Eichstätt
"Der Spielraum für Fehler ist klein"

04.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:51 Uhr

In der Flugzeughalle: Der Eichstätter Claudius Spiegel an seinem – nach dem Cockpit – liebsten Ort. - Foto: privat

Eichstätt (DK) Die Weltmeisterschaft in Texas war ein persönliches Highlight, doch jetzt wird es für Claudius Spiegel wirklich ernst. Der Eichstätter startet am kommenden Wochenende in der Challenger-Klasse des Red Bull Air Race im kroatischen Rovinj. Es ist der Ritterschlag für den 25-Jährigen – mehr als ein gutes dutzend Piloten kommen für die spektakulärsten Rennen der Welt nicht infrage. Wir unterhielten uns mit Spiegel, der im wirklichen Leben als Berufspilot für die Swiss International Airline arbeitet.

Sie sind Berufspilot bei der Swiss International Airline. Könnte man mit normalen Verkehrsflugzeugen – zumindest theoretisch – auch ab und an einige Kunstflug-Elemente einbauen oder ist das technisch gar nicht möglich?

Spiegel: Sehr sehr theoretisch betrachtet wäre das möglich. Dazu müsste man allerdings den einen oder anderen Computer ausschalten und selbst dann wäre es aufgrund der Trägheit des großen Flugzeugs immer noch sehr schwierig – und wahrscheinlich auch unschön anzusehen.

Geben Sie es zu, sie haben ab und an schon mit dem Gedanken gespielt . . .

Spiegel: (lacht) Ich glaube, ich muss noch nicht einmal lügen, um ,Nein’ zu sagen. Schon fliegerisch würde das mit einem solchen Riesenkasten wenig Spaß machen. Ganz abgesehen von sich übergebenden Passagieren und der anschließenden Sauerei in der Kabine. Dann doch lieber eine klare Trennung zwischen Kunst- und Passagierflug.

Welchen Antrieb eines Flugzeuges bevorzugen Sie? Propeller oder Düsen?

Claudius Spiegel: Das kommt natürlich auf den Zweck an, den das Flugzeug erfüllen soll. Wenn Sie fragen, was mir mehr Spaß macht, dann wähle ich eindeutig das Propellerflugzeug.

Was ist beim Fliegen für den Piloten der Unterschied?

Spiegel: Prinzipiell betrachtet, fliegt jedes Flugzeug aufgrund der gleichen Gesetzmäßigkeit und auch der Art des Steuerns gleich. Ansonsten sind die Unterschiede riesig. Klar fliegt man auch beim Verkehrsflugzeug in vielen Phasen selbst, so zum Beispiel immer beim Start und bei gut 98 Prozent aller Landungen. Im Zweimann-Cockpit eines Airbus geht es sehr viel um Systemmanagement, man ist auch die Schnittstelle zu Computern. Im kleinen Kunstflugzeug ist alles auf das Notwendigste reduziert. Man ist allein, es gibt keinen Autopiloten und auch so ist man viel direkter mit dem Flugzeug verbunden. Es ist eine puristischere und damit auch freiere Art des Fliegens.

Sie sind in Eichstätt aufgewachsen, haben ihre ersten Flugversuche daher vermutlich auf dem Frauenberg absolviert . . .

Spiegel: Stimmt. Im Fliegerklub Eichstätt habe ich zunächst mit 13 Jahren mit dem Segelfliegen begonnen und mich im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt. Dem Segelflugschein folgten Motorsegler- und Motorfluglizenz, danach kam die Kunstflugberechtigung und die Berufspilotenlizenz. Und nun ist das Red Bull Air Race das nächste Level.

Was war für Sie als Kind so faszinierend am Fliegen?

Spiegel: Das ist gar nicht einfach zu beantworten. Vielleicht mit einem Vergleich: Warum ist Ihr Lieblingsessen ihr Lieblingsessen? Sie wissen es nicht, aber es ist halt so.

Kunstflug gilt als eine eher gefährliche Variante der Fliegerei . . .

Spiegel: Von außen wirkt das wohl oft so. Wenn ein Flugzeug mit knapp 400 Kilometern pro Stunde senkrecht nach unten auf den Boden zufliegt, wirkt das natürlich gefährlich. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Unfälle im Kunstflug und insbesondere im Wettbewerbskunstflug eher selten sind. Die ungewöhnlichen Flugzustände werden ja bewusst vom Piloten herbeigeführt und sind dementsprechend auch wieder ausleitbar. Natürlich gibt es immer ein Restrisiko, aber das existiert überall. Die brenzlichsten Situationen in meinem Leben habe ich sicher im Auto und nicht im Flugzeug erlebt. Auch das mag ich im Übrigen am Fliegen: Mein Überleben hängt viel weniger von anderen ab als auf der Straße.

Eine ganz andere Liga als der Kunstflug ist allerdings das Red Bull Air Race . . .

Spiegel: Wie der Name schon verrät, handelt es sich dabei um ein Rennen. Das Ganze findet in einem Parcours statt, der aus 25 Meter hohen, aufblasbaren Pylonen besteht, die sogenannten ,Gates’. Sie bilden Tore, die in einer vorgegebenen Reihenfolge zu durchfliegen sind. Die Teilnehmer treten nacheinander gegen die Stoppuhr an. Was dem Kunstflug ähnlich ist, sind die extremen Beschleunigungskräfte von bis zu maximal erlaubten 10 G (in einer Achterbahn treten Kräfte von 4 G auf, d. Red.) Außerdem gibt es Wendemanöver, die dem klassischen Kunstflug entstammen. Ein Unterschied ist sicher, dass die Flügel bei einer Geschwindigkeit von bis zu 370 Stundenkilometern teilweise nur gut zehn Meter vom Boden entfernt sind. Das heißt, es ist höchste Präzision gefragt und der Spielraum für Fehler dementsprechend klein.

