Pfaffenhofen
Annemarie Nusser schließt das Wollhaus Raschky - wegen Corona mit einem Jahr Verspätung

16.12.2021 | Stand 20.12.2021, 3:34 Uhr
Im Reich der Wolle: Seit 1924 betrieb die Familie von Annemarie Nusser ihr Geschäft in der Pfaffenhofener Auenstraße. Zunächst als Flachshandlung, zuletzt als Handarbeitsgeschäft. Zum Jahreswechsel hört Nusser auf. −Foto: Bendisch

Pfaffenhofen - Das alte Rollo mit der Aufschrift "Wir dekorieren" bleibt zum Jahresende endgültig unten; von der Aufschrift "Wollhaus Raschky" an der Fassade sind nur noch zwei Buchstaben übrig. "Wenn's gut ist, dann ist's gut", sagt Annemarie Nusser, die ihr Traditionsgeschäft in der Pfaffenhofener Auenstraße am 31. Dezember schließt.

Mit einem Jahr Verspätung, denn die Geschäftsaufgabe sollte eigentlich schon zu Silvester 2020 über die Bühne gehen. Die Corona-Pandemie und der Lockdown sorgten dafür, dass Handarbeiten wieder hoch im Kurs standen und so bekam die treue Stammkundschaft letztlich ein Jahr Verlängerung. Immer freundlich, hilfsbereit und geduldig, so kennt man Annemarie Nusser in ihrem kleinen Geschäft, in dem sich seit vielen Jahren nichts verändert hat. Wozu auch? Zum Einkauf gab es den Handarbeitsunterricht immer gratis mit dazu und auch wenn Kunden selbst im dritten Anlauf das Zopfmuster nicht auf die Reihe bekamen, blieb Annemarie Nusser gelassen und zeigte es noch einmal: "Nur die Ruhe, das wird schon."

Alle Handarbeitstechniken von der Hardanger-Stickerei bis zum Filethäkeln beherrscht sie natürlich aus dem Effeff, nur Nähen ist ihr ein Graus: "Ich bring keine gerade Naht zusammen..." Das stimmt so nicht, hat sie als junges Mädchen doch die Kleidung selbst genäht. Das musste damals so sein. Wie so einiges sein musste, als Selbstverwirklichung noch kein Thema war.

Natürlich hat es Träume und Wünsche gegeben, aber die wurden hintenan gestellt, da biss die Maus keinen Wollfaden ab. Am liebsten hätte sie Archäologie studiert und überhaupt weitergelernt - "Ich ärgere mich bis heute, dass ich kein Latein kann" - aber nach der Mittelschule war Schluss, weil man sie daheim brauchte: Die Mutter wurde krank und die Tochter musste Laden und Haushalt übernehmen. Stricken, häkeln und so weiter konnte sie natürlich - "das hat man von der Mutti so angefangen" - als Grundausstattung für ein Berufsleben, das künftig von Wolle, Garn und Nadeln bestimmt wurde.

Neben vielen Frauen zählt Annemarie Nusser auch zwei strickende Männer zu ihrer Kundschaft: "Der eine strickt sogar recht Anspruchsvolles wie Fingerhandschuhe. Und dann gibt es noch einen älteren Herrn, der wunderbare Kreuzsticharbeiten nach Zählmuster macht." Sonderangebote beim Stickgarn - gern Gold und Lila - da kaufte auch ein bekannter Senior gern im Wollhaus Raschky ein: Der unlängst im Alter von 85 Jahren verstorbene Pfarrer Alois Gurtner brauchte immer Material für seine komplizierten prächtigen Strohsterne (gewickelt, nicht geklebt).

Immer reichlich selbst gefertigtes Anschauungsmaterial auf der Ladentheke; auch das gehörte zum Erfolgsrezept: "Stricken, sticken, ganz egal. Entspannung beim Fernsehen." Von der Strickmaschine hat sie sich deshalb auch längst wieder verabschiedet: "Da muss man sich schon sehr konzentrieren; gemütlich ist anders."

"Wenn ich 70 werde, dann hören wir auf", hatte ihr Bruder Otto gesagt, gelernter Koch und Unterstützung im Geschäft. Sicher sorgte er dafür, dass es um die Mittagszeit im Wollhaus Raschky einladend duftete. Otto Nusser starb vor zwei Jahren; im letzten Jahr wäre er 70 geworden. Corona hat alles verändert, auch die Pläne der Schwester für den Ruhestand: "Reisen wäre natürlich schön, aber wohin und mit wem? Das ist derzeit alles so eine Sache."

Gestrickt wird weiterhin, am liebsten mit dünner Wolle, soviel steht fest. Aber nicht für den Eigenbedarf, denn Annemarie Nusser - die kein Problem damit hat, "Frau Raschky" genannt zu werden - mag sich in den perfekt gestrickten Pullovern oder Jacken selbst nicht sehen: "Naaa, schon seit 30 Jahren nicht mehr!" Ein neuer Lebensabschnitt ist aber eine Überlegung wert: "Warum eigentlich nicht, vielleicht zieh ich ja doch mal was an..."

PK