Rund sieben Monate vor der Heim-EM hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft unfreiwillig wieder eine Menge getan, um keinesfalls zu den Favoriten gezählt zu werden. Wer gehofft hatte, dass unter Julian Nagelsmann als neuem Bundestrainer alles positiver wird, wurde spätestens durch die 0:2 (0:1)-Niederlage gegen Östereich in Wien eines Besseren belehrt.
Peinlicher Auftritt der DFB-Elf in Wien
16589 Tage nach der Schmach von Cordoba („narrische“ 2:3-Pleite bei der WM in Argentinien) und 15124 Tage nach der Schmach von Gijon (1:0 nach „Nichtangriffspakt“ bei der WM in Spanien) also ein weiterer Tiefpunkt für Fußball-Deutschland. Und das beileibe nicht nur wegen des Ergebnisses. Der Auftritt im Ernst-Happel-Stadion war peinlich.
Das große Sorgenkind ist und bleibt die Defensivabteilung. Diesmal versuchte es Nagelsmann mit jeder Menge Robustheit im Abwehrzentrum – ließ dort Mats Hummels zusammen mit Antonio Rüdiger und Jonathan Tah ran. Also eine Art „Ochsenkette“ mit jeder Menge Erfahrung, um es etwas uncharmant zu formulieren. Bloß was nutzt alle Körperlichkeit, wenn auf der anderen Seite die nicht minder wichtige Schnelligkeit fehlt?
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DFB-Elf zu Beginn noch mit Glück
Prompt hätte die DFB-Elf schon nach rund einer Viertelstunde mit 0:2 hinten liegen können, nachdem Michael Gregoritsch gleich zweimal mutterseeelenallein vor dem deutschen Kasten aufgetaucht war. Das erste Mal setzte der Freiburger die Kugel per Direktschuss knapp am langen Pfosten vorbei (12.), dann scheiterte er am da noch sensationell reagierenden Keeper Kevin Trapp (16.).
Die nächste Nachlässigkeit im DFB-Defensivverbund blieb nicht mehr ohne Folgen: Nach Zuspiel von Christoph Baumgartner durfte Marcel Sabitzer in aller Ruhe in den Strafraum dribbeln und aus rund 14 Metern halblinker Position erfolgreich ins kurze Eck abschließen. Tah leistete in dieser Szene nicht mehr als Begleitschutz, und auch Trapp machte bei diesem österreichischen 1:0 keine allzu gute Figur (29.).
Zu allem Überfluss schwächelte in Wien nun auch die deutsche Offensive. Mit der Hereinnahme von Leon Goretzka in die Startformation anstelle von Joshua Kimmich versuchte Nagelsmann zwar, neue Impulse im Aufbauspiel zu setzen – aber die Hoffnung, dass Kapitän Ilkay Gündogan in dieser neuen Konstellation aufblühen würde, erfüllte sich nicht. Ganz im Gegenteil: Aus dem Mittelfeldzentrum kamen keinerlei Ideen, über die Außenbahnen wurde keinerlei Druck gemacht – und so hing der bedauernswerte Niklas Füllkrug in der vordersten Spitze komplett in der Luft.
Österreich erteilt Deutschland Anschauungsunterricht
Die 1:0-Pausenführung für Team Austria: mehr als verdient. Die Gastgeber spielten genau so, wie man es sich von den DFB-Kickern gewünscht hätte: mit mutigem Offensivpressing, großer Laufbereitschaft und giftiger Abwehrarbeit. Dass sich Fußball-Deutschland 45 Minuten lang besten Anschauungsunterricht von Österreich erteilt bekommt, wer hätte das jemals für möglich gehalten?
Leroy Sané flippt aus und sieht Rote Karte
Um es böse auszudrücken: Nagelsmann hätte vor dem Seitenwechsel locker elfmal wechseln können, und es hätte keinen Verkehrten getroffen. Letztlich erwischte es nur Füllkrug, für ihn rückte Thomas Müller als frische Kraft in die Angriffsmitte. Aber der zweite Durchgang war dann noch keine vier Minuten alt, da gab es bereits den nächsten Tiefpunkt aus deutscher Sicht, als Leroy Sané komplett die Sicherungen durchbrannten: Zunächst trat er Philipp Mwene unmotiviert in die Hacken, anschließend streckte der Münchner den Mainzer per Ellbogencheck nieder. Eine durch nichts zu entschuldigende Aktion, die natürlich die Rote Karte nach sich zog (49.).
Kaum in Unterzahl, wechselte Nagelsmann zwar eifrig – unter den Neuen befand sich mit dem Leverkusener Robert Andrich auch ein Debütant – aber die Luft aus dem deutschen Spiel war nach Sanés Black-out endgültig raus. Die logische Konsequenz war das 2:0 für Team Austria in der 72. Minute: Ein Zuspiel von David Alaba, das Gregoritsch nur kurz abtropfen ließ, reichte schon aus, um Rüdiger und Hummels zu Statisten zu degradieren – und den Rest erledigte Baumgartner mit einem feinen Heber über Trapp hinweg.
Wie hatte der Bundestrainer 24 Stunden vor der Blamage am Dienstag noch erklärt: „Wir tun gut daran, die öffentliche Meinung erst einmal aus den Köpfen zu verbannen.“ Er sollte diese Ansicht schnellstens überdenken – denn die deutsche Nationalelf ist spätestens nach den 90 Minuten von Wien auf dem Weg, auch den allerletzten Kredit bei den eigenen Fans zu verspielen.
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