Dejan
Allein unter Jungs

18.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr

Leidenschaftlicher Fußballfan: Wenn Tanja Lange nicht beim TSV Etting ist, besucht sie Spiele des FC Bayern. Am liebsten aber, sagt sie, schaut sie ihren "Jungs" zu. - Foto: Kostudis

Dejan Micic hatte das Gefühl, dass ein neuer Wind in die Mannschaft gehöre. Am Ende der Vorrunde, im November 2016, informierte er deshalb den TSV Etting, dass er sein Traineramt zum Saisonende niederlegen werde. Für den Verein galt es fortan, einen neuen Coach zu suchen. Nichts Ungewöhnliches - und doch war diesmal alles anders. Denn die Verhandlungen führte erstmals: eine Frau.

Tanja Lange war gerade einmal sechs Monate in ihrem Amt, als die erste große Aufgabe auf sie zukam und sie sich auf die Suche machen musste. Die 31-Jährige, die bis vor Kurzem noch Tanja Scharrer hieß, ist Fußball-Abteilungsleiterin des TSV Etting.

Vergangene Woche starteten die Ettinger mit der Partie gegen den TSV Baar-Ebenhausen (0:2) in die neue Spielzeit der Kreisliga 1 Donau/Isar. Für Lange wird es die erste volle Saison als Abteilungsleiterin, und doch ist sie längst ein alter Hase in dem Geschäft. Die 31-Jährige ist seit 16 Jahren dabei. Lange wurde bereits mit dem Fußball groß. Sie kickte selbst, seit sie laufen konnte. Doch wegen eines irreparablen Knorpelschadens konnte sie mit 14 Jahren nicht mehr spielen.

Von da an kümmerte sie sich immer mehr um die Spieler des TSV. Schon als Kind hatte sie ihrem Vater, der damals Abteilungsleiter war, über die Schulter geschaut. Wasser bringen, Trikots waschen, den Trainer unterstützen, Spielberichtsbögen ausfüllen, den Verkauf organisieren - für all das war Tanja Lange zuständig. Viele Jahre war sie Betreuerin, und als im vergangenen September ein neuer Abteilungsleiter gesucht wurde, stand ihr Name plötzlich auf der Liste der möglichen Kandidaten. "Ich bin angesprochen worden. Die meisten sagten: ,Du kennst doch alle, es ändert sich doch eh nicht viel.' Und ich dachte mir: Einerseits haben sie recht. Andererseits aber ist der Job für eine Frau tatsächlich ungewöhnlich", erzählt Lange.

Sie führte Gespräche mit Spielern und den Trainern - und entschied sich letztlich dazu, den Job zu übernehmen. Unter einer Bedingung: "Ich habe gesagt: ,Jungs, ihr müsst das mittragen.'" Doch die Jungs waren sich einig: "Der Tenor war: ,Klar, das hat Hand und Fuß, du hast Ahnung vom Fußball.'" Und die Bestätigung folgte nur kurze Zeit später: Lange wurde einstimmig gewählt, für zwei Jahre. "Aber wahrscheinlich auf Lebenszeit", sagt Lange und lacht.

Jetzt gehören Trainersuche, Kaderplanung, Spielersitzungen und die Partien am Wochenende zu ihren Aufgaben. Lange ist bei jedem Heim- und Auswärtsspiel dabei. "Das Ehrenamt ist viel Arbeit, auf wenige Schultern verteilt, aber die wenigen machen es gerne", erzählt die 31-Jährige. Zusammen mit ihrem Stellvertreter Michael Schmidt und Jugendleiter Daniel Polster bildet sie ein gutes Team. "Ohne die anderen", sagt Lange, "geht es nicht."

Neben ihrer Arbeit als Abteilungsleiterin ist sie auch immer noch Betreuerin der Mannschaft, kümmert sich um die medizinische Versorgung und schreibt die Spielberichtsbögen. "Es gibt keinen Sonntag, an dem ich sage, heute wäre ich lieber daheim", sagt Lange.

10 bis 15 Stunden pro Woche ist sie für den TSV im Einsatz. Lange ist ein sehr strukturierter und organisierter Mensch. Selbst ihren Urlaub legt sie in die Fußball-Pausen. Auch ihr Mann Matthias akzeptiert die Aufgabe seiner Frau. "Es geht nur, weil mein Partner mitspielt. Ohne ihn wäre nicht dran zu denken, er hilft mir immer", sagt Lange. Hauptberuflich arbeitet sie Vollzeit als Personalreferentin. "Ich mache viel, dann muss auch mal was zurückkommen, und das ist Respekt", meint sie.

Doch Lange ist im Verein voll und ganz akzeptiert. Sie beweist, dass sich auch Frauen in einem männerdominierten Berufsfeld durchsetzen können. Als Feministin würde sie sich aber nicht bezeichnen. "Klar, die Position ist ungewöhnlich, aber ich will einfach die gleichen Rechte. Wer am besten für den Job geeignet ist, egal, ob Frau oder Mann, soll ihn ausüben", findet Lange. Und wenn es doch einmal eine schwierige Aufgabe zu bewältigen gibt, hat sie stets jemanden an ihrer Seite, den sie um Rat bitten kann. "Ich kann immer Papa fragen", sagt Lange lachend. "Ich bin ein Papakind. Ich war schon immer bei allem dabei, was die Männer gemacht haben: Holz schneiden, Wände herausreißen - dafür kann ich nicht nähen und stricken."

Mit Sandi Gusic hat Lange längst einen Trainer gefunden. Es passe vor allem von der Philosophie. Die Verhandlungen waren unkompliziert, denn: Der Trainer hatte kein Problem damit, dass er die Gespräche mit einer Frau führte. Ist der TSV mit seiner neuen Abteilungsleiterin und seinem neuen Trainer nun bereit für den Aufstieg? "Die Bezirksliga ist für mich kein Thema, das ist ein anderes Kaliber", sagt Lange. "An sich will ich natürlich jedes Spiel gewinnen. Die Kreisliga aber ist top, sie hat ein vernünftiges Niveau für einen Dorfverein. Wenn wir in die Bezirksliga aufsteigen, aber dann möglicherweise immer verlieren würden, wäre das psychologisch nicht gut. So können wir immer vorne mitspielen und den Aufsteiger ein bisschen ärgern."

Viel wichtiger ist Lange allerdings: Die Fußballabteilung soll eine so eingeschworene Gemeinschaft bleiben. Denn sie betrachtet ihre Mannschaften als eine Familie. Wenn ein Spieler den Verein verlässt, macht sie das traurig. Und wenn einer ihrer Jungs ausfällt, noch mehr. "Das kann ich gar nicht haben, wenn einer meiner Spieler verletzt ist", sagt die 31-Jährige. Deshalb strebt sie auch danach, dass die einzelnen Mannschaften noch besser zusammenarbeiten. "Wir sind schon auf einem guten Weg: Es gibt gemeinsame Spielersitzungen, und wir stimmen uns mit den Jugendteams ab."

Nichts ist Tanja Lange wichtiger, als dass alle zusammenhalten. "Man gehört einfach zusammen, wir helfen uns gegenseitig aus." Dazu zählt auch, dass die Fußballer gemeinsame Feste veranstalten. Eine ganz besondere Feier fand kürzlich statt. Am 1. Juli hat Tanja Lange geheiratet, 200 Gäste waren eingeladen - natürlich auch ihre Jungs vom TSV Etting. Denn: "Ohne die", wusste Lange, "heirate ich nicht!"