Ingolstadt
Bier formte diesen Körper

Im Ingolstädter Bauerngerätemuseum zeigen Gabriele und Thomas Neumaier Arbeiten "Rund um den Bierbauch"

08.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:59 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Allen Bierbauchträgern zum Trost: Ihr Ranzen ist vielleicht auch nicht ungesünder als das Sixpack. So bierig neudeutsch heißt der Waschbrettbauch, und der kann, das erfährt man im kleinen Katalog dieser originellen Schau, zu gestörter Körperwahrnehmung, zu Sucht(!)verhalten, zu anorexieähnlichen Begleiterscheinungen führen. "Anorexia nervosa reversa" heißt diese konträr zur Rundkugel verlaufende Form zeitgenössischer männlicher Körpermodellierung denn auch nicht von ungefähr. Dann doch lieber Bierbauch (der übrigens meistens von zu viel Essen kommt), denn der ist wenigstens gemütlich.

Gemütlich? Von wegen! Skihügel ist er, abgestecktes Areal für Bau(ch)arbeiter oder Kletterberg für Gipfelstürmer. Als all das inszeniert Gabriele Neumaier das "Stehfett", wie Mediziner diese Form der Adipositas nennen, für die gemeinsam mit Thomas Neumaier gestaltete Ausstellung "Rund um den Bierbauch" im Bauerngerätemuseum Hundszell. Ihre Modelle für die cartoonesken Fotografien: Zwei befreundete Bierbauchträger - denn intim sind die Fotoarbeiten am nackten Bauch, Fremden wollte Neumaier sie nicht zumuten. Ihre Accessoires: Winzige "h0"-Figuren aus dem Modelleisenbahnbau, die, so notiert der Gast von Bild zu Bild staunender, in unglaublicher Vielfalt existieren - vom Bauarbeiter mit Presslufthammer über den Filmregisseur bis hin zur blumenbewehrten Witwe. Ihr Resultat: pointierte, so narrative wie ironische Szenerien, die im Verein mit Thomas Neumaiers Objekten mit (und im Internet bestellbaren!) Bierbauchattrappen leichtfüßig und kritisch den landesweiten Hype der Bierseligkeit ums Reinheitsgebot konterkarieren.

Von dem war das Künstlerpaar regelrecht genervt ("man kann es ja schon nicht mehr hören!"); da kam es recht, dass auch die Leiterin des Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt, Marion Ruisinger, über einen Beitrag ihres Hauses zum Bierjahr grübelnd, den nicht bedienen wollte. Gemeinsam ertüftelte man ("im Biergarten!") das Konzept für die Schau - es ist die erste gemeinsame von Bauerngeräte- und Medizinhistorischem Museum. Bier kritisch, aber wie? Eine Ausstellung zu Rausch, Leberzirrhose, Maßkrugverletzungen? "Aber wir wollten nicht pädagogisch und lustfeindlich sein", sagt Marion Ruisinger. Und auch "das Bier nicht so bierernst nehmen, wie es die Bierfeierlichkeiten tun", ergänzt Thomas Neumaier. Im Bauch fand man schließlich die "Schnittstelle zwischen Bier und Körper" - und die zwischen Ernst und Heiterkeit, Lust und Frust des Themas.

Heiter, auf eine schöne, freche Weise, sind in der Tat Gabriele Neumaiers Szenerien, diese Bilder vom Bohren nach Bier (statt Öl kommt Blut!) auf dem haarigen Männerbauch. Von Jagdszenen mit Jäger, Reh und Kitz, für das ein Gemälde aus dem städtischen Depot den oberbayerischen Bauchhintergrund lieferte, oder vom einsamen Schnitter im faltigen Fettgebirge. Und ernst, weil wissenschaftlich, sind die Veranstaltungen, die das Rahmenprogramm in petto hat. Um die Frage "Was macht das Bier mit dem Körper", gestellt und beantwortet von einem Medizinprofessor, geht es etwa schon im ersten Vortag.

Ernst und heiter in sich vereinen schließlich Thomas Neumaiers Objekte in der Schau, schmuddelige, aus Schaufensterpuppen und Bierbauchattrappen hingepuzzelte Figuren. Zu Tode gesoffen hat sich bekanntlich der Künstler Martin Kippenberger: Eine Gestalt in schmutzigem Mantel vor einem erschlafft herabgesunkenen Pinsel erzählt davon. Ingolstadts Bierbrunnen, demnächst vor der Hohen Schule realisiert und in Künstlerkreisen keineswegs als Kulturhighlight goutiert: Eine Fotografie von Neumaier, mit einem aufblasbaren Fettanzug an realer Stelle angetreten, demonstriert, wie ein "mobiler Bierbrunnen" aussehen könnte. Und auch einen neuen Aspekt des Reinheitsgebots findet der Künstler: Eine Fotoserie zeigt ihn wild Persil in sich hineinschaufelnd - und erinnert an die Zeiten, in denen man alles für einen "Persilschein" tat. Dass all das im erstmals bespielten neuen Ausstellungsraum des Museums, dem renovierten Kuhstall mit seinen originalen Viehtrögen, Stützpfeilern und Gewölbedecken passiert, macht die Sache nur noch um so schräger.

Aber auch im Rest des Hauses kann man Bier und Kunst genießen: Dort sind seit März unter dem Motto "Eingschenkt is!" unter anderem eine Bierkrug- und Bierkrugdeckelsammlung sowie ebenfalls keineswegs bierernste Bilder und Holzfiguren von Matthias Schlüter und Helmut Wolf zu sehen.