Ingolstadt
Reise in die Vergangenheit

FC 04-Trainer Oral trifft auf seinen Ex-Klub FSV Frankfurt, bei dem er zehn Jahre unter Vertrag stand

08.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:51 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Bloß keine Sentimentalitäten. „Dafür ist im Fußball kein Platz“, sagt Tomas Oral. Dabei hätte er durchaus Anlass dazu. Denn am Freitag (18 Uhr) tritt er mit dem FC Ingolstadt nicht bei irgendeinem Klub an. Es geht zum FSV Frankfurt, dem Verein, für den er selbst zehn Jahre als Spieler und Trainer aktiv war und bei dem der 38-Jährige den Sprung ins Profigeschäft schaffte.

„Das war schon eine superschöne Geschichte und der FSV wird immer einen Platz in meinem Herzen haben“, sagt Oral. Ebenso schnell, wie das Lob für den Ex-Verein kam, schlüpft der gebürtige Ochsenfurter aber auch wieder in die Rolle des professionellen Arbeiters. Und die sieht in den Augen des ehrgeizigen Coaches vor allem eines vor. „Wir spielen gegen einen direkten Konkurrenten im Abstiegskampf. Also müssen wir in Frankfurt drei Punkte holen.“

Genau die Zielstrebigkeit ist sein Markenzeichen. Schon als Spieler hatte er diesen Charakterzug. Da gibt es zum Beispiel die Episode aus dem Jahr 1994, als er im Alter von 21 Jahren vom Regionalligisten SG Egelsbach zum Probetraining eingeladen wurde. Auf dem Weg dorthin blieb sein alter Golf auf der A661 plötzlich liegen. Statt auf den Abschleppdienst zu warten, schulterte Oral lieber seine Sporttasche und lief auf dem Seitenstreifen los. Erst nach einigen Kilometern nahm ihn ein LKW-Fahrer mit, sodass Oral doch noch ankam, seinen Vertrag erhielt und mit dem Gewinn des Hessenpokals bei der SG wenig später seinen größten Erfolg als Spieler feiern konnte.

Im Jahr 2000 kam Oral dann zum FSV. Zwei Jahre spielte er beim damaligen Oberligisten im defensiven Mittelfeld, als plötzlich der Trainer der Reserve den Klub verließ. Bernd Reisig, damals schon Manager beim FSV und bis zuletzt Wegbegleiter von Oral, schlug den 1,67 Meter großen Techniker als Nachfolger vor. „Du denkst doch eh wie ein Trainer“, meinte Reisig, und für Oral war der Startschuss zur eigenen erfolgreichen Trainerkarriere gefallen. Nach drei Aufstiegen in drei Jahren (von der Kreisliga bis in die Landesliga) übernahm er 2006 die „Erste“. Wieder folgten drei Aufstiege in drei Jahren – und plötzlich war Oral Zweitligatrainer.

„Am Anfang habe ich sicher vom Verein profitiert, weil man mir das Vertrauen und die Chance gegeben hat, den Trainerberuf von der Pike auf zu lernen“, sagt Oral. „Später habe ich das durch die Erfolge aber sicher auch komplett zurückgezahlt.“ Den Zweitligaaufstieg 2008 und den Klassenerhalt in der darauf folgenden Saison bezeichnet er noch heute als seine wichtigsten Erfolge. Nicht zuletzt, weil er in beiden Serien sämtliche Beobachter überraschte. 2007/2008 war das Ziel eigentlich Platz zehn und damit die Qualifikation für die 3. Liga – plötzlich wurde der FSV nach einem harten Duell vor dem FC Ingolstadt Meister. Im Jahr darauf stand der FSV zur Halbserie mit vier Zählern Rückstand auf das rettende Ufer am Tabellenende. Kämpfernatur Oral hielt mit einer starken Rückserie dennoch die Klasse, während Mitaufsteiger Ingolstadt gleich wieder in die Drittklassigkeit abrutschte.

Im Jahr 2009 dann die Wende. Oral hatte seinen Trainer-Lehrgang in Köln begonnen, der Kader zum wiederholten Mal einen großen Umbruch erlebt, sodass der FSV nicht mit einer gefestigten Mannschaft in die Saison gehen konnte. Oral probierte alles und ließ seine Mannschaft im Anschluss an das 0:4 in Fürth nach der Heimfahrt zum Straftraining antreten. „Wir hatten uns ohne Gegenwehr in unser Schicksal ergeben. Das geht natürlich nicht. Und da mir klar war, dass ich durch meinen Lehrgang die Mannschaft so schnell nicht wieder zusammenbekomme, habe ich eben um 3.30 Uhr in der Nacht ein Training angesetzt.“ Patrick Klandt, heute noch Torhüter beim FSV muss lachen, als er an die Episode erinnert wird. „Ja, so etwas konnte bei ihm auch passieren. Er war schon ein harter Hund, hatte dabei aber auch das nötige Fachwissen. Er war definitiv ein guter Trainer.“

Doch auch das nächtliche Training half schließlich nicht. Nach weiteren Misserfolgen verkündete Oral am achten Spieltag im Anschluss an das 1:1 gegen Tabellenführer Kaiserslautern unter Tränen seinen Rücktritt. „In den Gesprächen vorher hatte ich schon gemerkt, dass einige Verantwortliche im Verein wackelten. Deshalb war für mich unabhängig vom Ausgang der Partie klar, dass ich mich selber schützen und aufhören musste.“ Das Verhältnis zu Manager Reisig, dem lange Jahre allgewaltigen FSV-Macher und früheren Manager von Popstar Nena, hatte wohl auch ein wenig gelitten. „Wir hatten eine Freundschaft und verstehen uns heute auch noch gut.“ Mehr mag Oral dazu nicht sagen.

Ein Wiedersehen der beiden wird es am Freitag nicht geben. Reisig ist seit 2010 und einem Streit um den Stadionausbau auch nicht mehr beim FSV. Im Kader stehen mit Torhüter Klandt und Verteidiger Gledson nur noch zwei Spieler aus der Oral-Zeit. „Ich freue mich auf jeden Fall, ihn zu treffen, schließlich bin ich unter ihm aufgestiegen und habe meine ersten beiden Jahre in der Zweiten Liga erlebt“, sagt Klandt. Auch er weiß natürlich um die Bedeutung der Partie gegen Ingolstadt und hofft auf einen Erfolg gegen seinen ehemaligen Trainer. Aber, wer weiß, vielleicht haben Keeper und Ex-Coach ja nach den 90 Minuten noch ein wenig Zeit, um in gemeinsamen FSV-Erinnerungen zu schwelgen.