Ingolstadt (DK) Ein letzter fahler Klang verlöscht im Dunkel, dann herrscht erst einmal Stille. Ungewöhnlich für den oft so unruhigen Ingolstädter Festsaal. Die Zeit scheint zu gefrieren nach dem "morendo", ersterbend endenden Streichquartett Nr. 8 von Dmitri Schostakowitsch. Offiziell und konform mit der sowjetischen Propaganda gedenkt das 1960 entstandene Werk den "Opfern des Faschismus und des Krieges". Im Stillen aber hat es Schostakowitsch sich selbst gewidmet: "dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts". Es erzählt von einem Leben voller Traurigkeit und Angst, im Schatten von Krankheit und Tod, unter einer brutalen totalitären Regierung. Dass er sich von diesem Regime auch benützen ließ, macht seine eigentliche Tragik aus. "Sie konnten den Geist dir nicht brechen, sie brachen das Herz dir entzwei." So heißt es in einem Revolutionslied, dessen Melodie in diesem Quartett zitiert wird.
Das Mandelring-Quartett ist derzeit die erste Adresse für die Streichquartette von Schostakowitsch. Seine Gesamteinspielung gilt zu Recht als Referenz. Man durfte also gespannt sein, wie das berühmteste Quartett des 20. Jahrhunderts live mit diesem Ensemble klingen würde. Um es kurz zu machen: atemberaubend. All die fahlen, dunklen und schrillen Farben erschienen noch differenzierter, niemals plakativ aufgetragen, und aus der teils schwebenden, teils lastenden und bohrenden Melancholie leuchteten die zarten und fragilen Momente der Empfindung umso schöner und berührender. Das präzise und gut koordinierte Zusammenspiel ermöglichte es paradoxerweise auch, Irrsinn und Brutalität sehr direkt rüberzubringen, die gehetzte, gepeitschte Angst, den sarkastischen Humor der Tänze. Heute, wo Stalin im Osten wieder Denkmäler bekommt und auch im Westen düstere Wolken aufziehen, gewinnt die Musik so eine greifbare Nähe.
Zwei nicht minder bedeutende Streichquintette setzten den Rahmen für Schostakowitsch. Mozarts spätes Quintett in D-Dur KV 493 hat einige für ihn ungewohnte Züge, so etwa die Reihe simpler, bausteinartiger Motive, die sogleich in einem kunstvollen thematischen Spiel hin und her gewürfelt werden. Da hat Mozart offenbar ein wenig Haydn gehuldigt. Entspannt und gepflegt, ohne die Kontraste überzubewerten, gehen die Mandelrings das an. Doch motivisch legitimiert von dem kleinen Temperamentausbruch der ersten Geige eben auch sehr lebhaft und aus dem Geist eines konzentrierten und schlagfertigen Dialogs. Wunderbar der zarte, feingeformte Geigenschmelz, markant aber auch die beiden Bratschen, der Knackpunkt dieser Besetzung. Mit Verstärkung von Roland Glassl, dem ehemaligen Bratschisten des Ensembles, setzen sie den Violinen einen eigenen Charakter entgegen, sorgen für Farben und Schatten in den vielfältigen Kombinationen der Instrumente. Dem quirligen Tänzchen im Finale geben die Fünf etwas ungewöhnlich Drängendes, Dringliches. Ein genialer Ansatz, denn das Stück entwickelt sich ja dann auch sehr komplex und ambivalent. Mozart gibt den Schalk und den Grübler, den Musikanten und Kontrapunktmeister, er spielt hart an der Kante, mit höchstem Einsatz und gewinnt schließlich mit alles überragender Kunst. Auch in Sachen Interpretation ist kaum ein höheres Niveau zu erreichen.
Johannes Brahms wusste um die einsame Höhe von Mozarts Quintetten, und er bündelte selbst noch einmal seine ganze Kunst, als er sein als letztes Werk überhaupt angedachtes Streichquintett in G-Dur op. 111 schrieb. Das Mandelring Quartett und Roland Glassl haben es gerade auf CD vorgelegt, fulminant, ohne Altersgeschleppe, rhythmisch straff, voller Energie und Leuchtkraft, transparent und doch mit geschmeidiger Klangfülle. Man kann sich von dem wunderbar musikalischen Fluss tragen lassen und wird mitgerissen von den komplizierten, teils widerborstigen Entwicklungen der avancierten Harmonik, Rhythmik und Polyphonie. Live auf der Bühne des Festsaals war das noch einmal doppelt so gut. Großer Applaus für einen großen Abend im Konzertverein, und als Zugabe das Menuett aus Mozarts g-Moll-Quintett, nach diesem G-Dur-Fest ein so grandioses wie nachdenklich stimmendes Schattenspiel.
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