunst vom Feinsten.

Walter Buckl