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Georg Thoma: Immer Naturbursche, nie ein Star

Verdammt lange her. Ehemalige Sportgrößen erinnern sich: Heute mit dem Olympiasieger Georg Thoma

22.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:01 Uhr

 

Es gibt keinen besseren Platz, um sich mit diesem Mann zu treffen. Die Georg-Thoma-Stube im Schwarzwälder Skimuseum von Hinterzarten ist dekoriert mit Medaillen, Trophäen, Fotografien und den Original-Skiern des Olympiasiegers von 1960 in der Nordischen Kombination. Das ist fast 52 Jahre her, und nach wie vor sieht der „Gold-Jörgle“ super fit aus. Mit seinen 74 Lenzen treibt er täglich Sport, ob im Winter auf den Brettern oder im Sommer auf dem Rad.

Der kleine Mann, der im Zweikampf aus Springen und Langlauf einst ein ganz Großer war, hat viel zu erzählen. Er ist ein Stück Skigeschichte, eine lebende Legende. Er ist und bleibt der Natur verbunden und wollte nie ein Star sein, wie er erzählt. Ein bisschen stolz auf das, was er geleistet hat, ist er aber auch. Als Georg Thoma am Ende des Interviews an einem alten Weltempfänger auf einen roten Knopf drückt und die Stimme des legendären Reporters Herbert Zimmermann aus dem Gerät die Siegerehrung von Squaw Valley schildert, leuchten die Augen des Schwarzwälder Ski-Idols.

Georg Thoma, Ihr Olympiasieg von 1960 ist vielen bis heute unvergessen. Was fällt Ihnen spontan zu Squaw Valley ein?

Georg Thoma: Die Reise ins Tal der Indianer war ein Traum für mich. Auch weil ich als Kind die Karl-May-Bücher verschlungen habe und Winnetou in meiner Fantasie seitdem ein Freund für mich war.

Und dann gewinnen Sie auch noch Gold ...

Thoma: Ich weiß noch, dass NOK-Chef Ritter von Halt zu mir gekommen ist und gesagt hat: Thoma, Sie sind Olympiasieger. Ich hab’ das nicht geglaubt. Erst als ich auf dem obersten Podest stand, dachte ich mir: Es ist doch wahr. Jetzt musst du dich ganz auf die deutsche Fahne und die Hymne konzentrieren.

Den Amerikanern ist aber das Malheur mit dem Deutschland-Lied passiert. Wieso eigentlich?

Thoma: Es war kein Versehen der Amerikaner, sondern mit dem IOC so abgesprochen. Wenn ein Mitglied der gesamtdeutschen Mannschaft, die 1960 bei den Olympischen Spielen an den Start ging, Gold holen sollte, dann war „Freude, schöner Götterfunken“ als Lied für die Siegerehrung vorgesehen. Ich wusste das aber nicht. So stand ich da oben und verstand die Welt nicht mehr. Hinterher hat mich von Halt aufgeklärt, und ich habe ihm nur gesagt, dass ich dieses Lied nicht kannte und deshalb nicht mitsingen konnte.

Die richtige Hymne haben Sie dann 1966 in Oslo hören dürfen, als Sie Weltmeister wurden …

Thoma: Der Sieg am Holmenkollen war sicher der, der mich am meisten beeindruckt hat. Diese Atmosphäre, dieser Empfang nach dem Sieg beim norwegischen König – unvergessen. Squaw Valley war der überraschendste Erfolg in meiner Karriere. Stolz war ich auf mich, als ich 1983 beim legendären Wasa-Lauf mit 46 Jahren unter die besten 50 gekommen bin. Das war super. Das alles hört sich toll an. Aber ich habe nicht nur gewonnen, sondern auch verloren.

Zum Beispiel bei Olympia 1964 in Innsbruck?

Thoma: Richtig, da bin ich als Topfavorit hingefahren und habe Bronze gewonnen. Für viele war das eine Riesenenttäuschung, für mich war das absolut in Ordnung.

Bescheidenheit hat Sie immer ausgezeichnet. Wie schaffen Sie es, seit Jahr und Tag so natürlich rüberzukommen?

Thoma: Weil ich in und mit der Natur großgeworden bin. Schon als Achtjähriger lebte ich als Hütejunge auf dem Wunderlehof, den ich – getrennt von meiner Mutter – alleine versorgt habe. Die zwölf Kilometer zur Schule habe ich im Winter auf Skiern zurückgelegt. Das war wohl auch eine Grundlage für meine Leistungen in der Loipe.

Warum waren Sie dann ein besserer Springer als ein Läufer?

Thoma: Weil das bei einem Kombinierer meiner Meinung nach immer so ist. Keiner kann beides gleich gut. Springen war für mich interessanter. Der Reiz des Fliegens, das ist doch der Traum, den jeder Mensch hat. Das Laufen wiederum hat mich fasziniert, weil es draußen in der Natur war und man auf Schnee viel schneller als zu Fuß vorwärts kam. Wenn du Erfolg in der Kombination aus beidem hast, dann ist das faszinierend.

Für Ihre Erfolge haben Sie viel Lob geerntet und sind populär geworden. Wie sind Sie mit dem Rummel um Ihre Person klar gekommen?

