Bezahlen mit Daten: "Man muss die Leute wachrütteln"

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03.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:51 Uhr

Her mit den Daten: Immer mehr Internetunternehmen bieten Gratis-Dienste an – am Ende zahlt der Nutzer dafür mit seinen Daten. Laut den Verbraucherschützern ist vor allem die Zusammenführung vieler verschiedener Daten gefährlich - Foto: thinkstock

Das "Bezahlen mit Daten" im Internet ist Routine geworden. Die Verbraucherschützer Sabine Petri und Christian Bala erklären die Gefahren im Interview mit Sebastian Oppenheimer.

Im Februar gab es in Hamburg ein Kunstprojekt, bei dem Menschen Milch und Brot mit Facebook-Daten bezahlen konnten. Sieht so unsere Zukunft aus?

Sabine Petri: Ich habe von etwas Ähnlichem gelesen: Von einem Unternehmen, bei dem Nutzer Punkte für jeden Datensatz bekommen, den sie preisgeben – also etwa Name, Adresse, Interessen, Urlaubsziele, Lieblingsprodukte. Die Punkte sind im Prinzip Geldwerte und lassen sich am Ende gegen Produkte einlösen, ähnlich wie beim Prinzip Payback. Ich halte so etwas für alles andere als unrealistisch.

 

Ist das nicht beängstigend?

Petri: Das Problem ist, dass die Leute zu wenig darüber informiert sind, was sie da tun – und welches Ausmaß das hat. Wenn die Verbraucher wirklich wüssten, welchen Wert ihre Daten darstellen, und was damit in der Folge passiert, wäre das wohl etwas anderes.

 

Wie viel sind die persönlichen Daten denn wert?

Christian Bala: Das ist das Problem. Wie wollen Sie den Wert der Daten bemessen? Wie wollen Sie den Wert der Privatsphäre bemessen? Man könnte beispielsweise den Kaufpreis von Facebook für Whatsapp auf den einzelnen Nutzer herunterrechnen – das wären dann etwa 27 US-Dollar an Datenwert. Aber ist es das wirklich? Die rein materiellen Folgen für die Verbraucher können weitreichender sein. Einzelne Banken in Großbritannien machen ihre Kreditvergaben davon abhängig, wie viele Facebook-Freunde man hat. Und in Call-Centern ist es heute schon üblich, Kunden besser zu bedienen, bei denen die bisher erhobenen Daten eine hohe Nachfrage und Kaufkraft versprechen.

Petri: Im Grunde belohnt man sie also im Gegensatz zu den Menschen, die sich nicht im Internet abbilden und sich eben auch nicht so leicht manipulieren lassen.

 

Welche Daten sind für Unternehmen am wertvollsten?

Petri: Die einzelnen Daten sind nicht einmal so wertvoll. Wirklich wertvoll werden sie erst, wenn sie zusammengeführt werden. Ein Beispiel: Wenn jemand weiß, wann ich mein Geld aufs Konto bekomme und entsprechend liquide bin, dann kann er zu diesem Zeitpunkt intensiv die Tasche, die Schuhe oder den Fernseher bewerben, die ich mir schon seit drei Wochen im Internet anschaue.

 

Ist man nicht naiv, wenn man sich eine kostenlose App herunterlädt und tatsächlich glaubt, man bekommt diese ohne Gegenleistung?

Bala: Ich würde sagen: Nein. Nehmen Sie ältere Leute oder Menschen, die sich einfach nicht mit dieser Technik auseinandersetzen. Die können das nicht einschätzen und sind teilweise auch überfordert.

Petri: Man muss sich immer wieder vor Augen halten: Im Internet ist nichts umsonst; bei einem kostenlosen Angebot zahle ich im Zweifel immer mit meinen persönlichen Daten.

 

Fühlen Sie beide sich im Internet überwacht?

Bala: Das ist keine Frage des Gefühls. Wir wissen es ja mittlerweile. Wir werden durch Unternehmen und staatliche Stellen überwacht. Die Frage ist: Wie geht man damit um?

 

Wissen die Leute nicht, was sie tun, oder ist es ihnen egal?

Petri: Es ist eine Mischung aus beidem. Tatsächlich gibt es häufig die Aussage: „Ist mir doch egal – ich habe doch nichts zu verbergen.“ Aber dann muss ich mich auch fragen: Warum mache ich nicht zu jedem Ereignis in meinem Leben einen öffentlichen Aushang? Weil es wohl doch ein Gespür für Vertraulichkeit und Privatheit gibt, das im Internet aber verloren gegangen ist.

