Pfaffenhofen
Asylbewerber muss ein Jahr ins Gefängnis

Keine Aufenthaltserlaubnis und Verstoß gegen Bewährungsauflagen: 1,96 Promille trotz Alkoholverbots

11.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:47 Uhr |
Ein Modell der Justitia steht auf einem Tisch. − Foto: Volker Hartmann/dpa/Archivbild

Pfaffenhofen - Für ein Jahr ins Gefängnis geschickt hat das Pfaffenhofener Amtsgericht einen 32-jährigen Asylbewerber aus Mali, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat und keine gültige Aufenthaltserlaubnis vorweisen kann.

Abdoulay S. , 32, (Name geändert) ist vor sieben Jahren vor dem Terror in seiner Heimat nach Deutschland geflohen. Seine Verwandten seien umgekommen, nur seiner Mutter sei es gelungen, erklärt er, sich in die Elfenbeinküste abzusetzen. Drei Jahre hat er hier im Gefängnis gesessen. Im März 2015 war er wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden mit einer Bewährungszeit von fünf Jahren. Offensichtlich war er bei der damaligen Tat betrunken, denn zu seinen Bewährungsauflagen gehörte, vom Alkohol die Finger zu lassen, was er durch regelmäßige Blutproben beweisen musste. Vor einem Jahr aber griff ihn die Polizei mit 1,96 Promille auf: Er saß neben seinem Fahrrad am Straßenrand, unfähig, weiterzufahren. Die Beamten zeigten ihn an.

Jetzt sitzt er auf der Anklagebank, neben ihm die Dolmetscherin, die aus dem Französischen übersetzt, und muss erklären, warum er betrunken war. Nein, das war er nicht, erklärt Abdoulay S. , er habe lediglich eine Flasche Bier getrunken. Denn eigentlich trinke er ja schon seit Jahren nichts mehr. Wie er sich dann die 1,96 Promille erklärt, will Amtsrichterin Nicola Schwend wissen. Abdoulay S. holt weit aus. Er war im Supermarkt, habe aber dann seine Geldbörse vermisst, die sonst immer in der Seitentasche seiner Hose stecke, sei aus dem Laden raus, und dann sei plötzlich das Portemonnaie wieder da gewesen, aber leer. Deshalb sei er mit seinem Fahrrad zum Geldautomaten geradelt.

Die Richterin unterbricht den erregten Redefluss, er möge bitte auf den Punkt kommen. "Da komme ich schon hin", übersetzt die Dolmetscherin. Er sei dann an leeren Plastikflaschen vorbeigekommen, die da rumlagen, in einer war noch etwas Wasser gewesen, und plötzlich hätten sich seine Augen gedreht, er sei abgestiegen und hätte sich dann ruhig ins Gras gesetzt und gewartet, bis die Augen wieder stillstehen. Nicola Schwend fasst zusammen: Er habe also aus einer Flasche Alkohol getrunken. Nein, beharrt der Angeklagte, nur eine Flasche Bier.

Die Polizeibeamtin, die als Zeugin vorgeladen ist, hat das anders erlebt. Passenten seien auf ihn aufmerksam geworden, er habe rumgeschrien und wild gestikuliert.

Der zweite Vorwurf, den ihm die Staatsanwaltschaft macht, wiegt nicht minder schwer: Vor dreieinhalb Jahren ist seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen, er soll abgeschoben werden. Dazu aber braucht er einen Pass aus seiner Heimat als Nachweis, dass er in dieses Land zurückgeführt werden kann. Mehrfach, erklärt ein Mitarbeiter des Landratsamts als Zeuge, sei Abdoulay S. aufgefordert worden, sich beim Konsulat um einen Pass zu bemühen. Aber er weigere sich beharrlich, obwohl ihm bereits die Unterstützung gekürzt worden sei.

Der Angeklagte versteht offensichtlich nicht, warum ihm das zum Vorwurf gemacht wird. Er gehe nicht zur Botschaft, sagt er, "weil die mich dann nach Mali zurückschickt". Er will aber nicht nach Mali. Wenn schon Rückführung, dann in die Elfenbeinküste. 100 Euro habe er seiner Mutter geschickt, damit sie von der Elfenbeinküste nach Mali fährt, um aus seinen zurückgelassenen Sachen die notwendigen Papiere herauszusuchen und ihm zuzuschicken.

Abdoulay S. ist kein Einzelfall. Auch andere Asylbewerber können nicht abgeschoben werden, weil die Herkunftsländer einen Identitätsnachweis wollen. Ohne Pass keine Einreise. Deshalb hat der Freistaat eine Task-Force gegründet, die sich mit den Konsulaten austauscht. Aber auch diesem Amt sei es nicht gelungen, sagt der Verteidiger, die notwendigen Dokumente zu beschaffen. Die diplomatischen Beziehungen zu Mali, bestätigt auch der Mitarbeiter des Landratsamts, seien "schwierig".

Staatsanwältin Carola Sciurba hat wenig Verständnis: Seit dreieinhalb Jahren sei der Angeklagte passpflichtig, aber er weigere sich beharrlich, einen Antrag auszufüllen. Sie fordert eine Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Monaten. Der Verteidiger kann auch nichts vorbringen, was seinen Mandanten entlastet. Er bittet um ein mildes Urteil. Amtsrichterin Schwend verurteilt ihn zu einem Jahr Haft, eine Bewährung sei ausgeschlossen, weil der Angeklagte unbelehrbar sei. Abdoulay S. versteht die Welt nicht mehr: "Ich habe nichts gemacht, und jetzt soll ich ein Jahr ins Gefängnis? " Er möchte mit der Richterin das Urteil diskutieren, aber der prozesserfahrenen Dolmetscherin gelingt es, ihn nach draußen zu komplimentieren. Dass er nach Mali abgeschoben wird, muss er vorläufig nicht befürchten.

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