Eichstätt
56 Aktive weniger in einem Jahr

Kreisbrandrat Martin Lackner über den Mitgliederschwund bei den Feuerwehren im Landkreis Eichstätt

01.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:32 Uhr
Wenn es kracht - wie hier im Juni 2017 auf der B 13 in den Serpentinen - ist die Feuerwehr zur Stelle, um zu helfen. −Foto: Chloupek

Eichstätt (EK) Die Zahlen der aktiven Feuerwehrleute klettern über die Jahre auf und ab, doch der Trend ist unverkennbar - er zeigt stetig nach unten.

1992 gab es noch 6320 Ehrenamtliche, 2018 waren es nur noch 5887. Allein im Jahr 2018 haben die 145 Wehren im Landkreis 56 Aktive verloren. Kinderfeuerwehren, Ausrückegemeinschaften - die Brandlöscher machen sich schon lange Gedanken, wer in Zukunft ausrückt, wenn es brennt, wie Kreisbrandrat Martin Lackner erklärt.

Herr Lackner, die Zahl der Aktiven bei der Feuerwehr nimmt ab. Warum ist das so?
Martin Lackner: Dass es abwärts geht, weiß wahrscheinlich jeder. Ich denke, unsere Gesellschaft hat sich ein bisschen verändert. Früher waren mehr Leute im Handwerksbereich zu Hause, jetzt gehen mehr zum Studieren. Diejenigen, die früher im Handwerk eine Tätigkeit in der Nähe gefunden haben, sind jetzt beim Studium im In- und Ausland unterwegs. Damit fehlen junge Nachwuchskräfte.

Wie ist es mit dem Arbeitgeber? Hat die Bereitschaft, Arbeitskräfte für einen Einsatz freizustellen, abgenommen?

Lackner: Das ist es weniger. Früher hat man mehr Landwirte gehabt, die bereit waren, mitzuhelfen. Aber es gibt immer weniger Vollzeitlandwirte, die fehlen natürlich auch.

Die Feuerwehren versuchen schon lange einiges, um dem Schwund entgegenzuwirken.

Lackner: Genau, zum Beispiel Kinderfeuerwehren, die Nachwuchs im Alter von sechs bis zwölf Jahren aufnehmen. Die können jetzt gegründet werden, sie sind auch der aktiven Feuerwehr, sprich, der Gemeinde unterstellt. Im Moment - Stand Ende Dezember 2018 - haben wir sechs Kinderfeuerwehren im Landkreis.

Sind sie beliebt? Wie kommen sie bei den Kindern an?

Lackner: Es sind jetzt um die 150 Kinder, die den Traum vor Augen haben, mal bei der Feuerwehr zu sein. Es hat ja etwas Magisches, ein rotes Auto mit dem Blaulicht drauf, das zieht Kinder an. Wenn man bei ihnen nachfragt, was willst denn werden, dann ist Feuerwehrmann immer mit dabei. Und wenn man diese Begeisterung, diese Flamme, über die Jahre aufrechterhalten kann, dafür sorgt, dass sie nicht erlischt, dann kann man sie irgendwann für das Ehrenamt gewinnen. Feuerwehren sind ja auch in anderer Hinsicht wichtig für die Gesellschaft, etwa in kultureller. In der Regel machen zum Beispiel fast alle Feuerwehren Maibaumaktionen oder andere Veranstaltungen draußen in den Orten.

Wer kann alles bei der Feuerwehr mitmachen?

Lackner: Jeder. Wir haben auch Leute dabei, die eine kleine körperliche Behinderung haben, auch die sind mit dabei. Es muss ja nicht jemand mit einer kleinen Behinderung ein schweres Gerät in die Hand nehmen. Er kann sich vielleicht um den Verletzten kümmern, leichte Kehrarbeiten übernehmen oder die Verkehrsabsicherung machen. Es gibt für jeden Arbeit. Wir reden doch von Inklusion, wir reden davon, Menschen mit Behinderung in die Schulen aufzunehmen. Wir Feuerwehren schaffen das auch.

Es gibt auch immer mehr Frauen bei den Aktiven.

Lackner: Richtig, wir haben 586 Frauen, im Jahr 2018, von 5887 Aktiven. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Es war früher eine reine Männerdomäne, das ist aufgeweicht worden. Es gibt Feuerwehren wie Kösching, eine ganz starke Feuerwehr, die müsste knapp 80 Aktive haben und davon sind 28 Frauen dabei. Das ist eine Wahnsinnszahl. Frauen bringen sich stark ein, haben auch andere Ideen als Männer - das schadet ja nicht. Gemeinsam finden wir zum Ziel, das ist das Wichtige. Wie in der Ehe auch (lacht).

Was sind die Gründe für ein oft jahrzehntelanges Engagement?

Lackner: Es ist die Möglichkeit, jemandem zu helfen, die für Glückshormone sorgt. Manchmal gibt es ein ,Danke' dafür, manchmal auch nicht. Ich glaube, das Helfen dürfte der Hauptgrund für viele Aktiven sein, zu sagen, ich möchte mitmachen. Das ist was Tolles, das ist auch bei mir so.

Jetzt sind wir schon bei Ihnen. Sie sind als Quereinsteiger zur Feuerwehr gekommen.

Lackner: Ich bin im zarten Alter von 32 Jahren zur Feuerwehr gekommen, als ich von Ingolstadt nach Stammham gezogen bin. Dort habe ich ein Haus gebaut und mein Nachbar hat mich auf die Idee gebracht. Immer wieder hat er gesagt, ,komm halt mit'. Es hat mich anfangs nicht so interessiert und irgendwann hat er halt den Entschluss gefasst, mich an der Hand zu nehmen. Er hat mich mit dem Auto abgeholt und ins Feuerwehrhaus mitgenommen. So ist das Ganze entstanden.