Thoma: Soll ich Ihnen was sagen? Ich hatte große Probleme damit. Vor Squaw Valley war ich ein normaler Briefträger. Hinterher Olympiasieger und Deutschlands berühmtester Postbote. Bei meinem Empfang in Hinterzarten waren 20 000 Fans, der Bürgermeister und ich fuhren im offenen VW durch den Ort. Ich wusste da gar nicht, was ich machen soll. Das Gleiche geschah, als ich zum Sportler des Jahres gewählt wurde. Das Rumgereiche wurde mir zu viel, ich war nicht mehr der, der ich vorher war. Also bin ich zu Postminister Richard Stücklen nach Bonn gefahren und wir haben ausgehandelt, dass ich im Winter vom Dienst freigestellt werde. So habe ich während der Wettkampfsaison im Winter in Skandinavien gelebt, und im Sommer war ich wieder der Georg, ein normaler Briefträger. Ich wollte nie ein Star sein.

Die Stars von heute haben es aufgrund der Medienpräsenz nicht gerade leicht. Auch die Nordisch-Kombinierer. Was sagen Sie zur aktuellen deutschen Mannschaft von Trainer Hermann Weinbuch?

Thoma: Eines vorweg: Hermann Weinbuch ist ein Glücksfall für unsere Sportart in Deutschland. Er ist ein Supertrainer, und ich bin froh, dass er weitermacht. Dass die deutschen Kombinierer seit einigen Jahren ganz vorne in der Weltspitze dabei sind, hängt auch mit der Nachwuchsarbeit zusammen. Kopf und Körper der jungen Leute nicht von Beginn ihrer Karriere an auf eine Sache zu spezialisieren, halte ich für sehr wichtig. Dazu kommt, dass die Kombination schon immer eine Domäne in der ehemaligen DDR war. Denken Sie nur an Ulrich Wehling. Die Jungs aus dem Osten Deutschlands sind stark. Wobei wir auch einige gute Bayern und Schwarzwälder vorne mit drin hatten und wieder haben.

Sie selbst standen auch mal auf der anderen Seite und haben für das ZDF kommentiert. Wie kam das zustande?

Thoma: Als Bruno Moravetz beim ZDF aufhörte, fragte er mich, ob ich mir das zutrauen würde. Ich habe Gespräche mit den damaligen Sportchefs Dieter Kürten und Karl Senne geführt, und so kam ich wie die Jungfrau zum Kind als Co-Kommentator von Rüdeger Luding zum Fernsehen.

Und haben die Übertragungen von den nordischen Wettkämpfen mit Ihrer Art belebt…

Thoma: Sagen wir mal so: Es war schön, hektisch, aber auch lehrreich. Langlauf habe ich total gerne übertragen. Springen weniger, weil ich da nur Bruchteile von Sekunden Zeit hatte, um mich als Experte auf gut oder schlecht festzulegen. Der Dieter, mein Neffe, der hat es einfacher. Der steht vor der Kamera und hat länger Zeit, bis er die Sprünge analysieren muss.

Warum haben Sie 1994 nach Olympia in Lillehammer aufgehört mit dem Fernsehjob?

Thoma: Es wurde mir zu viel. 1987 bis 1994 war eine lange Zeit, und ich wollte weiter selbst intensiv Sport treiben, hatte noch Ziele wie Skimarathons zu laufen. Dazu kam, dass das ZDF haufenweise Briefe bekam, in denen sich Zuschauer über meinen Dialekt beschwert haben. Ich ging zu Kürten und sagte ihm, dass ich lerne, hochdeutsch zu sprechen. Aber verbiegen lassen wollte und konnte ich mich als Naturbursche auch nicht.

1987 haben Sie mit Ihren Kommentaren bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf aber die Zuschauer begeistert und dafür den „Goldenen Gong“ bekommen…

Thoma: Wobei ich bis heute nicht weiß, wofür ich den Preis bekommen habe (lacht).

Wie nahe sind Sie noch an den Nordisch-Kombinierern dran?

Thoma: Ich lese Zeitung, schaue Fernsehen und beobachte die Jungs, wenn sie mal in Hinterzarten trainieren. Ansonsten gehe ich selbst gerne auf die Skier. Im Sommer fahre ich Rad, Mountainbike und Straße.

Viel Sport also. Und was hat es mit dem Skimuseum hier auf sich?

Thoma: Auch dort verbringe ich meine Zeit. Die Idee kam mir bei meinen früheren Besuchen in Skandinavien. Ich fand das faszinierend mit den alten Sachen, die zum Skifahren gehören. Als ich meinen 50. Geburtstag gefeiert habe, bin ich zum Bürgermeister und wir haben beschlossen, das Museum hier im Hugenhof einzurichten. Dieses Gebäude ist ideal geeignet. Was wir nicht überschaut haben, war, was auf uns zukommt. Zehn Jahre haben wir bis zur Eröffnung gebraucht, weitere zehn Jahre später haben wir das Museum mit dem alpinen Bereich erweitert. Viel Arbeit. Aber es wäre schade gewesen, wenn wir es nicht gemacht hätten. Denn so etwas hat keiner.

Und was wünscht sich der „Gold-Jörgle“ von einst für die Zukunft?

Thoma: Zuallererst Gesundheit. Und dann träume ich davon, dass mein Enkel Linus, der ist jetzt neun, mit seinem Kung-Fu noch viele Gürtel macht und ich mit ihm auf Skiern so oft es geht raus in den Wald laufen kann. Um ihm beispielsweise zu zeigen, wie man Fische mit der Hand fängt.