Ingolstadt
Am Samstag ins Büro

Das Ingolstädter Museum für Konkrete Kunst eröffnet morgen die große Frühjahrsausstellung "Out of Office"

30.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:23 Uhr

Welcher Arbeitsplatz gehört zu welchem städtischen Mitarbeiter? Die Fotoserie "Ingolstädter Amtsstuben" von Gert Schmidbauer ist Teil der neuen Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst und mit den Porträts der Schreibtischbesitzer als Ratespiel gedacht. Hier sind unter anderem die Arbeitsplätze von zwei Bürgermeistern zu sehen. - Fotos: Schmidbauer

Ingolstadt (DK) Mit Leiter und Stativ ist er ausgezogen, hinein in die Ingolstädter Amtsstuben. Und siehe da: Ordnung all überall bei den städtischen Mitarbeitern. Kein Schreibtisch, sei er aus Holz, Glas oder Kunststoff, ein Chaos! Staatstragende Leere hier, zur Schau gestelltes Riesenarbeitspensum da, elegantes Kreativarrangement dort. Überall Computer (nur der Dritte Bürgermeister fällt aus dem Rahmen, er benutzt einen händischen Terminplaner), selten eine Topfpflanze und wirklich nirgends kompromittierende Dokumente. "Natürlich haben sich die Schreibtischbesitzer genau überlegt, wie sie ihren Arbeitsplatz öffentlich zeigen wollen", sagt Gert Schmidbauer und lacht. Im Auftrag der Leiterin des Museums für Konkrete Kunst (MKK), Simone Schimpf, hat der Ingolstädter Fotograf 20 kommunale Schreibtische fotografiert, ab Samstag kann man im Museum raten, welches Szenario zu Oberbürgermeister, Kulturreferent, Stadtbaurätin oder Orchestergeschäftsführerin gehört.

Denn die Fotoserie "Ingolstädter Amtsstuben" als Rätselspiel ist ein kleiner, augenzwinkernder Lokalbeitrag zur großen MKK-Frühjahrsausstellung, die am Samstag eröffnet wird. "Out of Office" heißt sinnfällig die Schau mit rund 100 Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die sich tatsächlich mit Büro befassen. Das kommt nicht von ungefähr: "Ordnung, Systeme, Ablage - das sind ganz wesentliche Fragestellungen der Konkreten Kunst", sagt Simone Schimpf.

Auf das Thema kamen sie und ihr Team trotzdem zunächst aufgrund eigener leidvoller Erfahrung. "Wir fühlten uns zunehmend gequält von Bürokratie und Verwaltung", erzählt die Museumsleiterin. Irgendwann im regelmäßigen gemeinsamen Klagen machte es dann klick. Schnell offenbarte das "Büro" sein ganzes Potenzial, längst sind die Ausstellungsmacher hellauf begeistert von seiner Komplexität. "Spannend ist vor allem, wie verändert sich das Büro, das sich ja mittlerweile aufs Smartphone verlagert hat", erklärt Simone Schimpf. "Was verschwindet da, an Kultur, an Objekten" Ein regelrechtes Aha-Erlebnis sei für sie gewesen, als sie bei der Recherche für das Projekt einen mit Schreibmaschine getippten Brief mit dem Stempel "Streng vertraulich" fand. "Das ist heute undenkbar - Schreibmaschine, vertraulich! - und dabei war der Brief keine 30 Jahre alt."

Mit dem Büro als Sinnbild der modernen Gesellschaft und ihrer Ordnungsprinzipien beschäftigen sich denn auch die 30 Aussteller - vom selbst ernannten Bürokünstler Ignacio Uriarte über den Schweizer Beat Doderer bis hin zu Karin Sander und Hanne Darboven - und mancher von ihnen wird wohl dafür sorgen, dass vom Verschwinden bedrohte analoge Materialien noch ein wenig im Bewusstsein bleiben. Da wurden konkrete Gedichte mit der Maschine getippt oder Lochkarten seriell nebeneinander montiert, da stecken sich bunte Klarsichthüllen zum farbformalen Bild, formieren sich Geodreiecke als ästhetisches Objekt, erweist sich Millimeterpapier als handgezeichnet oder präsentiert sich gar eine ganze Wand bestückt mit Schreibtischutensilien. Von dieser riesigen temporären Wandinstallation von Tina Haase im ersten Stock bis zum kleinen Post-it-Zettel spannt sich der Größen-Bogen dieser Schau, zu der auch fotografisch dokumentierte Büropflanzen, zur Kunst deklarierte Schreibtischunterlagen oder Papierkörbe gehören.

Letztere sind in der Abteilung "Ordnung und Verwerfung" zu bestaunen, denn das Museumsteam (Kuratorin der Schau ist Theres Rohde) hat die Vielfalt der Exponate aus 50 Jahren in zwölf Kapitel gefasst. Schreibmaschinenkabinett, Wirk- und Teilzeitkräfte, Ablagesysteme, Richtlinien, Zeitmanagement, Bürovegetation, Abgestempelt, Standard und Normen, Controlling und Ausbruch, Abwesenheitsnotiz (und eben "Ordnung und Verwerfung" und "Ingolstädter Amtsstuben") heißen die - man merkt auch gleich: Das Museum ist derzeit Büro.