"Alpsegen" herrlich schräg

17.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:55 Uhr

Voll schwarzen Humors: Gunter Senkels und Feridun Zaimoglus "Alpsegen" treibt weißblaue Befindlichkeiten und Klischees provozierend auf die Spitze. Das Premierenpublikum in den Kammerspielen applaudierte begeistert. - Foto: Julian Röder

München (DK) Hexen und Lemuren, Dorftrottel und Alpen-Öhis, Schmied-von-Kochel-Doubles und Tattoos-Rübezahls rutschen auf den Knien über den Boden eines vom Nebel eingehüllten plüschigen Etablissements (Bühnenbild: Muriel Gerstner), um schließlich stockbesoffen oder im religiösen Wahn über die Bühnenrampe zu purzeln.

Inbrünstig beten und bekreuzigen sie sich, jodeln und stammeln wirres Zeug zu den Tönen einer Tuba oder stoßen Urlaute aus, die in jedem Neandertalercamp eine Revolution angekündigt hätten.
 
Doch des Irr- und Wahnsinns nach dieser ebenso herrlich schrägen wie schwarzhumorigen Eingangsszene ist noch lange nicht Schluss. Denn Regisseur Sebastian Nübling toppt diese "Ouvertüre" von Feridun Zaimoglus und Günter Senkels "Alpsegen" in den folgenden zwei Stunden noch ganz gewaltig mit reichlich aufgebrezelten Klischees über die weißblauen Befindlichkeiten und mit beinhart servierten Momentaufnahmen schier grenzenloser bayerischer Lebensfreude und unerschütterlicher Mia-san-mia-Mentalität. Triviviale Abstürze sind dabei stets inbegriffen.
 

Die famose Gundi Ellert beispielsweise schleppt als resolute Wirtshausbedienung im schwarzen Edeldirndl nicht nur Stühle und Maßkrüge für die stumpfen und dumpfen Stammtischbrüder herbei. Währenddessen räsonniert sie als g’scherte Ratschkathl nicht nur über Gott und Welt und auch noch sehr wortmächtig und umfassend über solch lebenswichtige Utensilien wie die Salz-und-Pfeffer-Streuer auf.

Diese prallen Soli sind ebenso Glücksmomente in dieser Uraufführung wie Michael Tregors hinreißende Darstellung eines Münchner Dreiquartelprivatiers, der – nur von kurzen Sprech- und Schlafpausen unterbrochen – im Vollrausch die Speisenkarte einer "Traditionsgaststätte" gottserbärmlich lallend rauf und runter zitiert. Ein Prosit der Gemütlichkeit! Herbert Achternbusch, Franz Xaver Kroetz und so manche Kabarettisten aus dem Wirtshaus im Schlachthof lassen dabei schön grüßen. Und doch gehören diese Szenen, die in die Niederungen weißblauen Selbstverständnisses führen, zu den besten Momenten dieses Stückes. Denn zwischen der herrlich ätzenden Satire über das Wesen des "homo bavaricus" wütet ganz bös’ der Föhn, der allen Bewohnern südlich der Donau bekanntlich den Verstand raubt.

Schade nur, dass die beiden Autoren und der Regisseur die Episoden mit dem biederen Familienvater Curd (Jochen Noch), der auf ach so wilder München-Tour ein Abenteuer mit einem schwulen italienischen Eisverkäufer (Kristof Van Boven als berechnend-narzistischer Jüngling) eingeht, ebenso unnötig ausgewalzt haben wie die Parodien auf spiritistische Séancen frömmelnder Heilsbringer. Und dass der korpulente und schüchterne Max (Benny Claessens) von Transvestiten in Nonnenkluft angemacht und ihm von der obersten Ordensschwester Cecilia (Wiebke Puls als forsche Domina) nicht nur der Kopf eingeseift wird, mag manch treue Theaterabonnenten vielleicht irritieren. Doch diese Szenen, als Provokationen gedacht, bleiben letztlich sehr schal.

Das mit reichlich Kultur-Promis durchsetzte Premierenpublikum applaudierte am Ende der Uraufführung voll köstlicher, bisweilen freilich auch überdrehter Bayern-Persiflagen samt einigem Leerlauf heftig. Bejubelt wurden die anwesenden Autoren, das Produktionsteam und vor allem die Darsteller all der knorrigen Typen aus den bayerischen Bergen und der seltsamen Bewohner des Alpenvorlandes.