Sebastian Seidl kann eigentlich so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Der Judoka aus Pförring hat schon viel gesehen und auch gewonnen, zum Beispiel Team-Bronze bei Olympia in Tokio. Im Jahr 2023 aber kam Seidl an seine Grenzen. Warum das so war, wie es mit seiner Karriere weitergeht, was er an Weihnachten plant und wo der Judoka 2024 unbedingt hin möchte, verrät er im Interview.
Herr Seidl, sind Sie ein Kämpfer?
Sebastian Seidl: Schon mein ganzes Leben lang.
Nur auf der Matte oder auch außerhalb?
Seidl: Das zieht sich durch mein Leben wie ein roter Faden. Genauso ehrgeizig, wie das Judo es mich gelehrt hat, bin ich im Alltag. Alle Herausforderungen nehme ich gleichermaßen an.
Wie denn?
Seidl: Judo heißt auf japanisch „der sanfte Weg“. Aus Erfahrung weiß ich zwar, dass er nicht unbedingt immer sanft ist (schmunzelt). Aber man lernt den fairen und respektvollen Umgang miteinander. Ich begegne meinem Gegenüber immer freundlich und höflich. Außerdem ist meine Reizschwelle sehr hoch geworden. Dass mich etwas aus der Bahn wirft, ist selten.
Gibt es nichts, das sie triggert? Simon Zachenhuber sagte neulich im Bayerischen Rundfunk, er stelle sich vor einem Boxkampf vor, dass sein Zug Verspätung hat. Was ist Ihr Zug?
Seidl: (lacht) Mit Sicherheit gibt es etwas. Das findet man dann eher im Privaten (überlegt). Extrem strukturierte Tagesabläufe triggern mich. Wenn 20 Termine anstehen, jeder zu einer exakten Uhrzeit und am besten noch alles drei Monate im Voraus geplant sein soll. Das geht mir extrem gegen den Strich. Ich bin gerne spontan.
Dann ganz spontan: Wie war das Jahr 2023 für Sie?
Seidl: Es war das anspruchvollste Jahr meines Lebens. Ich habe schon im März gesagt: Ich bin froh, wenn dieses Jahr vorbei ist. Jetzt habe ich es dann geschafft.
Das müssen Sie genauer erklären.
Seidl: Das Jahr hatte viele Höhen und Tiefen. Mir wurden viele Herausforderungen gestellt. Angefangen mit der Hochzeit im Oktober in Pförring und der Feier danach in Lanquaid bei Abensberg. Nicht falsch verstehen: Es war der schönste Tag meines Lebens. Wir hatten eine legendäre Party, eine wunderschöne Hochzeit, vom Wetter her hat es genau richtig gepasst. Einfach perfekt. Aber die Planung davor war enorm.
Sebastian Seidl: „Ich bin nicht abgehoben, sondern der ganz normale Nachbar von nebenan.“
Manche fliegen zum heiraten nach Venedig oder Las Vegas. Haben Sie bewusst die Heimat gewählt?
Seidl: Was das Standesamt anging schon. Unter anderem ist der Standesbeamte ein ehemaliger Klassenkamerad von mir. Da ist der Bezug einfach da. Die Traurede war sehr schön. Eine absolut richtige Entscheidung.
Sind Sie dort Sebi Seidl oder der erfolgreiche Judoka mit Olympia-Bronze?
Seidl: Ganz klar Sebi Seidl. Das ist mir auch wichtig. Ich werde zwar immer mal wieder auf Erfolge angesprochen. Die meisten kennen mich aber doch noch vom Fußballplatz in Pförring. Ich bin nicht abgehoben, sondern der ganz normale Nachbar von nebenan.
Sie sagten vorhin, Sie hätten sich schon im März gewünscht, das Jahr wäre vorbei. Was ist noch passiert?
Seidl: Im Februar habe ich mit einem Studium zum Trainerschein bei der IJF, der Internationalen Judo Federation, begonnen. Den brauche ich, damit ich bei internationalen Turnieren coachen darf. Das waren 14 theoretische Prüfungen und eine praktische Woche. Die Belastung war quasi „nebenbei“, zusätzlich zur Hochzeitsplanung. Und noch etwas kam hinzu.
Bitte.
Seidl: Im April 2022 haben wir angefangen, in Pförring ein Fünf-Parteien-Mietshaus zu bauen. Die Fertigstellung war bis Mai 2023 geplant. In der heißen Phase ging es rund, mit allen Problemen, die es momentan gibt, wie Lieferschwierigkeiten beim Material. Das war eine bodenlose Belastung. Mit der Unterstützung meiner Familie habe ich es geschafft, dass das Haus pünktlich stand.