Warum waren Sie zunächst nicht interessiert?

Lackner: Ich habe ein anderes Hobby gehabt, ich war beim Singen unterwegs, war in meinen jungen Jahren lange Discjockey und habe an so was gar nicht gedacht. Aber wenn du einmal dabei bist und jemandem helfen kannst, das sind so Glücksmomente, die kann dir keiner nehmen. Natürlich sind auch nicht so schöne Momente dabei. Die Arbeit bei der Feuerwehr kann auch zu Lernprozessen anregen, die gut für die Arbeit oder das Familienleben sein können.

Gibt es einen Einsatz, der Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?

Lackner: Wir mussten mal einen jungen Mann aus dem Auto rausschneiden, zwischen Wettstetten und Schelldorf, und haben gemeint, das wird nichts mehr. Ein halbes Jahr später hat mich seine Frau kontaktiert und gefragt, ob wir uns mal treffen könnten. Da ist sie mit ihren Kindern gekommen und mit ihrem Mann, der war wieder hergestellt. Zwischendurch war er in Murnau in der Unfallklinik, wo die Schwerstverletzten hingebracht werden. Nun stand er vor uns, als ob nie etwas gewesen wäre. Da sind uns schon Tränen in den Augen gestanden.

Ebenso bleiben auch die schlimmen Ereignisse.

Lackner: In Stammham ist mal ein Kleinkind ertrunken in einer Güllegrube, da war ich gerade erst frisch Kommandant. Das hat mich dann schon eine ganze Zeit belastet.

Heute können Feuerwehrleute nach solchen Einsätzen Hilfe bekommen.

Lackner: Ja, ich komme ab und zu als Stellvertreter auf Autobahnen. Wenn jemand gestorben ist und noch kein Kriseninterventionsteam (KIT) oder ein Seelsorger gekommen ist, dann stehe ich mit den Feuerwehrleuten kurz zusammen. Wir nehmen den Helm ab, es muss keiner beten, aber wir halten eine Minute inne, jeder soll kurz über den Einsatz nachdenken. Dann geht es wieder an die Arbeit. Aber auch später können sich Feuerwehrleute an das KIT-Team wenden, zudem ist Engelbert Erb aus Dörndorf Seelsorger des Kreisfeuerwehrverbands.

Welche Probleme entstehen, wenn den Wehren zunehmend Aktive fehlen?

Lackner: Wir sind dadurch tagsüber etwas schwächer besetzt, deshalb sind die Ausrückegemeinschaften entstanden. Das heißt, ich hole mir einen Nachbarn an meine Seite. Die Ersten waren Wellheim und Konstein, dann folgten Schelldorf, Biberg und Krut. Drei Feuerwehren, die mittlerweile ein gemeinsames Feuerwehrgerätehaus haben, mit einer Menge Leute, die auf zwei Autos zugreifen. Vor 40 Jahren habe ich mal Fußball gespielt, da hat es damals schon Spielgemeinschaften gegeben. Was Fußballmannschaften schaffen, müssen Feuerwehren auch schaffen. Etwa 70 von 145 Feuerwehren im Landkreis, also etwa 50 Prozent, haben Ausrückegemeinschaften.

Kinderfeuerwehren, Jugendarbeit - was tun die Brandlöscher noch gegen den Schwund?

Lackner: Wir merken, dass die Feuerwehren das sehr ernst nehmen und auch was dagegen tun. Kinderfeuerwehren gründen, Jugendfeuerwehrarbeit verstärken, Es gibt auch die Möglichkeit der Doppelmitgliedschaft, das heißt, ich wohne in Dorf A und arbeite in Dorf B und rücke tagsüber dort mit aus. Es sind über 600 Aktive im Landkreis Eichstätt, die die Doppelmitgliedschaft haben. Aber der Arbeitgeber muss eben mitspielen.

Die Bereitschaft, in den Alpen zu helfen, zeigt ja, dass viele Aktive nach wie vor sehr begeistert bei der Sache sind.

Lackner: Der Landkreis Eichstätt hilft dem Landkreis Traunstein - ich war überwältigt, wie viele Leute sich zur Verfügung gestellt haben. Wir sind mit über 500 Leuten in drei Kontingenten gefahren, immer zwei Tage lang. Ich bin mir sicher, dass mindestens noch die gleiche Menge an Leuten zu Hause gewesen wären, die mithelfen wollten. Die Aktiven haben den ganzen Tag geschaufelt und ich habe nicht einmal eine Beschwerde gehört.

Hier gab es für die Ehrenamtlichen viel Lob, immer wieder hört man aber, dass Feuerwehrleute angefeindet werden, sogar Übergriffe gibt es. Hat man damit im Landkreis Eichstätt schon Erfahrungen gemacht?

Lackner: Übergriffe auf Rettungskräfte, das geht gar nicht, das ist ein No-Go. Wir haben auch schon ein bisschen was gehabt, aber nichts Erwähnenswertes. Man wird geschimpft, das gibt es schon immer wieder, "was müsst ihr Idioten jetzt die Straße sperren".

Also Leute, die genervt sind, aber keine Übergriffe?

Lackner: Nein, tätliche Übergriffe nicht, Gott sei Dank. Da haben wir doch noch Glück, weil wir im Ländlichen sind. Aber es tut trotzdem weh, wenn man davon hört. Ich kann doch niemanden schlagen, der mir hilft. Das geht gar nicht.

Das Gespräch

führte Tina Steimle