Schrobenhausen - Ein wesentliches Kapitel der deutschen Geschichte für junge Menschen erlebbar machen und für diejenigen, die dabei waren, wieder aufleben lassen - das ist eine Intention der Ausstellung "1989 - 1995 Der Weg zur Wiedervereinigung", die derzeit in der Maria-Ward-Realschule in Schrobenhausen zu sehen ist.
Sie zeigt Arbeiten des Fotografen Daniel Biskup, der die großen Politiker der vergangenen Jahrzehnte von Gorbatschow bis Obama ebenso porträtiert hat, wie Päpste, Spitzensportler und Schauspielgrößen.
Als die Mauer fiel, war Daniel Biskup Student der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkskunde in Augsburg. Er zögerte nicht, ließ die Uni Uni sein und machte sich auf den Weg nach Berlin, denn dort "schlug Geschichte gerade ein wie Meteoriten", erzählt er im Vorfeld der Ausstellung. Er hat alles richtig gemacht, denn so entstanden Fotografien, die heute die Stimmung dieser Tage wiedergeben, mit den Demonstrationen, Grenzüberschreitungen, den historischen Auftritten der Politikprotagonisten von damals. Das Thema ließ ihn nicht mehr los.
So hielt Daniel Biskup mit seiner Kamera auch die Entwicklung der kommenden Jahre in Bildern fest und dokumentierte vieles für die nachfolgenden Generationen. Da ist es ein Glücksfall, dass sich aus einer persönlichen Bekanntschaft zwischen Biskup und dem Konrektor der Maria-Ward-Realschule Schrobenhausen, Frank Puschner, die Idee entspann, die Bilder im Schulgebäude der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wo könnte eine Ausstellung, die die Intention hat, Geschichte lebendig in Erinnerung zu halten, besser aufgehoben sein, als in einer Schule? Puschner berichtet: "Die Schülerinnen haben von selbst Fragen gestellt - das ist doch genau das, was wir erreichen wollen. " So werden nun Besucher im Eingangsfoyer des Schulgebäudes in der Schrobenhausener Innenstadt von dem Porträt des jungen Daniel Biskup begrüßt. Rechts und links daneben stehen auf Staffeleien zwei Bilder, die die Ambivalenz der damaligen Zeit widerspiegeln. Da sind zum einen unzählbar viele, feiernde Menschen unter dem Brandenburger Tor in der Silvesternacht zum Jahr 1990, aufgenommen aus dem Osten.
Auf der anderen Fotografie fällt der Blick vorbei an Müll und Resten der Berliner Mauer von Westen her auf den Reichstag. Das ist die Kunst, die Daniel Biskup beherrscht: Lebendige Szenen, die sich quasi aufdrängen ebenso authentisch einzufangen wie stille Momente, die von besonderen Blickwinkeln und Lichteinfall geprägt sind, die Details entdecken lassen, wenn man sich die Zeit dafür nimmt und die eine fast spürbare Nähe ermöglichen. Diese Unterschiede repräsentieren den Gesamttenor der Ausstellung, die sich vom Foyer weiter durch das Gebäude erstreckt über den langen Flur bis in die moderne Aula und von dort in den altehrwürdigen Konzertsaal.
In 104 Bildern ist zu sehen, wie auf dem Alexanderplatz demonstriert wurde, wie Menschen auf der Mauer tanzten, Politiker Reden hielten, aber auch, wie die Wirklichkeit in der DDR war von baufälligen Häusern, von Hoffnungen auf eine bessere Lebenssituation, von Unzufriedenheit und Enttäuschung in den Jahren nach der Wiedervereinigung.
Vor allem die Porträts zeigen genau dies: Die Freude über den neuen Pass oder die Sorgen angesichts einer Zukunft, die man sich anders erträumt hatte, sind auf ewig in diese Gesichter geschrieben. So sagt der in Ost und West bekannte Schauspieler Winfried Glatzeder, der gemeinsam mit Biskup die Schrobenhausener Ausstellung eröffnete: "Ich glaube, die wenigstens wollten einen neuen Versuch eines sozialistischen Staates, sie wollten einfach in Ruhe gelassen werden - sie wollten aber auch keinen Kapitalismus, sie träumten vom Paradies. " So ist der Schauspieler überzeugt: "Es wird kein Glück für alle geben. " Biskup sieht das differenziert. Er meint, grundsätzlich könne man froh sein, in Deutschland zu leben. Bei der Teilung Deutschlands habe man einfach Glück gehabt, wenn man Westdeutscher war. So müsste einfach mehr auf die Probleme in Ostdeutschland geschaut werden.
Die Ausstellung visualisiert die Freude über den Mauerfall ebenso wie manche Enttäuschungen danach. Bei der Vernissage etwa blieb Staatssekretär Roland Weigert (FW) vor einem Porträt von Willy Brandt stehen und meinte: "Es ist vielen gar nicht mehr bewusst, was dieser Mann für die Wiedervereinigung geleistet hat. "
So wie Weigert geht es vielen der ersten Besucher: Jeder, der alt genug ist, scheint eine persönliche Erinnerung mit dieser Zeit zu verbinden, die durch die Bilder geweckt wird: Wo war ich? Wie habe ich den Mauerfall erlebt? Was haben mir Menschen erzählt, die aus Thüringen, Sachsen oder Ostberlin kommen? Die Fotografien ermöglichen es, einzutauchen in die Zeit der Wende und in die ostdeutschen Lebensumstände: "Wir wechseln 100.- Ost gegen 10.-West" heißt es zum Beispiel auf einem Plakat und man denkt an die Mark, die leicht war wie Spielgeld aus dem Kinderkaufladen. Oder die Frau mittleren Alters, der die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben ist: "Ossi - Bürger 2. Klasse? "
Dabei hilft Daniel Biskup allen Besuchern quasi persönlich auf die Sprünge, denn die Ausstellung in der Realschule bietet ein besonderes Plus: Mittels QR-Code kann sich der Betrachter im Originalton anhören, was der Fotojournalist zu dem jeweiligen Bild zu sagen hat: Wann er es fotografiert hat, wo genau das war, was zu sehen ist, warum er dieses Motiv gewählt hat. Das liefert die Möglichkeit, Geschichte zu erleben, äußerst nahe Eindrücke zu gewinnen und Perspektiven zu entdecken, die mit dem Abstand von inzwischen 30 Jahren Wiedervereinigung einmalig und historisch bedeutsam sind. Der ausgestellte Trabbi, in den die Besucher sogar einsteigen dürfen und das Bild eines großen Schrotthaufens aus ausgedienten "Plastebombern" an der Wand dahinter versinnbildlichen vieles davon.
DK
Die Ausstellung in der Maria-Ward-Realschule ist bis 30. Oktober montags bis donnerstags von 16.30 bis 19 Uhr, freitags von 14 bis 16 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 14 Uhr geöffnet.
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