Gedanklich
Willkommen in der Realität

04.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:11 Uhr

Hoffnung auf zwei Rückkehrer: Abdoulaye Ba (rechts) hat seine Sperre abgesessen und Felix Uduokhai (links) ist fit.

Gedanklich waren die Löwen mit Vitor Pereira schon in der Champions League, doch die Realität heißt Abstiegskampf in Liga zwei. Nun droht dem hitzigen Trainer sogar eine Sperre. Heute Abend tritt der TSV 1860 in Dresden an.

München (DK) Nur etwas mehr als vier Monate sind vergangen seit jenem bizarren Tag im Dezember, dem Tag von Vitor Pereiras aufsehenerregender Inthronisation beim TSV 1860. Volksnah hatte sich der Portugiese in der Hacker-Gaststätte "Bräuhaus" damals den Löwen-Fans vorgestellt. "Das ist der Mann, der uns in die erste Liga führen soll", hatte Präsident Peter Cassalette verkündet und Pereira hatte anschließend die eine Hand in Richtung Decke gestreckt und gesagt: "We go to the top." Gefolgt von "Vitor-Vitor"-Sprechchören.

Drei Spieltage vor dem Ende sind die Münchner nicht nur von der Spitze ziemlich weit entfernt, sondern sogar ziemlich am Boden. Auf dem Relegationsrang gehen sie in den Saisonendspurt, sieglos seit fünf Spielen und nur noch mit einem Punkt Vorsprung vor dem direkten Absturz in die Drittklassigkeit. Keine neue Situation für den Klub, der sich zweimal in Folge an den letzten Spieltagen, einmal sogar in den letzten Minuten des Relegationsrückspiels gerettet hatte. Eine neue Situation aber für den erfolgsverwöhnten Trainer.

Gedanklich war man beim TSV 1860, umhüllt von Pereiras Champions-League-Aura, wohl schon irgendwo in der neuen Saison, beim angestrebten Aufstieg in die Bundesliga. Dass die aktuelle Löwen-Mannschaft für dieses Vorhaben zu schwach besetzt sei, hatte nicht nur der Portugiese selbst immer wieder betont und dabei wohl vergessen, die Mannschaft, die zweifelsohne viel zu gut besetzt ist für die dritte Liga, auf den Existenzkampf einzustellen. Pereira hat Erstaunliches geschafft, den Löwen in kurzer Zeit eine neue Spielidee vermittelt, die nach Fußball aussieht. Charismatisch, mit viel Erfahrung, taktisch gut geschult, emotional: Auf lange Sicht könnte der 48-Jährige, daran besteht eigentlich kein Zweifel, genau der richtige Trainer für Sechzig sein. Weil die Mannschaft aber trotz spielerischer Dominanz zuletzt keine Tore und damit keine Punkte mehr erzielte, verpufft Pereiras Wirken in dieser Saison immer mehr und treibt den Portugiesen zu Analysen wie: "Vielleicht habe ich derzeit ein Problem mit Gott" oder: "Ich bin mir sicher, dass unsere Chancen reingegangen wären, wenn wir auf einem anderen Platz stünden."

Heute Abend (18.30 Uhr) treten die Löwen bei Dynamo Dresden an und damit beim ersten ihrer drei Gegner, für die es im restlichen Saisonverlauf um nicht mehr viel geht. Das kann ein Vorteil sein, muss es aber nicht. "Man darf nicht davon ausgehen, dass uns Dresden die Punkte schenkt", weiß Stefan Aigner. Während er und seine Offensivkollegen endlich wieder die Chancen verwerten sollen, kommt in der Defensive die erhoffte Hilfe zurück: Abdoulaye Ba nach seiner Gelbsperre und Felix Uduokhai nach seiner Verletzung sind in Dresden dabei. Dynamos bester Torjäger Stefan Kutschke (16 Treffer) fehlt auf der anderen Seite gelbgesperrt.

Eine Sperre könnte in dieser Saison nun auch Pereira treffen. Am Dienstag hat der DFB die Ermittlungen wegen der vermeintlichen Beleidigungen gegenüber seinem Trainerkollegen Torsten Lieberknecht aufgenommen. "Von mir wurde noch keine Stellungnahme angefordert. Wenn dem so ist, werde ich das tun", verriet Pereira gestern und betonte: "Ich werde meine Mentalität nicht ändern. Ich bin kein Schauspieler, ich lebe Fußball auch in meinen Träumen."

Ob der temperamentvolle Portugiese ausgerechnet in der entscheidenden Saisonphase von der Tribüne aus zusehen muss und wer Pereira ersetzen könnte? Fest steht: Daniel Bierofka, personifizierter Löwen-Retter, Identifikationsfigur und neuerdings auf Pereiras Wunsch Mitglied der Löwen-Bank, darf den Job - nach seiner Ausnahmegenehmigung im Dezember - nicht ein weiteres Mal übernehmen. Dass Pereira grundsätzlich zur Diskussion stünde, verneinte Investor Hasan Ismaik in dieser Woche. Schließlich ist der Portugiese ja der Trainer, der die Löwen in der nächsten Saison an die Spitze führen soll.