Ingolstadt
"Ein bisschen überzogen und pauschalisiert"

Übungsleiter der Region können Kritik des Ex-Profis Mehmet Scholl an der Trainerausbildung nur bedingt nachvollziehen

15.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Als "elfmonatige Gehirnwäsche" hat Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl die Trainerausbildung in Deutschland jüngst kritisiert. Sein Vorwurf: Die jungen Übungsleiter um Julian Nagelsmann & Co. würden den Fokus nur auf das System und die Theorie legen - und die individuelle Entwicklung der Spieler vernachlässigen. Wir haben bei den Fußballtrainern der Region nachgefragt: Sie können die Kritik des 47-Jährigen nur zu Teilen nachvollziehen.

"Scholl kritisiert ja zwei Dinge. Im ersten Punkt muss ich ihm widersprechen", sagt Stefan Leitl, Cheftrainer der Zweitliga-Mannschaft des FC Ingolstadt. "Denn Julian Nagelsmann, Domenico Tedesco und Hannes Wolf machen bei ihren Vereinen einen großartigen Job. Sie alle haben nachgewiesen, dass sie absolute Bundesliga-Trainer sind", sagt Leitl, der im März dieses Jahres an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef erfolgreich die Ausbildung zum Fußballlehrer abgeschlossen hat. Die Ausbildung empfand er nicht als theorielastig - im Gegenteil. "Die meiste Zeit bist du ja auf dem Platz." Scholl hatte jedoch die Ausbildung als zu theorielastig bezeichnet und in Bezug auf Nagelsmann & Co. der "Bild" gesagt: "Studenten haben die Nachwuchsleistungszentren und unsere große Liebe, den Fußball, übernommen."

Der FCI-Trainer gibt Scholl allerdings in einem anderen Punkt recht. "Den Jugendspielern das Dribbling zu verbieten, ist nicht der richtige Weg. Die Leute gehen doch ins Stadion, um einen Ribéry, einen Robben und einen Messi zu sehen - und nicht minutenlanges Passgeschiebe. Es sollte ein wesentlicher Bestandteil unserer Ausbildung sein, die Kinder, die dribbeln, auch dribbeln zu lassen", sagt der 40-Jährige. "Wir brauchen Spieler, die ins Eins gegen eins gehen und dafür auch Lösungen haben."

Das sieht auch Roberto Pätzold, Trainer der U 19-Mannschaft der Schanzer, so. "Natürlich individualisieren wir im Nachwuchsbereich das Training und arbeiten mit einzelnen Spielern an ihren Schwächen", berichtet der 37-Jährige, der derzeit die A-Lizenz besitzt und für das kommende Jahr die Fußballlehrer-Ausbildung anstrebt. In dieser seien auch Psychologie und Teamführung große und wichtige Bestandteile. "Wenn du Menschen nicht motivieren kannst, kannst du auch nicht erfolgreich sein. Mir ist es weiterhin wichtig, dass sich die Jungs wohlfühlen und dass sie auch ein Mitspracherecht haben."

Im Nachwuchsleistungszentrum des FCI wird laut Pätzold derweil ebenfalls auf moderne Technik zurückgegriffen. "Ich verbringe viel Zeit am Laptop, schneide für die Jungs Spielszenen zusammen, die wir dann gemeinsam für die Vor- und Nachbereitung benutzen", erklärt er. "Die Priorität liegt ganz klar auf dem Platz. Aber warum sollen wir nicht auf Dinge zurückgreifen, die das, was früher an der Taktiktafel und aus dem Gedächtnis erklärt wurde, heute für die jungen Spieler anschaulicher machen? Ich sehe das nicht zwangsläufig negativ."

Scholls Kritik, meint Pätzold, "ist schon ein wenig überzogen und pauschalisiert. Ich glaube nicht, dass er einen konkreten Einblick hat, wie die Trainer, die er da kritisiert, tatsächlich arbeiten." Dennoch findet der 37-Jährige es wichtig, über die Trainerausbildung zu diskutieren. "Ich glaube auch, dass Scholl mit seinen Aussagen provozieren und zum Nachdenken anregen wollte", sagt Pätzold. "Und tatsächlich ist der Zeitpunkt gar kein schlechter. Denn normalerweise werden Dinge immer dann hinterfragt, wenn es gerade weniger gut läuft. Wir sind der aktuelle Weltmeister, und der deutsche Fußball war in den vergangenen Jahren recht erfolgreich. Gerade dann ist es wichtig, dass weiter über Inhalte und Konzepte diskutiert wird. Nur so werden wir auch in Zukunft mit den Vereinen, aber auch der Nationalmannschaft und den Nachwuchsteams wettbewerbsfähig bleiben."

Sogar in den hiesigen Amateurligen haben moderne Trainingsmethoden derweil Einzug gehalten. "Wenn wir die Kapazitäten haben, lassen wir unsere Spiele filmen und analysieren hinterher mit den Spielern zusammen, welche Fehler sie gemacht haben", sagt beispielsweise Fabian Reichenberger, seit dieser Saison als Spielertrainer beim Kreisklassen-Zweiten SV Kasing in der Verantwortung. Der 29-Jährige kann Scholls Äußerungen nicht nachvollziehen. "Es gibt keine alten und keine neuen Trainer. Es gibt nur gute und schlechte", sagt Reichenberger und ergänzt: "Tedesco spielt mit Schalke aktuell eine überragende Saison. Jupp Heynckes wiederum ist 40 Jahre älter - und auch erfolgreich."

Letztendlich sei ein anderer Aspekt laut Reichenberger, aktuell Inhaber der B-Lizenz, entscheidend. "In jeder Ausbildung werden Inhalte vermittelt, mit denen der eine mehr und der andere weniger anfangen kann. Wichtig ist es doch aber, dass jeder das mitnimmt, was er mitnehmen kann, und dann mit diesen Erkenntnissen seinen eigenen Weg geht. Tedesco und Heynckes sind beide erfolgreich - und beide haben einen unterschiedlichen Weg genommen."

Andreas Steinberger, Trainer beim Kreisligisten FC Gerolfing, hat eine ähnliche Meinung. "Heute von reinen Systemtrainern zu sprechen, halte ich für falsch. Letztendlich gibt es einfach unterschiedliche Charaktere. Jeder Trainer legt Wert auf andere Dinge", sagt der 28-Jährige, der seit fünf Jahren die B-Lizenz besitzt. Er erklärt: "Auch ich habe natürlich eine klare Idee davon, in welchem System wir spielen wollen. Aber mir ist es beispielsweise auch wichtig, dass bei den Jungs in der offensiven Dreierreihe der Freigeist und der eigene Kopf im Vordergrund stehen."

Auch Stefan Leitl meint: "Klar spielst du aus einer Grundordnung heraus. Aber es sind doch die Spieler, die dann diese Grundordnung mit Leben füllen." Ohnehin sei es auch heutzutage mit den modernen technischen Hilfsmitteln bei Weitem nicht möglich, sich als Trainer auf alle Eventualitäten vorzubereiten. "Fußball ist und bleibt ein unpräziser Sport. Es gibt viel zu viele äußere Einflüsse, die du nicht vorhersehen kannst. Manchmal ist der Rasen schlecht, manchmal misslingt ein einfacher Pass", sagt der FCI-Coach. Die Trainerausbildung in Deutschland sieht Leitl derweil allgemein auf einem hohen Niveau. "Ich glaube, dass es die beste Ausbildung ist, die es weltweit gibt. Wenn du offen rangehst, wirst du auch etwas lernen und mitnehmen. Was man daraus macht, ist am Ende aber natürlich die Entscheidung eines jeden Einzelnen."