Duell der ewigen Rivalen kommt zu früh

Unser EM-Experte Karsten Wettberg hätte den Klassiker Deutschland gegen Italien gerne als Endspiel gesehen

01.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Bittere Erinnerungen werden wach, wenn ich an das EM-Halbfinale von Warschau 2012 denke, als wir als hoher Favorit gegen Italien galten, aber durch eine chaotische Aufstellung chancenlos waren. Der Handelfmeter führte nur zum Ehrentor bei der 1:2-Pleite, welche die italienische Dominanz nur ungenügend aufzeigte.

Bundestrainer Joachim Löw hat damals seine taktischen Fehler eingestanden und dachte aufgrund der harten Expertenkritik an einen Rücktritt. Der WM-Triumph 2014 in Brasilien hat diese Wunde zwar nicht verheilen lassen, doch sie ist vernarbt. Löw weiß genau, sollte an diesem Samstag nicht der erste Sieg bei einem EM- oder WM-Turnier gegen Italien gelingen, wird diese Kritik wieder aufleben. Zu stark ist unser Kader, zu sicher wirkt unsere Weltklasseabwehr und zu akribisch wurden unsere Spieler vom Trainer- und Scoutingteam sowie der medizinischen Abteilung auf die EM vorbereitet.

Bei uns denkt man gerne an die 1:4-Pleite der Italiener gegen den Weltmeister beim Testspiel im März, aber das war nur eine italienische B-Elf, die Nationaltrainer Antonio Conte aufs Feld schickte. Beim 2:0-Sieg gegen Spanien liefen ganze drei Spieler auf, die gegen Deutschland dabei waren.

Der Trainerfuchs hat in den vergangenen zwei Jahren ein Team geformt, das in puncto Qualität nicht mit den Deutschen mithalten kann, aber in puncto Willensstärke und Disziplin gleichgezogen hat, wenn nicht sogar überlegen ist. Die Italiener legen plötzlich Tugenden an den Tag, die vor Jahren als typisch deutsch galten. Und das neue Italien brillierte im Achtelfinale gegen Spanien mit dem Spiel nach vorne, schnell und durchaus zielgerichtet.

Über den vierfachen Welttorhüter Gianluigi Buffon von Juventus Turin viel zu berichten, hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Der 38-Jährige ist immer noch ein wichtiger Rückhalt, der mit Giorgio Chiellini, Leonardo Bonucci, Andrea Barzagli den Abwehrblock von Juventus Turin vor sich hat. In der Offensive bietet der Coach zwei Spieler auf, die noch nicht international aufgefallen sind. Graziano Pellè (30, FC Southampton) und sein Sturmkollege Eder (29, Inter Mailand) bilden ein gefährliches Duo.

Bundestrainer Löw hat mit der Nominierung von Julian Draxler für das Achtelfinale gegen die Slowakei viele Experten überrascht, jedoch alles richtig gemacht. Der Ex-Schalker, der beim VfL Wolfsburg nicht immer überzeugen konnte, war bester Mann. Überhaupt gibt es wenig am deutschen Team zu kritisieren. Ich bin überzeugt, dass dieses mit Spannung erwartete Spiel alles hält, was den Fußball so populär werden hat lassen. Der Weltmeister ist für mich Favorit. Ich hoffe, dass der ungarische Unparteiische Viktor Kassai eine gute Leistung zeigt und unser Team weiter im Turnier bleibt. Ich tippe jedenfalls auf 2:1 für Deutschland.

Ihr Karsten Wettberg