Ingolstadt
Begabt mit Blechschere und Pinsel

Der als DKW-Lenz und Schanzer Sonntagsmaler bekannte Lorenz Nickl ist jetzt 92 Jahre alt geworden

04.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:30 Uhr

Der junge und der alte Lenz: Nach dem Krieg machte Lorenz Nickl als DKW-Motorradfahrer von sich reden. Ein Bild aus dieser Zeit ziert die Goethestraße im Konradviertel, wo der nun 92-Jährige nach wie vor lebt. Bekannt ist er auch als Schanzer Sonntagsmaler - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Lorenz Nickl rätselt bis heute, mit 92 Jahren, die er vor wenigen Tagen alt geworden ist. Sein Vater lieferte bereits im Jahr 1909 Ersatzteile für die Siegenburger Automobilhalle aus. War das familiäre Vorhersehung, dass er, der Schmied-Sohn, später selbst in der Autobranche arbeiten würde? Zudem hatte der Vater eine bestechend schöne Handschrift.

Auch hier sollte der Lenz, so sein Rufname, etwas erben und in Ingolstadt von sich reden machen.

Dazu brauchte es den Krieg, aus dem er 1948 nach der Gefangenschaft in Nebraska/USA heimkehrte. Auf der Suche nach Arbeit erinnerte er sich an einen Mitgefangenen, den Zellner Alois, der aus Ingolstadt stammte und beim Zentraldepot untergekommen war. „Ja, so hieß das damals“, sagt Nickl. Nach seinem Einstellungsgespräch am Unteren Graben, „das war am Kirchweihmontag, ich weiß es genau“, sollte der Spengler mit dem Jahreswechsel 48/49 bei einem Unternehmen mit weit glanzvollerem Namen starten: Aus dem Zentraldepot wurde die Auto Union.

Der Nickl Lenz war einer der Pioniere des Ingolstädter Autobauers, ein Mann der ersten Stunde. „Ich war beim ersten und letzten Schnelllaster mit dabei“, berichtet er nicht ohne Stolz. 46 000 Stück wurden hergestellt. Statt Soldaten sind es im Zeughaus am Unteren Graben und später in der Reithalle hinter der Friedenskaserne die Karosseriebauer der Auto Union, die von Anfang an Vollgas geben, weil der Schnelllaster F89L auf einer Messe vorgestellt werden soll. Der Wagen wird fertig und ein Erfolg. Die Arbeit ist extrem hart in den engen Räumen. „Die Werkzeuge haben wir selbst mitgebracht und auch wieder mit heimgenommen, damit nichts wegkam“, sagt Nickl, der seine Blechschere hütete wie den eigenen Augapfel. Er gilt als besonders gut im Umgang mit dem Werkzeug und zudem erfinderisch. Musterteile trägt er schon mal zu anderen Betrieben über die Straße – zum Formen, wenn die Unionler nicht mehr weiterwissen. Schnell erwirbt sich Nickl einen Spitznamen: „der DKW-Lenz“.

Über die Gründerjahre sagt er: „Das hätte von uns nie jemand erwarten können, dass sich das so entwickelt.“ Nach dem prachtvollen Start, der in die Wirtschaftswunderzeit mündet, wandert langsam auch mehr Lohn in die Tasche des Karosseriebauers, der seine eigene Vorstellung von einer Geldanlage hat. Er kauft sich 1950, als neben den Autos auch die ersten Motorräder in Ingolstadt vom Band laufen, eine RT 125. Der Kradsport boomt mit dem Rennen am Donauring. Tausende schauen zu. Nickl ist Streckenposten, wird aber bald DKW-Teamfahrer. Über ein Jahrzehnt ist er bei Geländemeisterschaften oder Sternfahrten mit seinen Werksmaschinen vorne dabei.

Seine Hanna genehmigte dem Lenz seinen Spleen. „Sie war eine echte Motorradbraut“, sagt Nickl über die Schanzerin, eine geborene Eck. Gemeinsam bauen sie sich ein Stück Wohlstand auf: Für die Angestellten fördert die Auto Union den Bau von Wohnungen. So beziehen die Nickls Ende 1956 ihr Heim in der Haenlinstraße im Nordosten Ingolstadts. Der Block steht damals auf der grünen Wiese im Konradviertel, jetzt ist er mitten in einer blühenden Stadt.

Wie seine Union und die Welt um ihn herum gewachsen sind, das vermag der Nickl Lenz gar nicht zu glauben. Dabei hat er Ingolstadts Aufschwung selbst dokumentiert. Er ist ein bisschen ein Ortschronist; zumindest auf seinem Zeichenblock. Als „Schanzer Sonntagsmaler“ ist er den Leuten bekannt. Regelmäßig scharten sie sich um ihn, wenn er mit Skizzenblock und Stift irgendwo stand. „Am liebsten war ich am Künettegraben. Da war es so ruhig.“ Nicht wenige besitzen sogar einen „echten Nickl“, oft mit persönlicher Widmung versehen.