Pfaffenhofen
Besser steuern und selbst dran verdienen

10H ist nur eine von mehreren Hürden, die geregelten Ausbau der Windenergie verlangsamen

19.01.2022 | Stand 22.09.2023, 23:19 Uhr
Der Windrad-Kapitän: Die Bürgerenergiegenossenschaft um Andreas Herschmann (hier auf der Anlage im Lustholz) treibt den Umstieg auf erneuerbare Energien im Landkreis voran. Damit das Vorhaben im Sinne der neuen Bundesregierung schneller vorangehen kann, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. −Foto: PK-Archiv

Pfaffenhofen - Geht es nach der neuen Bundesregierung, steht Deutschland vor einem Aufbruch in Energiefragen. Die Ampel-Koalition hat sich den Ausbau der erneuerbaren Energien auf die Fahne geschrieben. Mit der Klimaneutralität kann es laut Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) aber nur klappen, wenn unter anderem die in Bayern seit 2014 geltende 10H-Regel fällt, die den Bau neuer Anlagen so gut wie unmöglich macht.

Große Lust auf die Pläneder neuen Bundesregierung

Die Formulierungen im Koalitionsvertrag haben Andreas Herschmann und Markus Käser von der Bürgerenergiegenossenschaft Pfaffenhofen "mit großer Lust gelesen", wie es Käser formuliert. "Da sind viele neue Töne drin", ergänzt Herschmann. "Genau so, wie wir uns das gewünscht haben." Käser und Herschmann sind beide auch SPD-Politiker. Der Landkreis Pfaffenhofen ist eine der wenigen Gegenden im Freistaat, in denen sich Akteure gegen die politisch verordnete Windradflaute zu wehren versuchen. Der Bürgerwindpark mit drei Anlagen im Förnbacher Forst steht nach jahrelangem Heckmeck kurz vor dem Bau. Aber auch Gerolsbach und Hohenwart haben große Pläne entweder schon umgesetzt oder vor der Brust.

Auf dem Weg zur angepeilten Klimaneutralität müssen laut Herschmann diverse Hürden zügig abgebaut werden. "Dass sich Artenschutz und Klimaschutz gegenseitig im Weg stehen, ist eines der Hauptprobleme", sagt Käser. Herschmann wünscht sich daher am Landratsamt eine koordinierende Stelle, an der die Anliegen der Unteren Naturschutzbehörde, der Immissionsschutzbehörde und des Kreisbauamts auf kurzem Weg und ganz direkt untereinander abgestimmt werden. "Endlich kein Behörden-Pingpong mehr", wünscht sich Käser. Und außerdem eine klare zeitliche Vorgabe, innerhalb der die Verfahren abgeschlossen sein müssen. "Das würde vieles beschleunigen", meint er. Außerdem sollte die Kommune das Baurechtsverfahren zwar anstoßen, sich dann aber daraus zurückziehen können. "Eine Stelle, an der alles abgearbeitet wird, das reicht doch", findet Herschmann. Es sollte das Landratsamt sein.

Der bestehende Teilflächennutzungsplan sei ein Glücksfall für den Landkreis, fügt Käser an. Großkonzerne, die rund um Pfaffenhofen Anlagen bauen und das dabei erwirtschaftete Geld aus der Region abziehen, könnten durch ihn in Zaum gehalten werden. "Die lokale Wertschöpfung ist uns ganz wichtig", sagt Herschmann. "Das Geld soll im Landkreis bleiben. Und wir wollen die Verfahren selbst steuern können."

Der entscheidende Punkt, um die Zahl der Windkraftanlagen sinnvoll erhöhen zu können, sei die von der neuen Regierung angedachte Eingruppierung der erneuerbaren Energien als "Anlagen von vorrangigem öffentlichem Interesse". Denn damit treten sie ganz konkret beispielsweise nicht länger hinter die Interessen des Manchinger Flughafens zurück. Ändere sich diese Rahmenbedingung, könne man in Zukunft zumindest darüber reden, was in einem Fall wichtiger sei: "die Flughöhe, eine Eidechse oder das Windrad", bringt es Käser auf den Punkt.

Zusätzlich gebe es weitere offene Punkte. Zu Energy-Sharing oder Mieterstrom zum Beispiel. Oder auch die Frage, wie ein sinnvoller Mix aus Sonnen- und Windenergie gepaart mit weiteren erneuerbaren Zukunftstechnologien entstehen kann. Wenn er sich das alles so durchrechne, sagt der Physiker Herschmann, könne auf den angedachten Flächen viel erreicht werden. "Wenn alle mitziehen, ist die Energiewende keine Utopie."

Auf ein Wort: 30 Sekundenmit Robert Habeck

Habeck trifft sich in seiner Eigenschaft als Bundesminister für Wirtschaft und Energie am Donnerstag mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Die Politik im Freistaat unterbindet über die 10H-Regel seit acht Jahren den Bau von Windkraftanlagen weitgehend. Sie ist Habeck ein Dorn im Auge, Söder und die CSU wollen auf diese Weise hingegen die Voralpenlandschaft vor der Verschandelung und die Bayern vor einer inneren Zerreißprobe bewahren. Am Rande des Gesprächs soll Käser als Vertreter der Bürgerenergie Bayern zu Wort kommen, um Habeck zentrale Wünsche und Forderungen unterbreiten zu können.

"Wir sind Teil der Bund-Naturschutz-Delegation", erklärt Käser "und wir haben 30 Sekunden Redezeit." Viel ist das nicht, räumt er ein, aber es sollte reichen, um dem Minister das Wichtigste mit auf den Rückweg nach Berlin zu geben: "10H muss weg", will Käser sagen. Kommunen und Stadtwerken müssten mehr Handlungsmöglichkeiten gegeben werden, damit Windradplanungen leichter zu steuern sind. "Und die lokale Wertschöpfung braucht eine höhere Priorität als die Interessen von Großkonzernen", ergänzt Käser. Inwiefern er damit zu Habeck durchdringt, wird sich zeigen. "Ich hoffe das Beste", so Käser, "aber bei solchen Terminen kann sich auch schnell was ändern."

PK

EINMÖGLICHERWEGZURENERGIEWENDE

Der Teilflächennutzungsplan Windkraft weist gut zwei Prozent der Landkreisfläche aus, auf denen der Bau von Windrädern möglich ist, sofern die Gemeinden über einen Bebauungsplan darauf Baurecht schaffen.

Ausgehend von der Annahme, dass die Bundesregierung ihre "All electric Strategie" umsetzt, errechnet Andreas Herschmann für den klimaneutralen Landkreis bis zum Jahr 2040 einen Bedarf an elektrischer Energie von jährlich 1,6 Gigawattstunden. Um diesen "Stromhunger" auf klimaneutrale Weise stillen zu können, wären zum Beispiel landkreisweit rund 90 Windräder - die Positivflächen reichen dafür gerade aus - und 480 Hektar PV-Flächen nötig. Um mindestens sechs aufeinanderfolgende Tage ohne Wind und Sonne kompensieren zu können, bräuchte es fünf Biomethan-Gasspeicher-Kraftwerke mit einer Erzeugungsleistung von insgesamt 30 Gigawattstunden, um die Energieversorgung für Privathaushalte und Gewerbebetriebe, für Wärmepumpen und Elektromobilität zu sichern.

pat

PK

Patrick Ermert