Roth
Viele Jäger und zwei Gejagte

14.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:33 Uhr

Roth (DK) Jan Frodeno wirkte völlig entspannt. Der Sieger der Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii des vergangenen Jahres nahm sich bei der gestrigen Pressekonferenz viel Zeit für die Fragen der Journalisten. Und der Ansturm war riesig: Denn der 34-Jährige hat sich für den Challenge Roth ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Nicht weniger als den Weltrekord will der gebürtige Kölner am kommenden Sonntag angreifen. Sieben Stunden, 41 Minuten und 33 Sekunden lautet die aktuelle Bestmarke über die Langdistanz (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen). Aufgestellt hat sie der Deutsche Andreas Raelert im Jahr 2011, ebenfalls in Roth.

"Ich suche immer wieder neue Ziele. Zu gewinnen ist etwas, was sowieso jeder von mir verlangt", sagt Frodeno. "Also muss ich mir etwas Besonderes überlegen, einen neuen Reiz. Etwas, das mich im Training immer weiter antreibt. Der Weltrekord fasziniert natürlich jeden Athleten." Der Olympiasieger von Peking weiß, was am Sonntag entscheidend sein wird. "Der Schwimmstart wird oft verpennt. Es wird wichtig sein, sich in der Anfangsphase des Rennens clever zu verhalten. Hintenraus geht es dann an die Zeit."

Der 34-Jährige ist sich aber auch bewusst, dass er den Sieg nicht automatisch sicher hat. Die Konkurrenz ist stark. Zudem hat es noch kein Deutscher geschafft, nach einem Sieg in Hawaii auch beim Challenge als Erster die Ziellinie zu überqueren. "Das oberste Ziel ist es, zu gewinnen", sagt Frodeno. "Es bringt mir nichts, wenn ich mit einer Weltrekordzeit ins Ziel komme - aber Nils schon eine Minute vor mir da war."

Gemeint ist Vorjahressieger Nils Frommhold. "Es fühlt sich gut an, Titelverteidiger zu sein. Den Druck erzeugen andere, ich selbst verspüre keinen", sagt der 29-jährige Berliner. Frommhold, der bei seinem Triumph im vergangenen Jahr in 7:51:28 Stunden die siebtschnellste jemals auf der Langdistanz gelaufene Zeit erzielte, sieht Frodenos Teilnahme sogar als positiven Ansporn. "Das ist ein Riesending. Ich sehe mich als Jäger. Ich werde Gas geben, für was es reicht, wird man sehen."

Ebenfalls Chancen rechnet sich Jan Raphael aus. Der Hannoveraner will in Roth erstmals in seiner Karriere unter acht Stunden bleiben. Die starke und prominente Konkurrenz fürchtet er nicht. "Ich suche mir Wettkämpfe nicht anhand der Teilnehmerliste aus. Ich will mich immer mit den Besten messen", sagt der 36-Jährige. Über den "Mythos Roth" meint er: "Es ist eine einmalige Erfahrung. Als deutscher Athlet musst du hier am Start sein."

Auch Topfavorit Frodeno, der erstmals in Roth startet, freut sich auf die außergewöhnliche Atmosphäre. "Es ist ein wahnsinniges Gefühl, wenn dich die Leute an der Strecke nach vorn peitschen. Diese Stimmung werde ich aufsaugen." Die Veranstalter rechnen mit 260 000 Besuchern. Auch der französische Topathlet Cyril Viennot und Tyler Butterfield von den Bermudas - im vergangenen Jahr in Hawaii auf den Plätzen sechs und fünf - wollen ein spektakuläres Rennen liefern.

Ebenjenes verspricht auch das hochklassige Teilnehmerfeld bei den Damen. Anfang der Woche gab es noch eine spektakuläre Nachmeldung: Die aktuelle Ironman-Weltmeisterin Daniela Ryf aus der Schweiz sagte nach ihrer Rennaufgabe vor zwei Wochen bei der Triathlon-EM in Frankfurt kurzfristig in Roth zu. Damit stehen erstmals beide amtierenden Hawaii-Sieger in Roth am Start.

Für die Organisatoren ein Glücksfall - nicht jedoch für die eigentliche Topfavoritin und Titelverteidigerin. Entsprechend offen wählt Yvonne van Vlerken ihre Worte: "Ich bin ehrlich. Ich habe mir monatelang einen Plan gemacht, bin jeden Streckenabschnitt im Kopf mehrfach durchgegangen. Jetzt muss ich meine Pläne wohl noch einmal überdenken", sagt die 37-jährige Niederländerin, die aber auch eine Kampfansage formuliert: "Wir werden sie jagen. Und wenn sie einen Fehler macht, werden wir da sein." Bereits dreimal stand sie in Roth ganz oben auf dem Podest. "Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, dass Daniela dabei ist. Nun liegt der Druck bei ihr."

Ryf ihrerseits gibt sich selbstsicher - und lächelt die verbalen Attacken einfach weg. "Man sollte sich nicht zu viele Pläne machen. Denn manchmal kommt es einfach anders. Ich bin jedenfalls glücklich, hier zu sein", sagt sie. Die 29-Jährige beschreibt ihre Strategie wie folgt: "Ich werde einfach rausgehen und schauen, was geht. Alle erwarten, dass ich gewinne. Aber ich mache den Sport nicht für Titel, sondern für mich. Ich will sehen, wie viel ich aus mir herausholen kann. Deswegen liebe ich Triathlon."

Zu Ryfs "Jägerinnen" gehört mit Anja Beranek auch eine Lokalmatadorin. Die Nürnbergerin zeigte sich zuletzt in starker Form und hat das Podium im Blick. "Unzählige Freunde und auch meine Familie werden an der Strecke stehen", blickt die 31-Jährige voraus. "Aber keiner kann sagen, was am Sonntag passiert. Manchmal steht man auf und kann nur 90 Prozent geben. An anderen Tagen 110. Ich will ein gutes Rennen machen und eine gute Zeit erreichen, am besten unter 8:55 Stunden. Dann bin ich zufrieden."

Zum erweiterten Favoritenkreis zählt auch die Vorjahreszweite Carrie Lester aus Australien. "Ich habe das Gefühl, dass ich im vergangenen Jahr nicht alles zeigen konnte. Deswegen bin ich hier", sagt die 34-Jährige. Und auch Michelle Vesterby aus Dänemark, die aktuelle Hawaii-Vierte, zeigt sich angriffslustig: "Es ist gut, dass jemand da ist, den man jagen kann. Jetzt wird zurückgezahlt." Betreut wird die 32-Jährige seit zwei Jahren vom Belgier Luc van Lierde. Der weiß, wie es geht: Im Jahr 1997 gewann er den Challenge in damaliger Weltrekordzeit von 7:50:27 Stunden.