Ach ja, die gute alte Zeit... Heimspiele des FC Bayern München im legendären Olympiastadion irgendwann im grauen Herbst, der Wind pfiff bitterböse durchs Oval, mit etwas Pech wurde man auch noch klatschnass: Wer da den Roten regelmäßig vor Ort die Daumen drückte, der musste tatsächlich ein wahrer Fan sein. Einer wie Hans Pröbstl und Martin Buchberger.
Rund zwei Jahrzehnte ist das Ganze bereits her, und die Beiden hatten schon damals führende Positionen beim „Fanclub Bayerntreue Gerolsbach“ inne. Jetzt mögen sie nicht mehr, machen stattdessen Platz für frische Kräfte. Zu sagen haben Pröbstl und Buchberger trotzdem weiterhin viel: über früher, über das Jetzt, über die Zukunft. Wobei es natürlich vor allem um „ihren“ FCB geht. Allerdings nicht nur rein positiv.
Nein, bequem sind die Beiden nicht immer. Wollen sie auch gar nicht sein. Alles rosarot sehen in Sachen der Roten? Nicht ihr Ding. Aber unsachliche Kritik von anderer Seite an ihrem FC Bayern: Das geht selbstverständlich auch nicht. Da kann’s schnell mal einen bitterbösen Blick geben. Von Pröbstl ebenso wie von Buchberger.
Grundsätzlich sind sie sehr umgängliche Zeitgenossen. Ja, fast schon regelrechte Originale, die eine Menge erzählen können. Pröbstl war nun 22 Jahre lang der Vorsitzende bei den Gerolsbacher Bayerntreuen, Buchberger sogar rund 29 Jahre deren „Manager“, wie er es selbst immer wieder augenzwinkernd ausdrückt. Was haben sie in dieser Zeit nicht alles für Erfolge feiern dürfen – Cheftrainer kommen und gehen sehen. Beziehungsweise (vermeintliche) Topspieler. Beziehungsweise Gegner, die auf internationaler Ebene längst von der Fußballlandkarte verschwunden sind.
„Eventpublikum wurde plötzlich immer wichtiger“
Helsingborgs IF fällt Pröbstl hierzu spontan ein. Oder Rosenborg BK Trondheim. Womit wir auch wieder im kalten Olympiastadion rund um die Jahrtausendwende wären. „Damals waren sie beim FCB noch froh, wenn wir mit einem großen Bus zu den Spielen gefahren sind“, erinnert sich Pröbstl. Und Buchberger nickt zustimmend: „Damals konnte es gerade bei Bundesligapartien auch mal passieren, dass wir 50 Karten bestellten und 100 zugeschickt bekamen – weil sie zu jener Zeit die Bude einfach nicht vollgebracht haben. VfL Bochum oder Hertha BSC im Herbst oder Winter bei Regen und Kälte: Es war halt nicht jedermann’s Sache.“
Die Bayerntreuen aus dem Altlandkreis Schrobenhausen „opferten“ sich dagegen immer wieder. Weil es sich aus ihrer Sicht einfach gehörte. Und weil es vom großen FCB zudem immer wieder den Hinweis gegeben habe, dass sich das Ganze bei einem späteren Umzug in die Allianz Arena positiv bei der Ticketverteilung auswirken würde. „Bloß als es dann so weit war, schienen sie’s an der Säbener Straße plötzlich vergessen zu haben“, ärgert sich Pröbstl noch heute: „Plötzlich wurde das Eventpublikum immer wichtiger, wir hingegen schauten in die Röhre. Und wenn du kaum noch Karten bekommst, wird’s für einen Fanclub halt irgendwann schwierig.“
Was dann rund um das legendäre Champions-League-Finale 2013 gegen Borussia Dortmund in London passierte, habe ihm „komplett das Kraut ausgeschöpft“. Damals nämlich erhielten die Bayerntreuen kein einziges Ticket für das Duell im Wembleystadion. „Bis knapp eine Woche vor dem Match sind wir vom FCB hingegehalten worden – um letztlich komplett leer auszugehen“, schimpft Pröbstl. „Dass man so eine Busfahrt schon lange davor planen muss – wegen Hotels, Fähre, und so weiter – das hat beim FCB niemanden interessiert“, ergänzt Buchberger. Nun gut: Die Gerolsbacher brachen trotzdem nach England auf, besorgten sich Tickets auf zum Teil abenteuerlichen Wegen – bloß, um doch irgendwie dabei zu sein. Außer Pröbstl: Er blieb daheim – aus Protest, stocksauer, mit dickem Hals.
