Ritt auf der Rasierklinge

„Operation Heil! Kräuter“: Sebastian Schlagenhaufer und Ramon Bessel zu Gast im Altstadttheater

29.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:23 Uhr

Vom Kabarett im Dritten Reich erzählen Sebastian Schlagenhaufer und Ramon Bessel in ihrem Programm. Hier zeigen sie Werner Fincks Sketch „Fragment vom Schneider“. Foto: Luff

Von Robert Luff

Ingolstadt – Darf man über Hitler und die menschenverachtende Ideologie des Naziregimes lachen? Man darf nicht nur, man muss sogar, lautet die überzeugende Antwort, die Sebastian Schlagenhaufer und Ramon Bessel am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus mit ihrem Programm „Operation Heil! Kräuter!“ gaben. Mehr als zwei Stunden lang boten Kabarettist Schlagenhaufer und Vokalpianist Bessel einen musikalisch herausragenden Einblick in die selten beleuchtete Kabarettgeschichte während des Dritten Reichs und erläuterten historische Hintergründe und Biografien der mutigen Frauen und Männer, die Hitler und Goebbels verbal die Stirn boten.

Dass diese unterhaltsame „Geschichtsstunde“ zu keinem Moment langweilig wurde, lag nicht nur an der akribischen Recherche Schlagenhaufers, der den Münchner „Nachrichtern“ und Karl Valentin, Erich Weinert und Fritz Grünbaum, Werner Finck und Erika Mann wieder Leben einhauchte und deren – heute fast vergessenes – bissiges Anreden gegen das inhumane System kenntnisreich moderierte. Der Erfolg des Programms beruhte auch auf der unglaublichen Bühnenpräsenz des kongenialen Duos.

Dabei präsentierten Bessel und Schlagenhaufer ein buntes Mosaik ausgewählter Chansons, Texte und Sketche, die zwischen 1933 und 1945 zum Programm der Kabarettistinnen und Kabarettisten in München und Berlin, später in Zürich und Paris und – vor dem „Anschluss“ Österreichs – auch in Wien gehörten und oft unter Gefahr für Leib und Leben aufgeführt wurden. Welche sprachliche Raffinesse bei diesem Ritt auf der Rasierklinge notwendig war, welche Wortspiele, Anspielungen und Zweideutigkeiten zur Aufführung kamen und wie sich manchmal die Worte und Gestik erst im performativen Akt vor dem Publikum zu einer genial inszenierten Kritik formierten, konnte man im Altstadttheater bewundern.

Einer der Hauptakteure des humoristischen Widerstands war Erich Weinert, der ab 1934 steckbrieflich gesucht wurde und zunächst im Saarland untertauchen konnte, bevor er nach Paris und Moskau flüchtete. Sein Lied „Ausgerechnet den!“ zielte direkt auf den Führer ab und wurde mit anderen Gedichten von russischen Piloten auf Flugblättern hinter der Front abgeworfen. Das Lied eröffnet und beschließt den Abend und schafft so den Rahmen für die facettenreichen kabarettistischen Wortgefechte gegen den übermächtigen Gegner. Bessel und Schlagenhaufer gaben diesen mutigen Künstlern eine Stimme.

Für viele der Lieder muss man allerdings den Hintergrund kennen, um alle Anspielungen zu verstehen. Schlagenhaufer erläuterte stets den Kontext – unaufdringlich und doch prägnant. Wie beim „Song von den brennenden Zeitfragen“ der „Vier Nachrichter“, die bis zu ihrem Verbot 1935 den Saal des „Alten Simpel“ in München füllten. „Wer hat denn Tante Frieda mit dem Hackebeil geneckt? Die Frau ist doch für Zärtlichkeit immun“, singt das Duett und spielt damit auf Ruth Andreas-Friedrich an, die sich der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ um den Berliner Arzt Walter Seitz anschloss, der jüdische Zwangsarbeiter krankschrieb, um sie so zu retten. Beide wurden von der Gestapo verhört und gefoltert, also mit dem Hackebeil geneckt.

Andere Chansons und Sketche nutzen Wortspiele, wie Werner Fincks „Fragment vom Schneider“, wo sich ein Mann einen neuen Frack anmessen lässt und dazu seinen rechten Arm heben muss. Als er ihn auch nach Aufforderung durch den Schneider nicht mehr senkt und nach dem Grund gefragt wird, antwortet er zweideutig: „Aufgehobene Rechte“.

Die Melodien der Songs sind nicht immer eingängig – im Gegenteil: Sie wollen verstören und irritieren, und Ramon Bessel singt und begleitet sie am Piano höchst virtuos. Immer wieder werden auch Hörspiele, fiktive Briefe und Hitlerparodien der BBC eingespielt, köstlich intoniert Schlagenhaufer Lieder der Wiener Kabarettszene mit ganz viel Schmäh. Aber oft genug bleibt einem das Lachen auch im Halse stecken. Es gibt am Ende keine Zugabe. So etwas verbietet sich beim Ernst des Themas und angesichts des Schicksals zahlreicher Kabarettisten. Das Publikum geht mit der Gewissheit, dass heute jeder das Privileg der Meinungsfreiheit genießt.

DK