Ingolstadt
Brahms-Tänze als Wettrennen

01.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:57 Uhr

Elektrisierende Töne: Der russische Geiger Maxim Vengerov - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Vielleicht hätte es eine Sternstunde werden können: Maxim Vengerov, für viele der beste Geiger der Welt, reist nach Ingolstadt, um zusammen mit dem Georgischen Kammerorchester ein Konzert zu geben. Aber es kam ganz anders.

Der grandiose Geiger war hauptsächlich als Unicef-Botschafter in der Donaustadt und weniger als Solist. Er hielt eine kurze Rede im Festsaal, dankte den Ingolstädtern für ihre Großzügigkeit und nahm einen Scheck von über 455 000 Euro für Legmoin in Bukina Faso entgegen. Danach spielte er wenige Minuten. Drei kurze, unspektakuläre Stücke. Das war alles.

Wirklich überwältigend gelang nur die „Méditation“ aus der Oper „Thais“ von Jules Massenet, berühmte Virtuosenkost fast aller großer Geiger. Vengerovs glühend intensiv strömender Ton verzauberte den Festsaal. Wie er das Vibrato variierte, wie er bei Höhepunkten überraschend wieder ins Piano zurückwich, als wollte er das Publikum täuschen, wie er ganz plötzlich über die Saiten fetzte – das hatte große Klasse. Die Georgier hatten dabei kaum mehr zu tun, als die elektrisierenden Töne in sanfte Begleitharmonien zu betten. Dann allerdings standen die etwas anspruchsvolleren Ungarischen Tänze von Johannes Brahms auf dem Programm. Und plötzlich geriet alles aus dem Gleichgewicht. Denn der russische Geiger und das Georgische Kammerorchester veranstalteten eine Art Wettrennen, bei dem Vengerov grundsätzlich immer der Sieger blieb. Er war schneller, das Orchester trabte ächzend hinterher, versuchte den manchmal tollkühnen Wendungen und überraschenden Tempowechseln des Geigers zu folgen. Glücklos und unbeholfen.

Damit war der Auftritt des Weltstars schon beendet, und es begann nach der Pause der graue Alltag für die Georgier. Offenbar als Reverenz an die von Ingolstadt und Grass geförderte afrikanische Stadt Legmoin hatte Dirigent Lavard Skou Larsen ein Stück des zeitgenössischen südafrikanischen Komponisten Kevin Volans aufs Programm gesetzt. In „White Man Sleeps“ werden Motive der afrikanischen Volksmusik in westlicher Weise verarbeitet, neu rhythmisiert, mit klassischen musikalischen Strukturen in Verbindung gebracht. Die drei Sätze erinnern stark an die Minimal Music eines Philip Glass, sind allerdings weniger raffiniert ausgearbeitet. Vielleicht hätte der Komponist einen anderen Titel wählen sollen: Aber die monotone Spielweise des Georgischen Kammerorchesters und die ständigen Wiederholungen – mancher Besucher konnte da das Gähnen kaum unterdrücken. Etwas eintönig kam auch das folgende Stück daher, „Violoncelles, Vibréz!“. Der italienische Komponist Giovanni Sollima hatte offenbar versucht, eine Art modernes Concerto grosso für zwei Celli und Streichorchester zu schreiben. Dabei mündet ein schwärmerischer Anfangsteil voller schluchzender Vorhalte in einen schnellen, an Vivaldi erinnernden Mittelteil mit stürmischen Repetitionen. Die beiden Cellistin allerdings, Ofer Canetti und Milan Vrsajkov, ließen es in ihrem Spiel an Intensität und Draufgängertum fehlen.

Als Schlusspunkt dann Mozart, ein Komponist, der bekanntlich dem Chefdirigenten des Orchesters, Lavard Skou Larsen, besonders liegt. Da überraschte es kaum, dass die 28. Sinfonie zum Höhepunkt des zweiten Konzertabschnitts geriet. Energiegeladen, kraftvoll, mit schnellen Tempi setzten die Georgier sehr bewusst unterschiedliche Motivteile in starkem Kontrast gegeneinander und erzeugten so einen spannungsgeladenen Ablauf – zwischen kantablem Hauptthema im zweiten Satz etwa und ruppigen Ausbrüchen im Schlusssatz. Ein Mozart, der Spaß machte. Mehr Spaß jedenfalls, als fast der gesamte sonstige Abend. Freundlicher Beifall im spärlich besetzten Ingolstädter Festsaal.