Ingolstadt
Anschreiben gegen das Vergessen

Am Sonntag erhält die Schriftstellerin Iris Wolff den Marieluise-Fleißer-Preis

21.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:34 Uhr
"Meine Figuren sind von der Zeit geprägt, in der sie leben, von den politischen Verhältnissen, der Geschichte": Iris Wolff. −Foto: Schubring

Ingolstadt/Freiburg (DK) Ein Preis bedeute für selbstständige Künstlerinnen und Künstler finanzielle Sicherheit, aber vor allem einen großen immateriellen Wert, hatte die in Freiburg lebende Schriftstellerin Iris Wolff im Interview mit unserer Zeitung Ende Juli gesagt.

Wenige Tage zuvor hatte sie erfahren, dass sie mit dem Marieluise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt ausgezeichnet wird. An diesem Sonntag, 11 Uhr, wird ihr der mit 10 000 Euro dotierte Preis in einer Feierstunde im Foyer des Stadttheaters verliehen.

Iris Wolff erhält den alle zwei Jahre ausgelobten Preis für ihr Gesamtwerk. In ihren Romanen "Halber Stein" (2012), "Leuchtende Schatten" (2015) und "So tun, als ob es regnet" (2017) erzählt Wolff von der Landschaft und der Geschichte ihrer Kindheit und ihrer Familie anhand von Einzelschicksalen. Ihre Romanfiguren sind eingebunden in die europäische Geschichte, überschreiten Länder- und Kulturgrenzen und entwickeln dabei immer ein Eigenleben. Sie suchen ihr eigenes Glück, sind auf meist unspektakuläre und leise Weise widerständig gegen den sogenannten Gang der Geschichte. "Meine Figuren ziehen es vor, sich auf ihre Wahrnehmung zu verlassen, sie entscheiden, wann es lohnt zu handeln, zu sprechen - und wann das Zuhören oder die Stille das beste Heilmittel ist", beschreibt Iris Wolff, was es mit dem für ihren letzten Roman titelgebenden rumänischen Sprichwort "So tun, als ob es regnet" auf sich hat: "Man täuscht eine Art Versunkenheit, geistige Abwesenheit vor." Im aus vier miteinander verwobenen Geschichten aufgebauten Roman tut das Henriette, als Kind und Frau. Das sei mit einem Augenzwinkern zu verstehen: Obwohl man alles höre, müsse man sich nicht zu allem verhalten, nicht alles auf sich beziehen.

So ist auch ihre Sprache, ist ihr Schreib- und Erzählstil. Ruhig, in poetischen Bildern lässt sie ihre Figuren, die allesamt miteinander verbunden, teils verwandt sind, zwei Weltkriege durchschreiten, Tod, Deportation, Krankheit, Verlust ebenso erfahren wie Lebendigkeit, Lust und Liebe, Momente der Freiheit und der Gemeinschaft. Wolff schreibt leise und eindringlich zugleich gegen das Vergessen an. Im Erzählfluss erleben und handeln ihre Figuren nicht nur, sondern erinnern an Verlorenes, Gewesenes.

So sieht ihre Protagonistin Sine im Roman "Halber Stein" bei einem Besuch in der alten Heimat die Orte ihrer Herkunft, erinnert sich an Details, die sie als Kind einst prägten, spürt Trauer um das Verlorene - sie ist zur Beerdigung ihrer Großmutter gefahren. Doch nur so wird sie sich ihrer selbst bewusst und kann reifen.

Iris Wolff, 1977 im siebenbürgischen Hermannstadt geboren und bis zur Emigration im Jahr 1985 gemeinsam mit ihrer Familie nach Deutschland im Banat und in Siebenbürgen aufgewachsen, verortet ihre Figuren und Geschichten zwar in Ost- und Südosteuropa, doch behandelt sie allgemeingültige Themen: Bedingungen für Beziehungen, Fragen nach Freiheit und Anpassung, nach Ver- und Entwurzelung sowie nach Werten. So nennt Wolff auf die Frage nach einem oder einer Favoritin im Werk der Fleißer die "Mehlreisende Frieda Geier" (Roman "Eine Zierde für den Verein", 1975) als "ein spannendes hochaktuelles Buch", dem sie, die studierte Germanistin und Dozentin für Kunst- und Kulturvermittlung, "neue Leserinnen und Leser" wünscht.

Dass ihrem Werk dasselbe zuteil werden sollte, ist unter anderem daran zu erkennen, dass Iris Wolff mehrfach für ihre literarische Arbeit ausgezeichnet wurde und wird. Am Sonntag nimmt sie den renommierten Marieluise-Fleißer-Preis in Empfang. Nur wenige Tage später, am 2. Dezember den Thaddäus-Troll-Preis des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. Beginn der Preisverleihung am Sonntag, 24. November, im Foyer des Stadttheaters Ingolstadt ist um 11 Uhr. Die Laudatio hält Klaus Hübner vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) der LMU München. Der Eintritt ist frei.

Marieluise-Fleißer-Preis

Der Marieluise-Fleißer-Preis ist ein Literaturpreis, der seit 1981 von der Stadt Ingolstadt verliehen wird. Der Preis ist mit 10000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre an deutschsprachige Autoren verliehen, deren Werke ähnlich wie die Marieluise Fleißers (1901-1974) den Konflikt zwischen unerfüllten Glücksansprüchen und dem alltäglichen Leben zum zentralen Thema haben. Preisträger sind u.a. Herta Müller, Franz Xaver Kroetz, Sibylle Lewitscharoff und Christoph Ransmayr.

Barbara Fröhlich