Ingolstadt
"Das Thema Ausstieg kam nicht von mir"

Audi-DTM-Chef Dieter Gass über das Motorsportprogramm

29.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:44 Uhr

Nur noch geringe Chancen auf den Titel: Audi geht mit 37 Punkten Rückstand auf Mercedes in das Saisonfinale am Hockenheimring. Zu Beginn der Saison war Audi noch deutlich überlegen. - Fotos: Audi, Imago

Ingolstadt (DK) Funkskandal, Performance-Gewichte und nun der Streit um die Stallorder: Die DTM findet nicht heraus aus ihrem Imageloch. Am Nürburgring hatte das Mercedes-Team seinem Piloten Pascal Wehrlein den Sprung auf Rang fünf und damit eine perfekte Ausgangslage für das Saisonfinale am Hockenheimring ermöglicht. Kurz vor dem Rennen hatten sich die drei Hersteller Audi, Mercedes und BMW allerdings darauf geeinigt, keine Stallorder anzuwenden. Dementsprechend sauer war Audis DTM-Chef Dieter Gass nach dem Rennen und rechtfertigt seine Aussagen in unserem Interview.

Herr Gass, Ihre Attacke auf Mercedes nach der Stallorder am vergangenen Rennwochenende hat hohe Wellen geschlagen. Wie bewerten Sie die Situation mit etwas Abstand?

Dieter Gass: Ich bin nach wie vor der Meinung: Wenn man sich auf etwas einigt, dann sollte man das auch entsprechend umsetzen. Das habe ich leider am Sonntag im Rennen nicht erkennen können. Sicherlich waren die Manöver, die Mercedes da gefahren hat, für die Meisterschaft grundsätzlich nicht kriegsentscheidend. Aber: Wir führen momentan unter den Herstellern und auch mit der ITR sowie dem DMSB (Internationale Tourenwagen Rennen und Deutscher Motorsport-Bund, Anm. d. Red.) viele Gespräche, wie wir die DTM als Produkt generell noch attraktiver gestalten können. Denn die Kritik, die in der Öffentlichkeit an der DTM geführt wird, kann und darf man nicht ignorieren. Es wird kritisiert, dass wir zu wenig Unterhaltung und Show abliefern, dass wir Hersteller-Strategie-Spiele betreiben. Das wollen wir abstellen, damit wir einen puren, reinen Sport zeigen, bei dem die Fahrer gegeneinander mit möglichst gleichen Mitteln eine Meisterschaft ausfahren. Und das habe ich am Sonntag nicht sehen können. Aber deswegen würde ich trotzdem nicht sagen, dass das eine Attacke auf Mercedes war. Ich habe nur herausgestellt, dass wir eine Vereinbarung hatten, die meines Erachtens nicht eingehalten wurde. Und darauf habe ich klar hingewiesen.

 
Nach Ihren Aussagen wurde sogar über einen Ausstieg von Audi aus der DTM spekuliert. Ist das ein realistisches Szenario?

Gass: Grundsätzlich ist es so: Das Motorsport-Programm wird bei Audi zum Ende des Jahres beschlossen, und dem kann ich natürlich in keiner Weise vorgreifen. Das läuft bei uns auf Vorstandsebene. Ich habe einen gewissen Einfluss darauf, aber ich kann keinen Vorgriff machen, wie das Motorsport-Programm von Audi im kommenden Jahr aussieht. Das Thema Ausstieg kam aber nicht von mir. Ich habe es nicht angesprochen.

 
War es letztlich ein Fehler von Audi, sich als einziger Hersteller an die Absprachen gehalten zu haben?

Gass: Also mit BMW gab es in der Eifel kein Problem. Mercedes hat sich nicht an die Vereinbarung gehalten. Als Fehler, dass wir, Audi, uns selbst daran gehalten haben, sehe ich das nicht. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass das richtig ist. Denn wenn ich eine Absprache eingehe, dann halte ich mich natürlich auch daran, sonst brauche ich keine Absprachen zu treffen. Wir sind zumindest bis zu einem gewissen Grad der Leidtragende. Aber das Ergebnis für die Meisterschaft und auch das Rennen war überschaubar. Mir ging es aber ums Prinzip. Dass wir eben eine Vereinbarung getroffen haben, um unser Produkt, für das wir alle leben und an dem wir alle ein großes Interesse haben, weiter zu verbessern. Wenn man sich an solche Absprachen nicht hält, dann fragt man sich unweigerlich: Was ist das Wort noch wert, das man sich gibt? Und das habe ich eingefordert.

 
Audi stand wegen des „Funkskandals“ vor einigen Wochen selbst am Pranger. Ist die Reaktion auf die Mercedes-Stallorder eine kleine Retourkutsche?

Gass: Mit Retourkutsche hat das überhaupt nichts zu tun. Die Situation in Spielberg ist diskutiert worden und letztlich vor Gericht gekommen. Wir sind bestraft worden, das ist abgehakt. Audi hat sich auch öffentlich in aller Form dafür entschuldigt.

 
Die DTM wird derzeit häufig diskutiert. Was läuft falsch in der Rennserie?

Gass: Wir nehmen die Wünsche der Zuschauer und auch die Kritik ernst, nämlich, dass der Auftritt, den wir derzeit auf der Strecke zeigen, weiter verbesserungsfähig ist. Dass aufgrund der Performance-Gewichte und der Herstellerinteressen ,von Audi, BMW und Mercedes, Einfluss auf das Rennergebnis genommen wird. Wir sind uns eigentlich unter den Herstellern einig, dass wir das reduzieren wollen. Zumindest ist es das, was in unseren Gesprächen am Wochenende vor dem Rennen gesagt wurde. Wir wollen den Zuschauern wieder einen puren Sport bieten, bei dem der Fahrer aus den Mitteln, die er auf der Strecke hat, das Beste macht und nicht durch irgendwelche Ansagen von der Boxenmauer gesteuert wird.