Aber dabei blieb es selbstverständlich nicht. Natürlich machte sich der Fanklubchef anschließend auf an die Säbener Straße, um den Zuständigen dort gehörig die Leviten zu lesen. „Ich habe mir damals kein Blatt vor den Mund genommen“, erinnert er sich schmunzelnd. Und siehe da: Das Ganze zeigte Wirkung. Ja, rund ein halbes Jahr später, im Januar 2014, beorderte der Deutsche Rekordmeister plötzlich Weltstar Bastian Schweinsteiger nach Gerolsbach – für einen mehrstündigen Besuch an der Basis. Der Festsaal bei der „Mare“ platzte damals aus allen Nähten, alle damals Anwesenden schwärmen heute noch von einem komplett gelungenen Event. Und die Bayerntreuen haben seitdem ein prominentes Ehrenmitglied, um das sie deutschlandweit beneidet werden. „Nein, ,Schweini’ ist bis jetzt noch nicht ausgetreten“, verrät Pröbstl mit einem breiten Grinsen: „Aber wieso auch? Er muss ja sowieso keinen Beitrag bei uns bezahlen.“
„So ein Kasperltheater brauchen wir nie wieder“
Rund 110 zahlende Mitglieder haben die Gerolsbacher aktuell, die Corona-Pandemie hat sich dahingehend nicht negativ ausgewirkt. Ebenso wenig wie die zahlreichen Turbulenzen beim FCB (Rauswürfe von Julian Nagelsmann, Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic) in der vergangenen Saison. Fan zu sein, das bedeutet halt auch, leiden zu können – wobei es die Anhänger des deutschen Fußball-Rekordmeisters weit weniger gewohnt sind als diejenigen von anderen Vereinen. „Und am Schluss standen wir ja doch wieder ganz oben in der Bundesliga“, sagt Buchberger: „Wir mussten es ja tun, nachdem es anscheinend sonst niemand wollte.“
„Aber so ein Kasperltheater brauchen wir trotzdem nie wieder“, ergänzt Pröbstl sofort – um das Ganze mit einem verständnislosen Kopfschütteln zu verstärken: „Mit dem Uli hätte es so etwas nie gegeben – auch wenn immer wieder über ihn geschimpft wird.“ Ja: Den „Uli“, mit Nachnamen Hoeneß, schätzt der bisherige Bayerntreue-Boss. Sehr sogar. Dabei war er einst auch mit ihm heftig aneinandergeraten. Exakt ausgedrückt im August 2008 war’s passiert, Jürgen Klinsmann hatte gerade eben den Posten des Cheftrainers bei den Roten angetreten, als jene vom damaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein in die Staatskanzlei eingeladen worden waren. Auch einige Fanklubbosse gehörten zu den Gästen – und sie mussten nach nur rund einer halben Stunde entsetzt feststellen, dass die Herren Profis den Ort der Veranstaltung bereits wieder verlassen hatten. „Ohne Muh, ohne Mäh, einfach weg“, wie es Pröbstl beschreibt: „Dabei hatte der Uli zuvor noch ausdrücklich betont, dass sie länger bei uns bleiben. Schließlich seien wir Fans das Kapital des FC Bayern.“ Natürlich, der Gerolsbacher Vereinschef hätte es gut sein lassen können. Aber er wollte nicht – und ging stattdessen schnurstracks zu Hoeneß hin, der gerade irgendwelche Interviews gab. Bereits ein „Wo sind’s jetzt?“ reichte dann, um beim Uli eine extreme Rotfärbung des Gesichts hervorzurufen. Und einen Tag später vermeldete Deutschlands größte Boulevardzeitung: „Fanaufstand bei Beckstein wegen Kurzarbeit.“ Dass Pröbstl diesen Artikel immer noch stolz in seinem Handyverzeichnis hat: wohl müßig zu erwähnen.
Legendäre Brotzeitpausen inklusive Wurstsalat
„Wir haben tatsächlich irgendwie schon alles gesehen“, fasst Buchberger zusammen – ohne nun „alles“ explizit aufzuzählen. Das geht schlichtweg nicht, weil’s zu viel ist. Nur so viel: Der Großteil schien ausgesprochen schön gewesen zu sein. Einen anderen Schluss lassen die Blicke von Pröbstl und ihm in diesem Moment nicht zu. Über die verlorenen Champions-League-Finals 1999 in Barcelona (1:2 gegen Manchester United), 2010 in Madrid (0:2 gegen Inter Mailand) sowie 2012 „dahoam“ (3:4 nach Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea) – die von den Beiden selbstverständlich live in den Stadien verfolgt wurden – müssen ja nicht unbedingt gesprochen werden.
Ach ja, die gute alte Zeit... Die Beiden erinnern sich gerne zurück. Zum Beispiel an die Busfahrt 2010 nach Madrid: 88:22 Stunden, 4176 Kilometer – und das alles für eine bittere Niederlage gegen blauschwarz gewandete Italiener. „Trotzdem war’s schön“, so Buchberger mit dickem Ausrufezeichen. Allein schon die diversen Brotzeitpausen an zahlreichen Rastplätzen waren damals zu unvergesslichen Erlebnissen geworden. Nicht zuletzt dank Buchbergers selbstgemachtem Wurstsalat. Und sonstigen Leckereien, die auch von Pröbstl höchstpersönlich unter die Reisegruppe gebracht wurden. Das alles übrigens ohne Drängeleien oder Ähnlichem („Bei uns herrschte immer Disziplin. Darauf haben Martin und ich geachtet“).
Ob es solch einen Trip jemals wiedergeben wird? Achselzucken bei Beiden. „Fakt jedenfalls ist, dass der kleine Mann, also der Fan, nicht mehr zu allem ja und Amen sagt, während die Spieler teilweise bis zu 20 Millionen im Jahr verdienen“, so Pröbstl: „Der Schein trügt ja schon jetzt. Es gibt ja schon jetzt immer wieder leere Plätze in der Allianz Arena – obwohl das in der Öffentlichkeit noch ganz gerne anders verkauft wird. Nein, man kann wirklich nicht mehr alles positiv sehen – aller Liebe zum FCB zum Trotz.“
SZ
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