Neuburg
Artillerie der Alliteration

25.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:32 Uhr

Pathos fern der Parodie: Fleißer-Preisträger Gert Heidenreich als Tolkien-Rezitator. - Foto: Buckl

Neuburg (DK) "Trunken von Tollheit / tückisch und wölfisch / fletschte er finster / die funkelnden Zähne." Oder: "Durch Hunnenland hallen wird Hörnerklang bald!". Es ist ein Stakkato an Stabreimen, eine Armee von Alliterationen, die da auf den Zuhörer zuwalzt, dem aus der "Legende von Sigurd und Gudrun" vorgelesen wird.

Die dichterischen Passagen las der 1944 in Eberswalde geborene Fleißer-Preisträger Gert Heidenreich, der nicht nur als Autor und Radiosprecher bekannt ist, sondern auch als "Tolkiens Stimme in Deutschland": Er hat mehrere Hörbücher mit etlichen Kapiteln aus "Der Herr der Ringe", "Der Hobbit" oder "Die Kinder Huriens" eingespielt. Die Paraphrasierung längerer Passagen lieferte Thomas Böhm, Projektleiter des Auftritts Islands als Gast auf der Frankfurter Buchmesse 2011. Beide treten nur dreimal mit der Vorstellung des neuen Tolkien-Buchs auf: In Hamburg, Berlin und nun in Neuburg.

Dass J. R. R. Tolkien überhaupt eine dichterische Nacherzählung der Saga um Sigurd, den Wölsungen und König der Drachen, um Gunnar, die Niflungen und Gudrun und das weitere nordische Sagen-Personal angefertigt hatte, gilt als sensationelle Entdeckung. Tolkien verfasste in über 500 Strophen zu je acht Versen zwei zusammengehörige Gedichte in modernem Englisch, das er dem altnordischen Metrum anpasste. Zu Tage gefördert wurden diese Texte von Tolkiens Sohn Christopher, der sich ganz der Herausgabe bislang unveröffentlichter Werke seines Vaters widmet.

Nicht nur der britische Schöpfer des neuzeitlichen Mythos um Mittelerde legte in seiner Dichtung enorme Sprachkraft an den Tag, sondern auch der deutsche Übersetzer Hans-Ulrich Möhring, dessen Übertragung Heidenreich zu einem Hörerlebnis werden ließ. Wie schon das Edda-Lied dem Leser mit immenser Wucht begegnet und von beinahe dämonischer Kraft erfüllt scheint und sein nordischer Dichter den Vorsatz hatte, "den Hörer umzuhauen", so kommt auch Tolkiens Dichtung mächtig stampfend daher. Auch die deutsche Übersetzung strotzt von Stabreimen, dass es staubt – eine Stilfigur, die seit Wagners "Wigalaweia" höchst anfällig ist für unfreiwillige Komik. Wenn es über den Schmied Regin heißt "Im Waldeswinkel / weise Worte er sprach", ahnt man, woher im "Krieg der Sterne" Yeti-Meister Yoda seine Syntax entlehnt hat. Heidenreich gelingt aber das Kunststück, Pathos zu wahren und dennoch jeden Gedanken an eine Parodie weit von sich zu weisen.

Seine Neuburger Lesung ließ nicht nur dramatisch miterleben, wie Sigurd den Drachen Fáfnir tötet ("Schwarzes Blut schoss / überschüttete Sigurd . . . Mit Ruck heraus / riss er das Schwert"), sondern beleuchtete auch die Vorgeschichte, warum der vom Drachen gehütete Hort mit einem Fluch beladen ist – was auf die Untat des Asen Loki zurückgeht, der aus Spaß einen Jüngling in Ottergestalt auf Lachsjagd getötet hatte.

Man erlebte also "Wikingerfahnen, Wölsungenbanner wehten im Wind, wuchtig der Ansturm"; derart attackiert vom Artilleriefeuer der Alliterationen fand man sich im Anschluss im Theaterfoyer erleichtert zu einem Empfang mit Imbiss ein – dort, wo kein "Wind mehr wild blies".