Ingolstadt
Das Problemkind des deutschen Fußballs

Das Verhalten von Investor Hasan Ismaik manövriert den Zweitligisten 1860 München zunehmend ins Abseits

06.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:32 Uhr

Tristesse im Traditionsverein: Derzeit läuft es bei den Löwen um Abdulaye auch sportlich nicht. Der Klub steht auf Platz 14. - Foto: Imago

Ingolstadt (DK) Man weiß dieser Tage nicht so recht, wie man mit den Schlagzeilen umgehen soll, die der TSV 1860 München produziert. Die einen reagieren verärgert, die anderen empfinden Mitleid, und vielen Fans tut es einfach nur weh, wenn sie verfolgen, was aus dem einstmals ruhmreichen Klub geworden ist.

Darüber lachen, über den oft titulierten "Chaosklub", über die Vereinsführung und deren Gebaren, kann man spätestens seit der vergangenen Woche allerdings nicht mehr. Der Umgang mit den Medien hat sich bei den Löwen schon seit geraumer Zeit zu einem Dauerzwist inklusive Hausverbot und Entzug von Dauerakkreditierungen entwickelt. Während der Pressekonferenz vor dem Liga-Spiel gegen den FC St. Pauli am Samstag wurden nun einer Reporterin der "Bild" Fragen nicht beantwortet, weil sie den Verein zuvor in einem Artikel kritisiert hatte.

In der Partie gegen die Hamburger hatte Investor Hasan Ismaik dann angeblich verfügt, dass sich die Funktionäre der Gäste zunächst mäßigen und später umsetzen sollten, weil sie zu sehr über die Tore ihres Klubs gejubelt hatten. Die Delegation hatte in Ismaiks Nähe gesessen. Und nach der 1:2-Pleite gegen den Kiezklub forderte Ismaik Berichten zufolge Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus auf, sich für ihre Leistung zu entschuldigen.

Der TSV 1860 hat einen Punkt überschritten. Die Nachrichten des Vereins verwundern nun nicht mehr, sie beängstigen. Ismaik offenbart einen erheblichen Mangel an Demokratieverständnis und Respekt und tritt die Pressefreiheit mit Füßen. "Grundsätzlich gibt es die Meinungsfreiheit in Deutschland, und es ist der falsche Weg, Leute auszusperren", sagt der frühere 1860-Profi Andreas Görlitz im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch Karsten Wettberg ist dieser Meinung. "Das ist nicht klug, wenn man so eine Maßnahme macht. Wenn man öffentlich Sport betreibt, muss man mit Kritik rechnen", sagt die Löwen-Legende. "Noch dazu, wenn der Erfolg nicht so da ist, wie man ihn gerne hätte."

Genau das ist wohl das Hauptproblem, das hinter all den Vereinspossen steckt. Die Löwen befinden sich auf dem 14. Tabellenplatz der 2. Bundesliga, nur noch vier Punkte entfernt vom Relegationsplatz. Ismaik hat seit 2011 geschätzte 60 Millionen Euro in den Verein gepumpt, doch der Erfolg will sich nicht einstellen. In den ersten drei Spielzeiten nach dem Einstieg des jordanischen Investors hielt sich der Klub noch im Tabellenmittelfeld, in den vergangenen beiden Jahren stand er zum Ende der Saison auf den Rängen 16 und 15. Seit Ismaik in München regiert, hat er elf Trainer, sechs Geschäftsführer, fünf Sportdirektoren und fünf Präsidenten verschlissen. Er will den Verein auf Gedeih und Verderb in die erste Liga führen, doch im Moment sind die Löwen auf allen Ebenen - mit Ausnahme der finanziellen - meilenweit vom Oberhaus entfernt.

Eine Alternative aber gibt es nicht. Springt der Investor ab, landet der Verein laut Wettberg in der Insolvenz und schlussendlich in der fünften Liga. Das Szenario - immerhin - muss der Klub Wettberg zufolge nicht befürchten. "Ismaik ist ein Investor, der wirft doch das nicht weg. Er will in die erste Liga, und er hat das Geld, dass er noch mehr investiert", sagt Wettberg, und nimmt den Jordanier zugleich in Schutz: "Es liegt nicht an Ismaik, sondern an der sportlichen Leitung", moniert der 75-Jährige. "Ismaik ist nicht immer gut behandelt und in der Ära Poschner sogar hintergangen worden."

Görlitz, der auch schon beim FC Ingolstadt unter Vertrag stand, sieht das ein wenig kritischer. Die Probleme des Klubs seien abzusehen gewesen. "Die letzten Jahre hat sich der Verein definitiv sehr verändert, wie ich ihn kenne", sagt der 35-Jährige. "Der Klub hat sich zu einem ,TSV 1860 Ismaik' entwickelt. Das ist vor allem schade für die Fans. Die Sechziger haben viele Supporter, und die sind die Leidtragenden." Dass Ismaik Geld in den Verein pumpe, sehe er nicht als Problem. Klubs wie RB Leipzig dienten als positive Beispiele, dass ein Investment eines Einzelnen funktioniert. Aber: "Es ist schwierig, wenn einer komplett das Sagen hat."

Am Wochenende waren vor allem die Journalisten und St.Pauli-Funktionäre Leidtragende des respektlosen Verhaltens Ismaiks. "Wenn auf dem Altar des vielen Geldes Meinungsfreiheit und respektvoller Umgang mit Mitarbeitern, Medien und anderen Klubs auf der Strecke bleiben, dann gute Nacht Fußballdeutschland", kritisierte St. Paulis Sportchef Andreas Rettig. "Jedes Spruchband wird sanktioniert, und hier ist man auf beiden Augen blind."

Die DFL sieht dagegen keine rechtliche Handhabe. "Angesichts der Tatsache, dass die Klubs sowohl auf ihrem Trainingsgelände als auch im eigenen Stadion Hausrecht ausüben und die DFL in diesem Fall nicht direkt berührt ist, besitzt die DFL hier keine statuarische Grundlage, weitergehend tätig zu werden", hieß es in einer Erklärung des Liga-Verbands. Der TSV hält an seiner restriktiven Medienpolitik fest. "Dabei schränken wir weder die Pressefreiheit noch die Meinungsfreiheit ein", teilt der Klub mit.