Heute
Das Wunder von Regensburg

23.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:55 Uhr

Sie schafften das Unmögliche: In der Saison 1992/93 qualifizierte sich das Team um Trainer Eugen Niesporek (hinten links) für die Endspiele um den Titel des Bayerischen Eishockeymeisters, um dort die bis dahin in der Saison ungeschlagenen Regensburger zu bezwingen. - Foto: PK-Archiv

Heute vor 25 Jahren feierte der EC Pfaffenhofen das erste
und einzige Mal den Sieg der Bayerischen Meisterschaft im Eishockey. Mit Thomas Schönauer, Stephan Kaindl und Karl Oexler erinnern sich drei ehemalige Spieler an zwei unglaubliche Finalduelle gegen einen haushohen Favoriten, Papierschnipsel auf dem Eis und eine Feier mit Anlaufschwierigkeiten.

"Die ECP-Spieler wollen versuchen, dem haushohen Favoriten zumindest im Heimspiel ein Bein zu stellen." Mit diesem Satz begann am 22. Januar 1993 der Vorbericht unserer Zeitung zu den Endspielen um die Bayerische Meisterschaft im Eishockey. Und wahrhaftig hatten die Pfaffenhofener in diesen Finals eine schier übermächtige Truppe als Gegner: in der Vorsaison spielte der EV Regensburg nämlich noch um zwei Klassen höher, in der Oberliga. Ein finanzieller Kollaps führte jedoch zum Zwangsabstieg - schon damals keine Seltenheit in der Eishockeyszene.

Allerdings war bald klar, dass sich die Akteure aus der Domstadt in Bayerns höchster Spielklasse sprichwörtlich spielen würden - so schlossen Sie Ihre Vorrundengruppe mit einer makellosen Bilanz ab: ein Punktekonto von 36:0-Zählern sowie ein Torverhältnis von 183:54 bedeuteten nicht mehr und nicht weniger, als dass der EVR jede Partie durchschnittlich mit 10:3 gewann.

Zwei Vorrundengruppen sah also der damalige Bayernliga-Modus vor, wobei die beiden Erstplatzierten in einem Hin- und einem Rückspiel den Titel ausspielen durften. Überraschend qualifiziert: der EC Pfaffenhofen - konnten doch die Gelb-Blauen ihre Gruppe mit einem Zähler Vorsprung auf den Eissportverein Germering gewinnen. "Wir haben bereits mehr erreicht, als erwartet und können deshalb locker aufspielen", freute sich ECP-Coach Eugen Niesporek damals auf den bevorstehenden Showdown.

"Locker aufgespielt" haben seine Schützlinge dann aber keineswegs - ganz im Gegenteil: gerade einmal 18 Spielsekunden zeigte die Uhr im Pfaffenhofener Eisstadion an, als ECP-Stürmer Zbynek Bahula den Puck zum ersten Mal in die Maschen des gegnerischen Tores setzte. Nach weiteren zwölf Sekunden, also noch mitten im Torjubel, erhöhte Rod Poindexter zum 2:0. Solch ein Traumstart begeisterte die rund 300 mitgereisten Gästefans natürlich keineswegs. "Haufenweise warfen sie Papierschnipsel aus das Eis", erinnert sich Verteidiger Thomas "Dammerl" Schönauer noch heute. So musste bereits nach einer halben Spielminute die Begegnung für längere Zeit unterbrochen werden, um das Eis wieder aufzubereiten.

Was folgte, war ein Spiel voller Dramatik und Härte, wobei die Tore beinahe im Zweiminutentakt fielen. Bemerkenswert vor allem, dass das Team um Kapitän Markus Heiß auf jeden Gegentreffer die passende Antwort parat hatte und nie selbst in Rückstand geriet. Am Ende stand ein verdienter 9:7-Sieg zu Buche, woraufhin Trainer Niesporek die Parole für das Rückspiel ausgab: "Jetzt wollen wir auch den Titel."

Ganz so euphorisch waren seine Spieler noch nicht, wie der damalige Mittelstürmer und heutige ECP-Vorsitzende Karl Oexler durchblicken lässt: "Wir haben sie einmal in die Knie gezwungen, waren auf Wolke sieben und dachten: Mehr wird kaum gehen." So fuhr der ECP am Sonntag, genau heute vor 25 Jahren, mit gemischten Gefühlen die rund 80 Kilometer donauabwärts zum berüchtigten Freiluftstadion an der Nibelungenbrücke.

