Pfaffenhofen
Aus literarischen Textwerkstätten

Paradiesspiele in Pfaffenhofen: Abschlusslesung des Lutz-Symposiums unterm Sommerhimmel

08.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:40 Uhr
Gruppenbild mit Dame: Marko Dinic, Marie-Alice Schultz, Johann Reisser, Thomas von Steinaecker, Steffen Kopetzky, Nico Bleutge und Peter Zemla (von links) in der Kunsthalle. −Foto: Foto: Fröhlich

Pfaffenhofen (DK) "Es ist mutig und nicht selbstverständlich, dass Autoren aus ihren Roman-Projekten einem Publikum vortragen.

Schließlich sind es noch unfertige Texte, an denen noch gefeilt wird", eröffnete Nico Bleutge, der aus Pfaffenhofen stammende Lyriker, nach der Begrüßung durch den städtischen Gastgeber des Lutz-Symposiums, Steffen Kopetzky, den Abend auf der Terrasse der Kunsthalle Pfaffenhofen.

Zwei Tage lang hatten die ehemaligen Lutz-Stipendiaten Marko Dinic, Johann Reisser und Marie-Alice Schultz gemeinsam mit dem derzeitigen Bewohner des Flaschl-Turms, Peter Zemla, sowie mit den Schriftstellern Thomas von Steinaecker und Steffen Kopetzky sowie Bleutge selbst über aktuelle Roman-Projekte gesprochen. Nun also in der lauen Sommernacht entfaltete sich auf der Bühne, moderiert von Nico Bleutge, in jeweils zehnminütigen Lesungen mit Gespräch ein faszinierendes Kaleidoskop an literarischen Themen und sprachlichen Umsetzungen. So verschieden sie auch waren, entwickelten sie je einen eigenen Sog. Auch deshalb, weil hier wenig "unfertig" klang.

Johann Reissers Roman "Pulver" erzählt mit der Romanfigur Max, wie sich die schwäbische Stadt Rottweil zu einem Standort der deutschen Rüstungsindustrie entwickelte. Der Apothekersohn Max habe als historisches Vorbild Max von Duttenhofer, den Gründer von Rottweil Munition, sagte Reisser. Die Schießpulver-Fabrik wurde zum wichtigsten Munitions-Lieferanten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Reisser las jene Szene, in der der zehnjährige Max gemeinsam mit seinem Freund Knall- und Sprengexperimente vorführt. Das Thema habe sich während eines Aufenthaltsstipendiums in Rottweil entwickelt, habe ihn nicht losgelassen, weil die Geschichte bis heute nachwirke. Er wolle auch die dunklen Flecken der Geschichte literarisch aufdecken.

Auch Steffen Kopetzky arbeitet nach seinem hochgelobten Roman "Risiko" wieder an einem historischen Stoff. Dieses Mal steht die Schlacht im Hürtgenwald Ende Oktober 1944 im Mittelpunkt, Kampfhandlungen in der Nordeifel bei Aachen, die "einen Wendepunkt im Selbstverständnis der amerikanischen Gesellschaft und dem Selbstverständnis der Army" darstelle. Noch heute gilt der Kampf als das größte Desaster der amerikanischen Armee im Zweiten Weltkrieg. "Hier wurden junge, idealistische College-Abgänger, junge Männer um die 20 Jahre gnadenlos in einen Kampf gegen Kriegsveteranen mit vielen Ortskenntnissen geschickt", erzählte Kopetzky. Er schildert dies an seinem Protagonisten John Glück, der das Land seiner Vorfahren und der Grimmschen Märchen von einem Diktator befreien will. Dabei erzählt Kopetzky auch von der Rassentrennung in der US-Army und entblättert damit den Mythos vom "guten Amerikaner".

