Spektakulär,
Rasant durch die Runden

11.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr

Foto: DK

Spektakulär, schnell und dabei auch noch umweltfreundlich - Speedway ist dennoch eher eine exotische Sparte des
Motorsports. Der fünffache Deutsche Meister Martin Smolinski erklärt die Faszination auf zwei Rädern.

Man stelle sich vor: Thomas Müller spielt samstags in der Fußball-Bundesliga für den FC Bayern. Sonntags reist er auf die britische Insel, um abends für seinen dortigen Klub Manchester United aufzulaufen. Während der Woche wiederum führt ihn der Weg nach Spanien, wo er für den FC Barcelona neben Lionel Messi und Co. auf Torejagd geht. Damit aber noch nicht genug: Freitags könnte der Nationalspieler Bundesliga-Teams wie den Hamburger SV oder den FC Schalke 04 verstärken, vorausgesetzt sein Stammverein FC Bayern hätte nichts dagegen. Tatsächlich ist dieses Szenario völlig unrealistisch, ja sogar verrückt, wie man zu Recht denken würde. Es gibt jedoch eine Sportart, in der solche Gepflogenheiten die Regel sind: Speedway.

Diese Motorsportart darf sehr wohl als exotisch bezeichnet werden: Die Fahrer stehen mit ihren Bikes aufgereiht an einem Startband und warten auf den entscheidenden Moment. Blitzartig katapultieren sie sich mit dem Hochschnellen des Bandes auf sandigem Belag in die Startkurve. Vier Runden auf einem engen Oval, mit teils atemberaubenden Kurvendrifts und Lenker-an-Lenker-Duellen folgen. Nach rund einer Minute ist alles vorbei: Ein Lauf ist beendet, und Punkte für die Platzierungen der waghalsigen Drifter werden verteilt. Zähler, die meist auf das Konto eines Teams gehen - denn Speedway ist die einzige Motorsportdisziplin, die auch als Mannschaftssport betrieben wird. Sogar organisierte Ligen in mehreren europäischen Ländern gibt es. Martin Smolinski, 32 Jahre alt und fünffacher Deutscher Meister aus Olching (westlich von München), erklärt seine große Leidenschaft.

Ê Die Helmfarbe

Der Begriff "Heat" kommt aus dem Englischen - so heißt ein Lauf beim Speedway. "Heat" bedeutet aber auch "Hitze", was ebenso passt, denn bei einem Speedway-Heat geht es meistens heiß her, wenn sich vier Drifter gleichzeitig in die Startkurve schmeißen. Ein solches Spektakel wiederholt sich bei jedem Meeting im Minutentakt. Damit die Fans hierbei den Überblick behalten, tragen wir die Helmfarben Rot, Blau, Weiß und Gelb. Dieser "Kreisverkehr bei Vollgas" hat seinen Ursprung in England, und wohl auch deshalb geht es bei uns ausschließlich links herum. Überholen darf man natürlich überall.

 

Ë Der Gasgriff

Schnell sein heißt natürlich: Gas geben - aber nicht nur. Speedwayfahrer kontrollieren das Motorrad sowohl mit der dosierenden Gashand als auch durch den Einsatz des eigenen Körpergewichts. Ein ausgeprägter Gleichgewichtssinn ist gefragt, denn ein Kurvendrift gleicht einem Tanz auf rohen Eiern. Auf der Geraden einer Speedwaybahn erreiche ich, an der Bande entlang fahrend, bis zu 120 Kilometer pro Stunde.

 

Ì Die Bremse

Wer an meinem Bike nach einem Bremsgriff sucht, wird keinen finden. Speedwaymotorräder haben tatsächlich keine Bremsen. Nur durch Gasrücknahme und Umlegen des Hinterrads wird auf dem sandigen Oval verzögert.

 

à Der Motor

Ein 500-Kubikzentimeter-Einzylinder-Aggregat entfacht seine Leistung explosionsartig. So werde ich im Stile einer Rakete in die erste Kurve katapultiert - das wiederum, ohne einen einzigen Atemzug ausführen zu können. Die Beschleunigung von null auf 100 Kilometer pro Stunde innerhalb von rund zweieinhalb Sekunden ist gleichbedeutend mit der eines Formel-1-Autos. Ein Bike ist in etwa 80 Kilogramm schwer und wird mit 80 PS gepeitscht - somit spricht man von einem Eins-zu-eins-Verhältnis, was Gewicht und Leistung anbelangt.

 

ÃŽ Der Tank

"Highspeed mit Alkohol" heißt es beim Speedway. Aber keine Sorge: Wir Speedwayfahrer rollen nicht benebelt ans Startband, vielmehr werden unsere explosiven Triebwerke mit Methanol befeuert. Methylalkohol ist als Kraftstoff vorgeschrieben und verbrennt annähernd schadstofffrei zu Wasserdampf. Als Schmiermittel für die Motoren wird übrigens biologisch abbaubares Öl auf pflanzlicher Basis eingesetzt. Somit könnte man Speedway als die umweltfreundlichste Motorsportart bezeichnen.

 

à Der Körper

Unsere Fahrzeit ist extrem kurz, je nach Bahnlänge benötigen wir für die Distanz von 1200 bis 1600 Metern ungefähr eine Minute, in der aber alles passen muss. Extremsituationen sind im Sekundentakt zu meistern, was mentale Stärke und maximale körperliche Fitness voraussetzt. Motorradlegende Valentino Rossi beispielsweise kann seine Gegner rundenlang studieren, bevor er zum entscheidenden Manöver ansetzt. Mein Stich jedoch muss innerhalb kürzester Zeit kommen. Einen klaren Kopf zu behalten, um im entscheidenden Moment richtig zu agieren, das geht nur bei entsprechender Grundlagenausdauer. Untrainiert wäre man nach zehn Sekunden ausgelaugt.

 

à Die Reifen

Der Verschleiß an Pneus ist beim Speedway extrem hoch. Um optimalen Abtrieb zu haben, verwende ich daher einen Hinterreifen nur für zwei Läufe. Wichtig ist vor allem eine scharfe Kante, deshalb wird eine Seite maximal vier Runden bewegt - heißt wiederum: Nach einem Lauf wird das hintere Rad gedreht.

 

Ñ Der Klub

Über dem Rennanzug trage ich oft eine Weste, eine Art Fahrertrikot des AC Landshut. Für unser Team, die "Devils", gehe ich als Kapitän in der Bundesliga an den Start. Meine weiteren aktuellen Klubs sind Motor Lublin aus Polen und der Grindsted Speedwayklub aus Dänemark. Wir Speedwayfahrer sind ständig auf Achse, um in den Ligen Europas anzutreten und Geld zu verdienen. Während einer Saison rollen die Reifen meines Transporters bis zu 90 000 Kilometer.

 

Ã’ Die Kupplung

"When the Gate drops, the Bullshit stops € - dieser Spruch ist bei uns Speedwayfahrern geläufig. Gemeint ist damit: Wenn das Band hochschnellt, wird alles Andere ausgeblendet. Und tatsächlich muss man total fokussiert sein, um im richtigen Augenblick den Kupplungsgriff loszulassen. Ich würde von einem Tunnelblick sprechen, oder besser von imaginären Scheuklappen, die man tragen muss, wenn man in einer Reihe von vier Fahrern am Startband steht. Die Tausendstelsekunde am genauesten zu erwischen, das ist die Kunst - denn gut vom Start wegzukommen, ist in meiner Sportart enorm wichtig.