Seidl: „Mein offizielles Karriereende werde ich Anfang Januar bekanntgeben.“
Diese Baustelle war damit geschlossen. Taten sich denn noch welche auf im Jahr 2023?
Seidl: Ja, es geht noch weiter. Ich habe am 1. Januar ein Praktikum beim Deutschen Judo-Bund angefangen. Ich selbst konnte verschiedene Maßnahmen wie Trainingslager und Turniere der Männer-Nationalmannschaft betreuen. Insgesamt bekam ich eine Einführung in das Trainerleben und Infos über die Umschulung von der aktiven Karriere zur Trainerlaufbahn.
Ist die aktive Karriere also beendet?
Seidl: Der Status ist folgender: Dieses Jahr war ich noch im Kader, habe Turniere und Wettkämpfe betreut, war als Trainingspartner vor Ort. Zum 1. Januar 2024 erlischt nach 17 Jahren mein Kaderstatus. Mein offizielles Karriereende werde ich Anfang Januar bekanntgeben.
Wie wirkt sich das auf Ihren Verein aus? „Einmal TSV Abensberg, immer TSV Abensberg“ haben Sie mal gesagt.
Seidl: Dabei bleibt es. In welcher Funktion weiß ich noch nicht, da sind wir in Gesprächen. Ich habe dort meinen ersten Schritt auf die Judo-Matte gemacht, ich werde dort meinen letzten Schritt machen. Ich werde dem TSV Abensberg treu bleiben.
Der Blick geht also nach vorne. War es das mit Höhen und Tiefen im Jahr 2023?
Seidl: Nein, einer der wichtigsten Schritte kommt ja noch! Im September habe ich bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei als Ausbilder für Spitzensportler angefangen. Ich selbst habe die Ausbildung bei der Sportförderung ja im Jahr 2012 begonnen und durchgemacht. Als aktiver Sportler war ich dann oft freigestellt. Jetzt sieht es anders aus: Eine 40-Stunden-Woche, in der ich als Polizeihauptmeister jungen Spitzensportlern aus verschiedenen Bereichen theoretischen und wie im Fall Selbstverteidigung praktischen Unterricht erteile.
Wie alt sind die Schüler?
Seidl: Die Jahrgänge reichen von 2001 bis 2007. Der jüngste ist 16.
Was würde denn der Lehrer Sebastian Seidl seinem 16-jährigen Ich raten?
Seidl: Dass es die beste Entscheidung war, zur Bayerischen Polizei zu gehen und die Ausbildung im Spitzensport zu machen. Ich war damals ein Kind der ersten Stunde, vorher gab es dieses Programm nicht in Bayern. Es gibt niemanden im ganzen Programm, der länger dabei ist als ich. Früher war die Ausbildung schon genial, jetzt wird sie immer besser. Für einen Spitzensportler aus einer Randsportart gibt es keine bessere Alternative.
Seidl: „Für mich gibt es 2024 ein großes Ziel: Olympia in Paris.“
Also hat sich alles zum Guten gewendet. Eigentlich ein schönes Jahr 2023, oder?
Seidl: Ja, absolut. Zwar mit sehr viel Stress und Aufwand, aber letztendlich hat alles gut funktioniert. Ich habe in jeglicher Hinsicht den größten Fortschritt meines Lebens gemacht.
Brauchen Sie an Weihnachten jetzt noch Trubel. Oder wird es besinnlich?
Seidl: Ich brauche Ruhe! Ich muss das Jahr gemütlich ausklingen lassen, es bleibt keine andere Option. Ein ganz entspanntes Weihnachten im Kreise der Familie. Meine Eltern bauen auch gerade ein Haus und ziehen dann um. Das heißt, es wird das letzte Weihnachten in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Das genießen wir nochmal richtig.
Was kommt bei Ihnen auf den Tisch?
Seidl: Bei uns gibt es am 24. abends verschiedene „Würscht“ von den Metzgereien und Bauern aus der Region.
Nach der Weihnachtspause steht das Jahr 2024 vor der Tür. Wird es ähnlich bewegt wie das aktuelle?
Seidl: Das kann eigentlich nicht sein, weil ich nicht mehr heirate. Und ich baue kein Haus mehr, ich habe die Schnauze voll (lacht). Für mich gibt es 2024 ein großes Ziel: Olympia in Paris. Ich will meine Athleten optimal darauf vorbereiten und auch in Frankreich dabei sein, um sie dann optimal zu betreuen. In welcher Funktion, wird man dann sehen.
Herr Seidl, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Breitenberger
Zu den Kommentaren