Dort angekommen, wartete auf die ECP-Akteure gleich eine faustdicke Überraschung: "Wir hockten da wie geplättet", erinnert sich Ersatztorwart Stephan Kaindl an das Szenario. Die Kabinentür ging auf und Bernhard "Benno" Retzer trat hinein. Der ehemalige Bundesliga-Spieler stand dem ECP, aufgrund eines Bänderrisses, seit vielen Wochen nicht zur Verfügung und platzte schmunzelnd direkt in Niesporeks Ansprache. "Dammerl" Schönauer hat seine Worte immer noch im Ohr: "He ihr Arschlöcher - könnt's ihr mi braucha"

Und ob sie ihn brauchen konnten, den Benno. "Das hat uns den letzten Schub gegeben", betont Stephan Kaindl und ergänzt: "Wir waren ja nach den Sperren aus dem Hinspiel für Dieter Seltmann und Rudi Retzer nur noch mit zwölf Hanseln unterwegs." Das dezimierte Team sollte aber noch eine unverhoffte Motivationsspritze verabreicht bekommen, wie Karl Oexler seine Erlebnisse schildert: "Vor der Heim-Kabine stand schon Kartonweise der Siegersekt und ein Fass Bier - da dachten wir uns: Aha, die nehmen uns anscheinend gar nicht ernst - denen werden wir es zeigen!"

Im Fußball würde man vom "Fritz-Walter-Wetter" sprechen und sollte es im Eishockey etwas Vergleichbares geben, dann wäre es wohl das "ECP-Wetter". Tatsächlich nämlich spielte am Sonntagabend der anhaltende Sprühregen den Underdogs in die Karten, wie sich Thomas Schönauer erinnert: "Die Scheibe lief auf dem stumpfen Eis ungewohnt langsam, sodass speziell die beiden Russen Alexej Reschetnikow und German Wolgin kaum ihre Künste auf das Eis zaubern konnten."

Es war also angerichtet für die "ultimative Abwehrschlacht", wie Karl Oexler das Rückspiel betitelt. Der Begriff passt perfekt, denn auf das Bollwerk, bestehend aus den Verteidiger-Paaren Niesporek/Schönauer und Mörz/Zeiler, kam es an. Dahinter stand allerdings mit Torhüter Jiri Novak ein Mann, der an diesem Abend schier unüberwindbar schien. "Ein überragender Keeper - ich habe nie einen besseren gesehen", urteilt Thomas Schönauer noch heute über den Tschechen. Wiederum sorgte Zbynek Bahula für einen Blitzstart: Diesmal benötigte er 22 Sekunden, um das erste Tor der Partie zu erzielen. Weitere Treffer für den ECP besorgten Rod Poindexter und - als hätte es im Drehbuch gestanden - Benno Retzer. Letztlich stand es 3:3, als die Schlusssirene ertönte - das "Wunder von Regensburg" war Realität.

Selbstverständlich, dass nun bis in die Puppen gefeiert wurde. Bis es jedoch so weit war, mussten noch ein paar Hürden genommen werden: So hatte der ECP-Tross lediglich das obligatorische Tragl Bier dabei. Wie gut, dass da noch die besagten Getränke vor der EVR-Umkleide standen - schließlich händigte ein Regensburger Betreuer das Material an die Sieger aus, und zwar mit dem Satz: "Des habt's eich verdient."

Gut ausgestattet mit Bier und Sekt, lies sich auch die Wartezeit in der Kabine überbrücken, denn längst nicht alle Regensburger waren so fair wie jener Betreuer: Zahlreiche aufgebrachte EVR-Fans versperrten für längere Zeit den Ausgang. "Die Ordner mussten für uns eine Gasse bilden, damit wir überhaupt zum Bus kamen", erklärt Stephan Kaindl.

Zu später Stunde waren Schönauer und Co. dann überwältigt, als sie bei ihrer Ankunft am Pfaffenhofener Eisstadion von über 200 Fans frenetisch empfangen wurden. Im Stadion-Stüberl wurde anschließend die Nacht zum Tag gemacht: "Gearbeitet hat von uns am Montag wohl kein einziger", vermutet Karl Oexler.

Die Saison war allerdings mit den Finalspielen nicht zu Ende, schließlich hatte das Team noch die Aufstiegsrunde zur Regionalliga zu bestreiten. "In diesen Spielen war aber die Luft raus", gibt Stephan Kaindl zu. Ein möglicher Aufstieg war wegen unzureichender Strukturen kein Thema, so hielt sich auch die Enttäuschung über so manche Niederlage in Grenzen. Schönauer, Kaindl und Oexler sind sich aber sicher: "Was wir aber im Januar 1993 erreicht und erlebt haben, bleibt unvergessen und kann uns keiner mehr nehmen."