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Erich Lindermeier schrieb die Chronik des ESV Ingolstadt und wurde damit selbst ein Stück Geschichte

25.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Erich Lindermeier ist Fußballfan mit Leib und Seele. Er fiebert mit, schimpft, schreit, leidet und jubelt. Und freut sich, wenn der FC Ingolstadt wie gegen Darmstadt 98 mit 3:1 gewinnt. „Das war ein wunderbarer Sieg“, schwärmt er vom zweiten Heimerfolg des Bundesliga-Neulings.

Dabei ist Lindermeier nicht einmal eingefleischter FCI-Fan. Das Herz des 71-Jährigen schlug stets für den ESV Ingolstadt. Seit der Fusion mit dem MTV zum FC 04 gibt es jedoch beim Eisenbahnersportverein keine Fußballabteilung mehr, und gerade deshalb ist der gebürtige Schanzer ein wichtiger Zeitzeuge. Als Verfasser der ESV-Chronik ist er sogar selbst ein Stück Geschichte geworden.

All das nur, weil der frühere Bahnbeamte hartnäckig blieb. „Eigentlich wollte ich die Chronik zum 75-jährigen Bestehen des ESV herausbringen. Aber seitens des Vereins bestand kein Interesse“, sagt Lindermeier. Das Jubiläum war 1994, doch erst als zehn Jahre später das Ende des Deutschen Amateurmeisters von 1979 nahte, konnte Lindermeier seine Pläne verwirklichen. FCI-Gründer Peter Jackwerth übernahm die Kosten für die Texterfassung und den Druck und ermöglichte 2004 das 439 Seiten umfassende Werk im DIN-A4-Format. Statt zu einer Jubiläumsschrift wurde die Chronik nun aber zu einem historischen Dokument über einen Fußballverein von der Gründung bis zu seinem Ende.

Auch die Entstehung des Werks ist eine besondere Geschichte. Lindermeier besitzt weder PC noch Laptop, seine ganze Arbeit resultiert aus unzähligen Telefonaten und Besuchen in Bibliotheken und Archiven. Aus über 100 Zeitungen und Zeitschriften, darunter vor allem dem „Kicker“, dem nicht mehr existierenden „Sportkurier“ und dem DONAUKURIER sammelte Lindermeier Texte, Fotos und insbesondere Statistiken. Handschriftlich trug er alle Spiele und Spieler in Listen ein, ordnete akribisch Aufstellungen, Positionen, Torschützen und erstellte Spieler- und Trainerbiografien bis ins letzte Detail. 10 000 Stunden und insgesamt fünf Jahre Arbeit investierte Lindermeier in das Projekt.

„Ich habe Freude an Zahlen. Deshalb bin ich auch im Deutschen Sportclub für Fußball-Statistiken“, erklärt der emsige Pensionär, dessen Wissen sich nicht auf den ESV beschränkt. 2010 veröffentlichte Lindermeier ein Statistik-Buch über Gerd Müller. Seine Sammlung zur 2. Liga Süd (1950–63) und Regionalliga Süd (1963–74) ist komplett, wurde aber bisher nicht gedruckt. Daten aus 100 Jahren deutscher Fußballgeschichte, ob von der Nationalmannschaft, der Bundesliga oder noch so kleinen Vereinen aus der Region hat der 71-Jährige in seinem Gedächtnis abgespeichert und stets abrufbar.

Zum Gespräch für diese Geschichte erscheint der seit 1973 in Germering wohnende Fußballchronist mit einer prall gefüllten Tasche voller Unterlagen. Eng beschriebene Schulhefte, Zeitungsausschnitte, Fotos. Dazu Briefe, die seine persönlichen Verbindungen zu Ex-DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller belegen. „Ich habe auch Fritz Walter besucht. Das war mein größtes Idol“, erzählt Lindermeier, der 1954 die WM ebenso am Radio verfolgte wie viele andere Fußballfans.

Aber woher rührt diese Begeisterung für den Fußball? „Mit acht Jahren ging ich das erste Mal zu einem Spiel des ESV. Das war am 21. September 1952 gegen Helios München“, erinnert sich der Ingolstädter ganz genau. „Ich ging damals in die dritte Klasse und unser Lehrer hat jeden Montag gefragt: ,Wer war gestern im Spiel’“ erzählt Lindermeier. „Ich bin am Bahnhof aufgewachsen und habe da am Kiosk immer nach alten „Kicker“-Heften gefragt. So ist mein Interesse entstanden.“

Als Spieler in der Schülermannschaft der Ringseer und später bei der DJK ging es weiter. Während seiner Bundeswehrzeit half er beim Stadionbau mit. Die glorreichen Zeiten der Eisenbahner in den 1960er- und 1970er Jahren erlebte Lindermeier ebenso als glühender Anhänger wie den Niedergang der Schwarz-Weißen. Auch in der Bezirksoberliga stand Lindermeier immer noch als Zuschauer am Spielfeldrand.

Und das ist heute noch so, obwohl er in der Familie keine Gleichgesinnten fand. „Meine Frau weiß nur, dass im Ball Luft drin ist“, spottet Lindermeier. Seine Tochter samt Ehemann und Enkelin sind ihm diesbezüglich auch keine Hilfe. Daher verfolgt Lindermeier entweder im Fernsehen alle frei empfangbaren Spiele, verfolgt von seinem Balkon aus die Begegnungen des SC Unterpfaffenhofen, dessen Platz direkt vor seinen Augen liegt, oder geht eben irgendwo ins Stadion.

Erich Lindermeier kennt den Fußball aus einer anderen Zeit, doch die Verbindung zu Ingolstadt ist geblieben. „Was Peter Jackwerth mit dem FC Ingolstadt geschaffen hat, ist in Deutschland einmalig. Ich hoffe, der FCI schafft den Klassenerhalt und entwickelt sich Schritt für Schritt weiter“, sagt Lindermeier voller Bewunderung.

Den ESV Ingolstadt gibt es nur noch in der Erinnerung. Die 250 Exemplare von Lindermeiers ESV-Chronik sind längst vergriffen. Aber wer einmal in alten Zeiten schwelgen will, kann dies zumindest noch in der Stadtbücherei tun – dort sind zwei Bände zur Einsicht verfügbar.