Ingolstadt
Argentinisches Tango-Feuerwerk

Das Georgische Kammerorchester und das Binelli-Ferman-Duo begeistern beim Neujahrskonzert

02.01.2018 | Stand 02.12.2020, 17:00 Uhr

Mitreißender Jahresauftakt: Der Bandoneonspieler Daniel Binelli, die Pianistin Polly Ferman und das Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Ruben Gazarian eröffneten das Jahr im Festsaal mit Werken von Piazzolla, Rota und einer europäischen Erstaufführung. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Passender zum Anlass hätte dieses musikalische Motto kaum gewählt werden können - vereint es doch besonders anhand des im Zentrum stehenden Tangos eine leicht wehmütige Melancholie mit lodernder, leidenschaftlicher Energie: Zwei Wechselstimmungen, in denen sich wohl viele zu Jahresanfang befinden dürften. Genau an diesem Punkt setzen Bandoneonstar Daniel Binelli und Pianistin Polly Ferman an und verbreiten vom ersten Ton an authentisch-pures südländisches Lebensgefühl im Festsaal des Ingolstädter Stadttheaters.

Zunächst mit Astor Piazzollas "Buenos Aires Hora Cero", einer Huldigung sowohl an seine Heimatstadt als auch an den Geburtsort des Tangos. Unmittelbar fühlt man sich da in die pulsierend-hypnotische Atmosphäre der Metropole hinein gesogen: durch das surrende, anschwellende Bandoneonsolo zu Beginn, durch den voranschreitenden Rhythmus am Flügel, den flirrende Einwürfe in den oberen Lagen umspielen, durch elektrisierende Tremoli in den Geigen, durch quietschende Glissandi im ganzen Orchester, und immer wieder durch Imitationen von Autohupen.

Als Inbegriff des von Piazzolla begründeten Tango Nuevo erweist sich sein berühmter "Libertango". Bandoneon, Klavier und Streicherapparat scheinen sich hier im überschäumenden Freiheitsdrang an virtuosen Läufen, pochenden Synkopierungen oder den elegischen Hauptmotiven mit Ohrwurmcharakter gegenseitig übertrumpfen zu wollen, nehmen die Herausforderung zum akustischen Kopf-an-Kopf-Rennen geradezu enthusiastisch an. Dass der Tango auch auf dem großen Konzertpodium seine eigenständige Berechtigung hat, beweist das eingespielte Duo Binelli-Ferman in Piazzollas opulentem, mit dem Titel "Aconcagua" nach dem höchsten Anden-Gipfel benannten Bandoneon-Konzert. Über vorwärtstreibenden Staccato-Effekten entfalten sich im Kopfsatz kunstvoll der essenzielle Charakter, die Leidenschaft, Dramatik, Erotik und Heftigkeit des Tanzes, die vor allem in den Kadenzen, welche der argentinische Solist genüsslich-gekonnt ornamentiert, spürbar werden. Die Nostalgie, die romantische Seite des Genres kommen dagegen im zweiten Satz zum Tragen, wenn Binelli die lyrischen Passagen - umschmeichelt von einem wunderschönen Violinsolo - hingebungsvoll auskostet, während er, mit einem Bein auf dem Stuhl stehend, schwelgend ins Publikum blickt, ehe das monumentale Pathos sich im explosiven, bombastischen Presto entlädt.

Der zweite Teil gehört zunächst ganz dem Georgischen Kammerorchester unter seinem Leiter Ruben Gazarian: Nino Rotas Streichkonzert in neoklassizistisch-barocker Bartók-Manier bietet den Musikern ideale Möglichkeiten, um hörbar zu machen, dass sie technisch wie auch in der klanglichen Ausdeutung absolut prädestiniert für diesen Stil sind. Sei es im kantablen und zugleich aufwühlenden Preludio, im tänzerisch-anmutigen, beschwingten Scherzo, in der schwärmerischen, sich intensiv verdichtenden Aria mit aufblühenden Violin- und Cellosoli oder im fulminanten Finale, in dem sich die Musiker, exzessiv angetrieben von ihrem Chefdirigenten, regelrecht aneinander aufpeitschen.

Sich und seiner langjährigen Duo-Partnerin Polly Ferman auf den Leib geschrieben hat Binelli seine "Homenaje al Tango", die an diesem Abend als gefeierte europäische Erstaufführung erklingt. Bei ihr zeigt sich, dass der Argentinier nicht nur ein exzellenter Bandoneonspieler und Arrangeur, sondern auch ein begnadeter Komponist ist. Mit diesem packenden Doppelkonzert reflektiert er seine Beziehung zu Piazzollas Ausdruckswelten, offenbart die tiefe Verbundenheit zu seinem einstigen Mentor, den zu interpretieren er wie kein Zweiter vermag. Wie sein Vorbild, dessen Sextett er sogar noch angehörte, atmet Daniel Binelli mit dem Balg seines Bandoneons, verschmilzt mit ihm zu einem tönenden Tangokörper. Pianistin Polly Ferman kann dabei ebenso in einem ausgiebigen Solo brillieren, dem selbst Dirigent Ruben Gazarian verzückt lauscht. Das gesamte Ensemble steigert sich so wie von selbst in rauschhafte Klangekstasen hinein, um gleich darauf wieder in emphatischer Sehnsucht zu zerfließen.

Als krönender Ausklang kommt noch einmal Tangokönig Piazzolla selbst musikalisch zu Wort - in Gestalt von "Adiós Nonino", dem gefühlsgeladenen Nachruf auf seinen verstorbenen Vater. Die darin enthaltene bittersüße und doch zart verspielte Schwermut der Melodien überträgt sich direkt auf Binelli, zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, strömt von dort ausgehend weiter aus seinem Instrument, genauso wie aus den einfühlsamen Fingern von Polly Ferman am Flügel und aus den Reihen des emotional illustrierenden Orchesters.

Nach ergriffener Stille tosender Applaus, der von den Künstlern mit der Wiederholung des "Libertango" belohnt wird. Ein impulsiver, inspirierender, im wahrsten Sinne des Wortes perfekt harmonierender und obendrein Nationen verbindender Jahresauftakt.