Was macht die Faszination des Red Bull Air Race aus?

Spiegel: Sicher das schnelle, tiefe Fliegen, der hohe Anspruch, den es an den Piloten stellt, aber auch die Objektivität des Wettbewerbs. Kunstflug ist ein bisschen wie Eiskunstlauf, und selbst der beste Punktrichter ist nur ein Mensch und nicht zu 100 Prozent objektiv. Eine Stoppuhr ist das schon. Außerdem ist so ein Rennen für den Zuschauer leichter nachzuvollziehen und dadurch attraktiver.

Bekanntermaßen erhalten nur Ausnahmetalente eine Chance, dort zu starten. Sind sie ein bisschen stolz auf die Nominierung?

Spiegel: Ja, das kann ich nicht ganz abstreiten. Es war mein Ziel und Traum, irgendwann hierhin zu kommen. Das jetzt mit 25 Jahren geschafft zu haben und dort der jüngste Teilnehmer zu sein, ist schon ein gutes Gefühl.

Wie reagieren Ihre Kollegen in Berufsfliegerkreisen auf diese Berufung?

Spiegel: Eigentlich durch die Bank positiv. Aber es wissen auch nicht alle. Wenn es sich zufällig ergibt, spricht man darüber – wenn nicht, dann nicht. Manchmal ist Letzteres auch besser (grinst). Ansonsten erwarten die Kollegen im Airbus eine perfekte Landung nach der anderen. Und das ist schlichtweg unmöglich.

Wie kam es, dass ausgerechnet Sie ausgewählt wurden?

Spiegel: Ich war zur richtigen Zeit bereit dafür und zu dem Zeitpunkt der Geeignetste. Von 2011 bis 2013 gab es kein Red Bull Air Race. Als klar war, dass es 2014 wiederkommt, zudem mit der neuen Challenger Klasse, hat man noch einen deutschen Piloten gesucht. Genau zu diesem Zeitpunkt war ich im Kunstflug sehr erfolgreich. Ich wurde 2012 Deutscher Meister in der zweithöchsten Kategorie und holte einen der beiden Deutschen Meistertitel in der höchsten Kategorie bei der DM 2013. Dann waren sicher mein Alter und der professionelle Hintergrund als Berufspilot für Red Bull ein gutes Gesamtpaket.

Wie muss man sich so ein Auswahlverfahren vorstellen?

Spiegel: Wenn man zu einem Qualifikationscamp eingeladen wird, macht man dort genau das, was man auch später tun soll: Möglichst sicher und gekonnt durch einen Kurs aus Pylonen fliegen. Allerdings gab es auch eine umfassende psychologische Abklärung, um zu verstehen, ob man wirklich geeignet ist.

Sie starten am kommenden Wochenende in der Challenger-Klasse, also einen Tag vor dem Hauptrennen der Master-Klasse. Wo ist der Unterschied?

Spiegel: In der Master-Klasse fliegen die zwölf Piloten mit ihren eigenen Flugzeugen alle acht international verteilten Rennen der Saison. In der Challenger-Klasse, die als Hinführung dazu dient, fliegen alle der derzeit acht Piloten mindestens drei Rennen der Saison in von Red Bull gestellten, identischen Flugzeugen. Pro Rennen nehmen sechs Challenger teil und die sechs Challenger, die aus diesen Rennen die meisten Punkte mitnehmen, fliegen am Jahresende zusätzlich das Saisonfinale in China. Grundsätzlich ist die Idee, dass der Gewinner der Challenger-Klasse daraufhin in die Master-Klasse aufsteigt.

Wie geht es nach Rovinj für Sie weiter?

Spiegel: Neben Rovinj sind für mich die Rennen in Gdynia (Polen), Ascot (England) und Las Vegas (USA) geplant. Außerdem hoffe ich natürlich auf das Finale am Jahresende in China.

Die Stadt Rovinj liegt auf einer Halbinsel am Meer. Ist es nicht unangenehm, so nahe am Wasser zu fliegen?

Spiegel: Tatsächlich fliegen wir sogar direkt über dem Wasser, das heißt, die Pylonen werden auf kleinen, schwimmenden Docks stehen. Unangenehm daran ist, dass aufgrund der fehlenden Referenzen die sich sonst aus der Geländestruktur ergeben, die Höhenabschätzung extrem schwierig ist. Außerdem könnte es windig werden, was das Fliegen zwischen den Pylonen zusätzlich erschwert.

Und wenn Sie dem Wasser doch zu nahe kommen, gibt es vermutlich trotzdem keinen Schleudersitz . . .

Spiegel: (lacht) Nein, den gibt es nicht. Allerdings tragen wir nicht nur Helme, sondern auch einen Fallschirm. Der hilft zwar in 20 Metern Höhe nichts, kann aber unter Umständen, je nach Problem, trotzdem nützlich sein, wenn es noch Zeit zum Steigen gibt. Ansonsten werden wir noch einen Tag lang ein Unterwasser-Notfalltraining absolvieren, eine kleine Sauerstoffflasche im Rennflugzeug mit uns führen und es werden Rettungstaucher im Wasser bereit sein.

Auf was freuen sie sich am meisten am kommenden Wochenende?

Spiegel: Neben dem wahnsinnigen Spaß, den das Fliegen im Kurs macht, sicher auf die mittlerweile in Fliegerkreisen legendäre Einfluggenehmigung in den Kurs und gleichzeitig Aufforderung des Renndirektors das Rauchsystem des Flugzeugs einzuschalten, ,You are cleared into the track. Smoke on!’“

Das Gespräch führte

Gerhard von Kapff.