Blondierte Integration

19.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:55 Uhr |

"Hallo? Spricht da Thilo? Thilo Sarrazin” – der Theaterjugendclub des Staatsschauspiels, vorne Magnus Bauer. - Foto: Dashuber

München (DK) Das Stück ist freilich schon etwas angegraut – der Vorarlberger Dramaturg und Autor Robert Schneider ("Schlafes Bruder") schrieb den Monolog "Dreck" im Jahr 1993, und damals hatte es seine Brisanz, wenn ein hochkultivierter Blumenverkäufer seine illegale Existenz – darf es solch einen Begriff geben? – voller Selbsthass in den Augen des satten, ungerechten deutschen Bürgers spiegelt. Der Text wird seither gerne inszeniert, nach Verlagsangaben schon mehr als neunzigfach.

Der Monolog ist offensichtlich das, was einem Schauspielmacher zuerst einfällt, wenn mal was zum Thema "Integration" auf den Spielplan soll - und das ist jetzt, nach der von Thilo Sarrazin losgetretenen Diskussion natürlich wieder fällig.

Am vergangenen Donnerstag hatte "Dreck" nun am Staatsschauspiel Premiere als eine Produktion mit "jungen Münchnern" in der Inszenierung der hauseigenen Jungregisseurin Manuela Kücükdag. Diese hat sichtbar hart gearbeitet mit den Jugendlichen des Residenztheater-Theaterclubs und aus ihnen ein engagiertes, intelligent agierendes und sehr vorzeigbares Ensemble geformt.

Auf den ersten Blick sind es acht wasserstoffblondierte Klone beiderlei Geschlechtes, die sich die Bühne im Marstall zu Eigen machen wie Schauspieler beim "Sich-Aufwärmen". Die Regisseurin improvisiert leichter Hand eine rasante Orgie mit weißen Koffern, die manisch verteilt, gestapelt, herumgeschleppt und als provisorische Möbel umfunktionalisiert werden (Ausstattung: Ioanna Pantazopoulou). Denn das Leben auf der Reise, die Verweigerung der erdenden Wurzel ist es ja, die Rosenverkäufer Sad umtreibt.

Dieser, der seinen Name nicht im Sinne der englischen Wortbedeutung interpretiert sehen will, ist ein Irak-Flüchtling unbestimmten Alters und zieht Rosen verkaufend und die Resonanz auf seine Person einsammelnd durch eine Stadt, die nicht die seine sein soll.

Intelligent erfasst und spiegelt er die Spielarten der Xenophobie und gibt jenen inbrünstig recht, die Existenzen wie die seine als Abschaum, Bodensatz – eben als "Dreck"! – abwerten. Er steht im unlösbaren Dilemma seines "Anders-Seins". Selbst vor Scham zu erröten hilft nichts, "Das heißt: Noch dunkler im Gesicht werden", resümiert er. So wird es zu seinem eigentlichen Daseinszweck, zu stören – und sich dafür zu entschuldigen.

Dass der plakative, handlungs- und entwicklungsarme Monolog aufgeteilt wird unter den acht jungen Schauspielern, tut ihm sehr gut, der Text wird zerrieben, gedoppelt, gemurmelt und zerstoßen – ein wenig sanftes Vorgehen, das ihn allerdings wirkungsvoll entschlackt und verjüngt. Die jungen Schauspieler sind selbstbewusst, individuell, und wissen, was sie tun. Fernab vom Laienspiel sind hier offensichtlich acht Überzeugungstäter unterwegs, die gleichermaßen bereit sind, sich dem Ensemblespiel unterzuordnen wie ihre Solo-Chance perfekt auf den Punkt zu bringen. So gelingt ihnen in kürzester Zeit den Zustand der Verwechselbarkeit zu besiegen, obwohl sie alle jung, blond und schwarz gekleidet sind. "Sad ist überall!" heißt es zu Ende des Stückes – "Sad sind viele" könnte es für diese Produktion heißen und jeder dieser vielen Sads ist richtig gut.

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