Bala: Oft reicht schon ein kleiner finanzieller Anreiz, um Personen dazu zu bewegen, ihre Daten preiszugeben. Im Internet gibt es dazu ein schönes Video einer Computerzeitschrift. Die haben sich in einer Fußgängerzone als Angestellte eines Gesundheitsinstituts ausgegeben und den Leuten Rückerstattungen von der Krankenkasse angeboten, wenn sie bereit wären, einen Fragebogen zu ihren Krankheiten auszufüllen. Viele Leute waren dazu bereit.

 

Kann man überhaupt erfahren, was Unternehmen wie Facebook mit meinen Daten machen?

Petri: Wenn ein Unternehmen wie Facebook behauptet: „Wir geben die Daten nicht raus“ – dann mag das teils sogar stimmen. Denn heute gibt man die Daten weniger aus dem Unternehmen heraus, man holt sich die Werbekunden auf die eigene Plattform und stellt ihnen hier die Kundendaten zur Verfügung. Nur: Wenn sie die Daten innerhalb des Unternehmens für Werbung von Dritten nutzen, dann ist es am Ende für den Nutzer dasselbe. Der normale Verbraucher hat aber überhaupt keine Chance, das alles zu durchblicken.

Bala: Es gibt ein Unternehmen namens Datacoup, das Nutzern acht Dollar pro Monat dafür zahlt, dass sie der Firma Zugang zu ihren Facebook- und Twitter-Account-Daten und Kreditkartenabrechnungen gewähren. Daraus werden anonymisierte Profile erstellt und weiterverkauft. In welcher Form das geschieht und welche Gewinne die da rausholen, verraten die natürlich nicht.

 

In Einkaufszentren muss es in der Regel gekennzeichnet sein, wenn ich von einer Überwachungskamera gefilmt werde. Aber müsste mir Amazon nicht auch sagen, dass nicht nur jeder Kauf, sondern mein kompletter Besuch Mausklick für Mausklick registriert wird?

Petri: Eigentlich schon – aber da kommen wir zum nächsten Problem: Viele Unternehmen haben ihren Sitz nicht in Deutschland oder Europa. Deswegen müssen sie sich auch nicht am jeweiligen Datenschutzrecht messen lassen. Deshalb gibt es da bisher wenig Handhabe, umso wichtiger ist die hoffentlich bald zu erwartende Regelung auf EU-Ebene.

 

Kann man die Hoheit über preisgegebene Daten überhaupt wieder zurückgewinnen?

Petri: Ich glaube nicht, dass man seine Daten zurückholen kann. Das geht in der Praxis einfach nicht. Aber es ist nie zu spät, um umzudenken. Ab dem Moment, wo man sich entscheidet, weniger von sich preiszugeben, ist man weniger gläsern und so auch weniger manipulierbar. Wichtig ist auch, Kindern vorzuleben, sensibel mit Daten umzugehen.

 

Was kann man gegen die Datensammelwut tun?

Petri: Nehmen wir als Beispiel Kundenkarten wie Payback: Es wäre völlig weltfremd, den Leuten verbieten zu wollen, dass sie so etwas nutzen. Ich glaube, das Wichtige ist, dass man seinen Alltag nicht eins zu eins abbildet. Man sollte nicht überall mit derselben Rabattkarte bezahlen, denn so entsteht ein virtuelles Double. Für die Internetnutzung gilt das Gleiche: Auch hier sollte man nicht einseitig sein. Man sollte unterschiedliche Suchmaschinen nutzen und verschiedene soziale Netzwerke. Und man sollte sich eben nicht von jedem kleinsten finanziellen Anreiz locken lassen.

 

Sollten Unternehmen per Gesetz gezwungen werden, offenzulegen, wie sie Daten auswerten und nutzen?

Petri: Ich weiß nicht, ob die Forderung nach der Offenlegung aller Rechenmechanismen und Algorithmen nicht naiv ist. Die Unternehmen haben ein berechtigtes Interesse, ihre Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Es geht darum, die Leute wachzurütteln und ihnen klarzumachen, was sie selbst tun können, um sich zu schützen.

Bala: Ich denke, die Forderung nach Transparenz ist ethisch korrekt. Das Problem ist aber nicht nur die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses, das Problem ist auch die Kapazität der Verbraucher. Wollen sie das wirklich jedes Mal abnicken, wenn ein Datenstrom übertragen wird? Da kommen sie zu nichts mehr. Die Forderung muss sein, weniger Daten zu erheben. Nur die, die auch wirklich gebraucht werden.

 

Dann könnte man ja für Unternehmen eine ähnliche Kennzeichnung in Sachen Datenverbrauch einführen, wie es sie bei Kühlschränken für die Energieeffizienz gibt.

Bala: Das wäre eine Möglichkeit. Oder einen An-Aus-Schalter für die Datenübertragung einzubauen. Die Privatsphäre müsste bereits ins technologische Design integriert sein. Es braucht Ausstiegsmöglichkeiten und der Datenschutz sollte bei Produkten und Diensten auf dem höchsten Niveau voreingestellt sein.