 
Immer wieder diskutiert werden im Moment auch die Performance-Gewichte. Sie bringen Spannung, verhindern aber auch einen fairen Wettbewerb. Sind Sie Gegner oder Befürworter dieser Zusatzgewichte?

Gass: Das ist ein extrem schwieriges Thema. Wir müssen auch zugeben, dass wir das Reglement in der Form mitgestaltet haben. Von der grundsätzlichen Idee, mit Zusatzgewichten zu fahren, bin ich nach wie vor überzeugt. Aber warum gibt es Zusatzgewichte? Gemeinsam haben wir ein Reglement gemacht, mit dem die Weiterentwicklung während der Saison aus Kostengründen beschränkt werden sollte. Wenn man das Auto nicht weiterentwickeln kann, dann weiß der Hersteller, der zu Saisonbeginn hinterherfährt, dass er die ganze Saison über an jedem Wochenende praktisch keine Chance hat, das Rennen zu gewinnen. Das zu verhindern, war das Ziel der sogenannten Performance-Gewichte. Und ich denke nach wie vor, dies ist ein gutes Ziel. Wie es jetzt im Endeffekt läuft und die Auswirkungen, die es hat - damit kann ich nicht zufrieden sein. Einerseits, weil es in der Öffentlichkeit überhaupt nicht zu verkaufen ist, weil es schwer zu verstehen ist, andererseits ist es für uns auch sehr schwer zu verdauen. Wenn wir uns die Saison ansehen, sind wir schon überzeugt, dass wir das beste Auto im Feld hatten. Trotzdem stehen wir momentan vor einer Situation, wo die Chance, auch nur einen der drei Titel zu gewinnen, äußerst überschaubar ist. Das ist eine schwierige Situation für uns. Aber wir haben am Reglement mitgewirkt und von daher dürfen wir uns auch nicht darüber beschweren.


Wie groß ist der Frust über das schwierige Miteinander unter drei Hersteller?

Gass: Bis zum Samstagabend lief es eigentlich gut. Denn das Grundverständnis ist bei den drei Herstellern ein sehr ähnliches. Und die Ziele sind vor allem fast gleich. Das bedeutet, dass wir in vielerlei Themen und Punkten gemeinsam an einem Strick ziehen, die Dachorganisation ITR mit eingeschlossen. In dieser Hinsicht war das am Sonntag für mich ein kleiner Rückschlag. Unabhängig von der nicht eingehaltenen Vereinbarung machen wir momentan aber in unserer gemeinsamen Arbeit, die Serie nach vorne zu bringen und weiter zu optimieren, gute Fortschritte.

 
Wird es in der kommenden Saison Änderungen im Reglement geben?

Gass: Das ist ein Thema, das wir uns alle gemeinschaftlich anschauen werden. Ich persönlich denke, da muss sich etwas ändern. Ich bin aber auch jemand, der nicht überreagieren möchte. Wenn wir zu viel machen, besteht das Risiko, dass das Pendel in die andere Richtung ausschlägt. Das heißt, das muss man sich sehr vorsichtig anschauen, um dann möglichst das Richtige zu machen.

 
Audi hat die ersten vier Rennen gewonnen und war deutlich überlegen. Jetzt geht Audi vermutlich leer aus. Wie ist Ihr Saisonfazit?

Gass: Grundsätzlich haben wir den Kopf noch nicht in den Sand gesteckt. Wir haben noch zwei Rennen ausstehen und 37 beziehungsweise 38 Punkte Rückstand in der Fahrermeisterschaft. Das heißt, rein rechnerisch ist der Titel noch möglich und wir werden uns erst einmal darauf konzentrieren, dass wir noch alles tun, damit wir das Steuer noch rumreißen können. Wir geben nie auf.

 
Wie hoch ist der Druck, intern die Kosten zu erklären, wenn der Titel wieder nicht geholt wird?
Gass: Das Thema kenne ich in dieser Form nicht. Wir haben am Anfang der Saison unser Budget für dieses Jahr bekommen. Und wir werden dieses Budget auch einhalten.

 
Was kann man tun, um die DTM noch populärer zu machen, um noch mehr Zuschauer an den Fernseher und die Rennstrecke zu locken?


Gass: Das wichtigste Element wäre ein noch besseres Spektakel. Die DTM ist ein Profisport, bei dem Leistungssportler gegeneinander antreten, und möglichst der schnellste Fahrer am Ende vorne ist. Wir müssen daran arbeiten, dass die Fahrer wieder mehr zu diesem Spektakel beitragen können, dass die Rennen auf Augenhöhe ausgetragen werden. Und dass es weniger Einflussnahme von außen gibt.

 
Gibt es bereits konkrete Beispiele?

Gass: Die Überlegungen gehen natürlich in viele Richtungen. Der Zuschauer möchte Überholmanöver und harte Zweikämpfe sehen. Spannung! Da darf ruhig auch mal der eine oder andere Kontakt dabei sein. Und heute ist es so, dass das Auto bei einem Kontakt relativ einfach beschädigt wird und dann langsamer wird oder sogar sofort ausfällt. Das sind alles Themen, die wir uns gemeinsam anschauen möchten. Wie kann man Überholmanöver herstellen, ohne, dass man sie künstlich herbeiruft. Das müssen wir uns überlegen. Die Situation, dass die Autos relativ empfindlich sind, wird man wahrscheinlich kurzfristig nicht angehen und verändern können. Aber mittel- bis langfristig ist das auch eines der Themen.