Marie-Alice Schultz, Lutz-Stipendiatin 2017, stellt den elfjährigen Oskar in dem Mittelpunkt ihres Romans "Mikadowälder". Oskar will 100 Kisten bauen, entschließt sich aber, bereits die fertigen 87 zu Wasser zu lassen, damit sie zu 87 Städten schwimmen. Dort sollen sie, die mit offenen Deckeln schwimmen, die jeweilige Stadtluft aufnehmen. Doch geht es in dem aus mehreren Miniaturen bestehenden Roman nicht nur um Oskar. Schultz erzählt von dessen Eltern, die sich entfremdet und getrennt haben, seinem Großvater und dessen Schachpartner und deren Erinnerungen und Gegenwart. Auf die Frage, wie ihre fein geschliffene und melodische Sprache entstehe, antwortete Schultz: "Ein Text ist wie ein Musikstück. Ich lese laut in meiner Wohnung, um zu prüfen, ob es rhythmisch ist. Ich weiß allerdings nicht, was meine Nachbarn dabei denken. "

Marko Dinics größere Erzählung hat erneut - wie bereits in anderen Texten des Lutz-Stipendiaten von 2015 - einen Einzelgänger als Protagonisten, der einen Wanderweg abgehen und darüber für eine Literaturzeitschrift schreiben soll. Das aber gelingt ihm wegen einer Erkältung nicht, er fährt den Weg in einer ihm fremden Region schließlich mit dem Bus ab. Dieses Fremdsein, das Gefühl des Nichtdazugehörens kenne er selbst, sagte Dinic, wurde er doch als Sohn eines Diplomaten in Belgrad geboren, wuchs in mehreren Städten und am Ende vor allem zweisprachig (Serbokroatisch und Deutsch) auf und lebt heute in Wien.

Den Tod hat sich der diesjährige Lutz-Stipendiat Peter Zemla als Erzähler ausgewählt. Diesen lässt er aber stets in der "Wir"-Form reden und in dieser scheinbar direkt mit dem Leser kommunizieren. Zemla, der als Autor und Journalist in Bayreuth lebt und arbeitet, hat einen Schwimmmeister als Protagonisten, der eines Tages ein Schreiben erhält, wonach er sich in zwei Wochen zu seiner Hinrichtung einfinden soll. Doch anstatt sich dagegen zu wehren - ein Grund wird nicht genannt -, begibt er sich ohne Murren ins Rathaus. Ferner erinnert er sich dabei zurück an seine Kindheit. Dies und die Gegenwart des Auf-dem-Weg-Seins schildert Zemla in verschlungenen Sätzen, die viele Bilder hervorrufen und faszinieren, weil sie alte Wörter darin verschmelzen. Wie "Mutzel", eines der Wörter aus dem Schlesischen, woher Zemlas Vorfahren stammen. Das ergibt ein Konglomerat an Wunderbildern, die teils den Grimmschen Märchen entstammen.

In die Zukunft blickt Thomas von Steinaecker mit seinem Romanprojekt, aus dessen Prolog er vorlas. Der Roman soll etwa 400 bis 500 Seiten haben, die Hälfte etwa sei geschrieben, sagte er. Hinter seiner "Parabel auf unsere Zeit" stecke die Frage, ob Deutschland wohl bald "Israel ähneln werde" mit sogenannten gated communities und verschiedenen, von einander abgeschotteten Einwohnern, die auch große Unterschiede des Lebensstandards trenne. Die Freundschaft und Lebenswege dreier Menschen beschreibt Thomas von Steinaecker. Eine der Protagonisten, eine alte Frau, die als Teil einer Gruppe von Pionieren auf einem anderen Planeten lebt, ist an diesem Abend in der Lesung in Pfaffenhofen zu erleben. Ob es zu einem Happy-End komme, wird Steinaecker gefragt. "Ja, egal, welche fremden Welten ich mir erschreibe", antwortet er, "das Ende sollte möglichst ein gutes sein. Was immer das bedeuten mag. "

Barbara Fröhlich