Ingolstadt
Auf der Suche nach Heimat

"Mamma Mia Bavaria!": Luise Kinseher gastiert im Ingolstädter Festsaal

14.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:38 Uhr
"Dem Menschen geht es nicht anders als einem globalisierten Essiggurkerl": Luise Kinseher ist Mamma Bavaria. −Foto: Woelke

Ingolstadt (DK) Was für ein illustrer Frauen-Stammtisch: Lady Liberty, Mütterchen Russland, Europa und Mamma Bavaria. Man kann sich gut vorstellen, wie sie über ihre Kinder klagen, Erziehungsmethoden diskutieren und Konkurrenzkämpfe ausfechten.

Vermutlich trinken sie viel und erzählen sich derbe Männer-Schoten, aber über allem liegt doch eine große Besorgnis über die Welt an sich, die Klimakatastrophe, Zukunftstechnologien wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz und darüber, dass man sich wegen all dieser globalisierten Orientierungslosigkeit nirgends mehr richtig zu Hause fühlt. Heimat, ja, das ist ein großes Thema. Und weil die Heimat der Mamma Bavaria Bayern ist, geht es an diesem Freitagabend im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt natürlich um Bayern.

Luise Kinseher predigt nicht mehr auf dem Nockherberg "vor dem Politikergschwerl" ("es hat nix bracht"), aber ihre berühmte Figur reinkarniert munter weiter auf den Brettl-bühnen der Republik. Jetzt trägt sie ein schickes schwarzes Trachtenkostüm mit passendem Blumenhut, liest ihren Kindern weiter die Leviten - und singt dazu. Und hat sich zu ihrem aktuellen Programm "Mamma mia Bavaria" auch noch die prachtvollsten Vertreterinnen aus ihrem herrlichen Figurenkabinett mitgebracht: die resolute Rentnerin Helga Freese in Trench und Sonnenbrille, die stets auf der Suche nach ihrem Heinz ist ("Wir sitzen nie zusammen, sind aber im telefonischen Kontakt"), und Mary from Bavary im hell-blaublümeligen Morgenmantel, immer ein wenig angeschickert und deshalb Trippelschritt-wankend und Satzenden-wegnuschelnd unterwegs. Erstere darf das Programm beginnen, Letzerer ist der Schluss vorbehalten. Und mittendrin wogt Mamma Bavaria in der Brandung der Zeitgeschichte und macht sich Gedanken über die bayerische Identität ("Bayern hat ein eigenes Weltbild und ein eigenes Horoskop"), die Sprache ("von den Wurzeln her ist der Bayer ein Kosmopolit"), Traditionen, die verloren gehen (Schweinebraten mit Ingwer und Semmelknödelteiglinge aus Polen), und die Naturzerstörung ("Bayern hatte früher mehr Natur - bis die Schädlinge kamen und der Flächenfraß").

Es geht um alles bei Luise Kinseher, um Feinstaub und Wohnungsnot in München, um Söder, Aiwanger und König Ludwig II. ("der ist nicht ertrunken, der hatte das goldene Seepferdchen"), um ihren Geburtsort Geiselhöring ("da ist der Silo höher als der Kirchturm") und Ingolstadt ("hier ist man nicht so beschäftigt mit Sehenswürdigkeiten"), um die Welt im Allgemeinen und Bayern im Besonderen. Luise Kinseher ist klug, gewitzt, setzt perfekte Pointen und beherrscht das Spiel mit dem Publikum aufs Beste. Sie kann alles - Kleinkunst und ganz große Oper. Zum Beweis trällert sie mit viel Schmelz und divenhafter Pose ihre Version von "Schau hi, da liegt a toter Fisch im Wasser", das auf das neapolitanische Volkslied "Funiculì, Funiculà" zurückgeht, das wiederum so populär wurde, dass Richard Strauss es in seiner sinfonischen Dichtung "Aus Italien" verarbeitete. Dann muss das Publikum ran - weil singen schließlich gemeinschaftsstiftend ist. Auch so kann Bayern klingen. Großer Applaus.

Anja Witzke