Ingolstadt
Bei Anruf Hilfe

Bezirk startet Krisendienst Psychiatrie in der Region im Bedarfsfall mit Hausbesuch

04.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:11 Uhr |

...die Bezirksrätin Patricia Klein (CSU). - Fotos: Stückle

Ingolstadt (DK) Krisen gehören zum Leben. Doch manchmal sind sie so groß, dass man sie alleine nicht bewältigen kann. Ab Oktober können sich Menschen in Ingolstadt und den umliegenden Landkreisen in so einem Fall vom Krisendienst Psychiatrie helfen lassen. Der ist momentan auf der Suche nach Fachkräften.

In Deutschland leiden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts rund sechs Millionen Menschen an Depressionen. Jeder dritte Mensch, heißt es, gerät einmal im Leben in eine seelische Krise, in der er professionelle Hilfe benötigt. Je früher man sie sich holt, desto besser.

Dazu gibt es in München seit 2007 auch einen Krisendienst Psychiatrie. Die Telefonnummer, die Hilfe vermittelt, wird im Jahr etwa 14 000-mal angerufen. Das Modell hat Erfolg. 2015 hat der Bezirkstag deshalb beschlossen, nach und nach solche Einrichtungen für ganz Oberbayern zu schaffen. Der Bezirk lässt sich das jährlich 7,4 Millionen Euro kosten. Heuer im Oktober soll der Dienst in der Region Ingolstadt starten. Es ist die einzige Region Oberbayerns, in der das Projekt noch nicht begonnen hat.

Bezirksrätin Patricia Klein und Martin Guth von der Krisendienst-Gebietskoordination Ingolstadt, der für den Aufbau des Netzwerks in der Region verantwortlich ist, haben das Projekt jetzt dem DONAUKURIER vorgestellt. Im Krisenfall kann man über eine spezielle Telefonnummer unbürokratische und wohnortnahe Hilfe erhalten. Die Anrufe gehen unter einer bestimmten Nummer (die erst bekanntgegeben wird, wenn der Dienst in der Region anläuft) zentral bei der Leitstelle in München ein. Deren Mitarbeiter hören zu, fragen nach und klären mit dem Anrufer gemeinsam die Situation. Das Besondere: Bei Bedarf vermittelt die Leitstelle aufsuchende Krisenhilfe, das heißt, zwei diensthabende Mitarbeiter des Krisendienstes machen bei dem Betroffenen einen Hausbesuch. Sie hören sich an, was den Hilfesuchenden quält, setzen sich damit auseinander und helfen bei der Einleitung weiterer Maßnahmen. Als Erstes geht es um Deeskalation und die Einschätzung der Gefährdung. Dann kommen die weiteren Schritte. Das kann ein möglichst schneller Termin bei einem niedergelassenen Psychiater oder Therapeuten sein oder im Bedarfsfall auch ein stationärer Klinikaufenthalt. "Wichtig ist, dass die verschiedenen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, dass das Netzwerk funktioniert", so Klein. Das soll Klinikaufenthalte, die nicht sein müssten, aber auch Polizeieinsätze reduzieren. Bislang, fügt Sozialpädagoge Guth hinzu, werde in seelischen Krisensituationen "oft mit Kanonen auf Spatzen geschossen".

Ruft etwa eine verzweifelte Mutter, deren Sohn sich in seinem Zimmer eingesperrt hat und mit Selbstmord droht, Polizei oder Rettungsdienst, endet deren Einsatz oft mit einer Einweisung in die psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses. "Wenn dann das Rettungsfahrzeug noch mit Blaulicht kommt und es ein großes Aufsehen gibt, eskaliert die Situation oft noch mehr", so Klein. "Das wäre nicht notwendig, wenn eine passgenaue Möglichkeit da gewesen wäre." Solche Möglichkeiten sollen mit dem neuen Krisendienst Psychiatrie geschaffen werden. Es gehe dabei auch um Prävention. Will heißen: Menschen in seelischen Notlagen sollen früher im Hilfesystem ankommen.

Das Angebot soll täglich von 9 bis 24 Uhr, an 365 Tagen im Jahr gelten. Doch damit der Dienst pünktlich im Oktober starten kann, werden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für Dienste an Abenden, Wochenenden und Feiertagen für die aufsuchende Krisenhilfe benötigt - für die Stadt Ingolstadt und die umliegenden drei Landkreise jeweils 24, die dann im Durchschnitt dreimal pro Monat Dienst haben. "Wir suchen dringend pädagogische, psychologische und therapeutische Fachkräfte", erklärt Martin Guth. Neben Sozialpädagogen können sich auch Psychologen, Fachkrankenpfleger für Psychiatrie, aber auch Personen, die in anderen geeigneten pädagogischen oder psychiatrisch-therapeutischen Berufen arbeiten, für die Tätigkeit auf 450-Euro-Basis bewerben. Vergütet wird die Rufbereitschaft über Pauschalen. Die Bereitschaft geht jeweils von 16 bis 21 Uhr. Zwischen 9 und 16 Uhr sind die Mitarbeiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes für den Krisendienst zuständig.

Das Angebot ist auf jährlich bis zu 20 000 Anrufe aus ganz Oberbayern ausgelegt. Der Krisendienst Psychiatrie ist bereits jetzt für rund vier Millionen Menschen erreichbar - ab Herbst auch in Ingolstadt. Für die Anrufer sind die Leistungen des Dienstes kostenfrei. Es entstehen lediglich Telefonkosten.

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