Höllenqual im Altmühltal

23.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:04 Uhr

Attenzell (EK) Die Beine brennen, der Puls hämmert unter dem schweißnassen Helm. Ich klammere mich an den Lenker, versuche, gleichmäßig zu treten und im Rhythmus zu bleiben. Im Fernsehen sagen die Experten bei der Übertragung der Tour de France immer, dass die Fahrer mit flüssigem Tritt und wenig Unruhe im Oberkörper am besten den Berg hochkommen.

Ich versuche also, alle Energie irgendwie in meine - mittlerweile schon ziemlich wackeligen - Beine zu lenken. Langsam, aber Meter für Meter, kämpfe ich mich den Schlussanstieg hinauf. Es wird nun etwas flacher, noch ein Kilometer bis zum Ziel, sagt mir ein Schild am Straßenrand. Hoffnung. Aber das Problem ist: Ich habe erst eine Runde hinter mir, eine zweite wartet noch auf mich.

Vor etwa drei Monaten war mir die Idee gekommen, beim Altmühltaler Straßenpreis zu starten. Gegenüber einem Kollegen meinte ich - damals der weitreichenden Folgen noch nicht gewahr -, dass ich einfach mal schauen wollte, wie sich ein "richtiges" Rennen anfühlt. Fahrrad gefahren bin ich schon immer, auch lange Touren, allerdings nicht auf einem Rennrad - geschweige denn bei einem echten Rennen.

Zunächst einmal musste aber ein passender Untersatz her. Mit meinem alten und schweren Mountainbike - da waren ich und alle Beteiligten einer Meinung - wäre es ein völlig hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Das Radhaus in Ingolstadt erklärte sich freundlicherweise bereit, mir ein Rennrad für einige Tage auszuleihen. Die erste Testfahrt sorgte auch gleich für Euphorie: Mit dem leichten Rad und den dünnen Reifen fühlte es sich an, als würde ich über die Straße fliegen. Nach der ersten Ausfahrt keimte schließlich sogar vorsichtiger Optimismus auf. Vielleicht war ja sogar etwas drin für mich?

Als ich zwei Tage vor dem Rennen mit einem Kollegen die Strecke abfuhr: totale Ernüchterung. An den steilen Rampen im Altmühltal fühlte es sich phasenweise an, als würde ich stehen bleiben. Nach einer Runde war ich schon ziemlich mitgenommen. Im Hobbyrennen mussten allerdings zwei gefahren werden.

Am Tag vor dem Rennen wurde es noch schlimmer: Ich wollte noch eine lockere, kleine Fahrt machen, die ich aber nach zehn Minuten abbrach. Die Beine waren schwer wie Blei, ich kam kaum voran. Und ich hatte nun ernsthaft Angst, der kommende Tag könnte in einem Desaster enden. Nein, ich war mir sogar sehr sicher, dass genau das passieren würde. Es folgte eine kurze Nacht, in der ich sehr unruhig schlief.

Dann stehe ich schließlich am Start in Attenzell. Die Zeit läuft hinunter, der Startschuss fällt, das Feld aus etwas mehr als 60 Fahrern setzt sich in Bewegung. Von Beginn an geht es zügig zur Sache. Meine Beine scheinen sich über Nacht etwas erholt zu haben, im ersten flachen Abschnitt schaffe ich es tatsächlich, das Hinterrad meines Vordermanns zu halten. Im Windschatten kann ich etwas Kraft sparen.

Doch dann der erste Anstieg - das Fahrerfeld bröckelt sofort auseinander. Ich versuche, nicht zu schnell zu fahren. Am Ende des Feldes bilde ich alsbald ein Grüppchen mit zwei weiteren Fahrern. Bergab können sie sich nach jeder Welle absetzen, bergauf schließe ich jeweils auf. Es ist ebenfalls das erste Radrennen für sie, erfahre ich bei einem kurzen Gespräch auf der Strecke. Die Führenden sind uns nach der ersten Runde bereits einige Minuten voraus, am Ende wird der Sieger 20 Minuten schneller als ich sein.

Ich muss kämpfen, bringe aber auch die zweite Runde irgendwie hinter mich. Am Schlussanstieg fahre ich noch an einem meiner beiden Begleiter vorbei und rolle über die Ziellinie. Ich steige vom Rad und muss vorsichtig sein, dass ich mit meinen zitternden Beinen nicht stürze. 31,8 Kilometer, 486 bewältigte Höhenmeter. Ein Schnitt von 28,2 Stundenkilometern. Eine Stunde, fünf Minuten und 42 Sekunden auf der Strecke. Das reicht am Ende für den vorletzten Platz. Dennoch fühlt es sich heute für mich wie ein Sieg an.