Ingolstadt
"Ich möchte auf die ganz große Bühne"

FCI-Trainer Ralph Hasenhüttl zieht Bilanz und erklärt die Gründe für seinen Wechsel zu RB Leipzig

11.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:49 Uhr

Ralph Hasenhüttl will noch mehr ins Rampenlicht. Nach 951 Tagen beim FC Ingolstadt und einer einzigartigen Erfolgsgeschichte wechselt der 48-jährige Österreicher zu RB Leipzig. - Foto: Witters

Ingolstadt (DK) Am Samstag geht im letzten Saisonspiel des FC Ingolstadt bei Bayer Leverkusen (15.30 Uhr) die erfolgreichste Trainer-Ära in der Vereinsgeschichte der Schanzer zu Ende. Ralph Hasenhüttl, der den FCI vom Zweitliga-Schlusslicht zum Bundesligisten machte, verabschiedet sich zum Liga-Konkurrenten RB Leipzig. Im Interview blickt der 48-jährige Österreicher auf seine Zeit in Ingolstadt zurück.

 

Herr Hasenhüttl, es heißt, einen Trainer lernt man erst kennen, wenn er dreimal hintereinander verloren hat. Das war während Ihrer Zeit in Ingolstadt nie der Fall. Insofern haben wir Sie in fast drei Jahren gar nicht kennengelernt?

Ralph Hasenhüttl: Ach so, und nach dem Wochenende geht es auch nicht mehr (lacht). Nein, wir wollen ja in Leverkusen etwas mitnehmen. Aber wie Sie wissen, ging es mir nicht immer nur darum, Punkte zu holen, sondern wie man auftritt. Das Faszinierende war, dass wir auf eine Art und Weise durch die Liga marschiert sind, die uns keiner zugetraut hätte. So wie wir hat noch nie ein Aufsteiger gespielt. Das hat vielen Respekt abverlangt.

 

Dieses extreme Anlaufen des Gegners, war das von vornherein Ihre Spielidee oder ist sie erst in Ingolstadt entstanden?

Hasenhüttl: Diese Spielweise haben wir in Ingolstadt mit dem Trainerteam und der Mannschaft gemeinsam entwickelt und vorangetrieben. Herausgekommen ist das, was man gegen den FC Bayern gesehen hat. Dass wir mehr Torschüsse hatten als der Meister und trotz eines 0:2-Rückstands die Chance auf einen Punkt. Das zeigt, wie mutig und selbstbewusst wir auftreten.

 

Hätten Sie an der Spielweise festgehalten, wenn es nicht auf Anhieb mit einem Sieg in Mainz geklappt und die Mannschaft schnell daran geglaubt hätte?

Hasenhüttl: Ich wäre von dieser Spielidee nicht abgewichen. Meiner Meinung nach hatten wir mit dieser Mannschaft nur eine Chance, wenn wir uns auf unsere Automatismen verlassen konnten. Wir mussten das, was uns in der Aufstiegssaison stark gemacht hat, verfeinern und anpassen. Und wir haben nach dem 0:4 zu Hause gegen Dortmund schnell gelernt, noch mutiger zu werden.

 

Es gab Ende der Hinrunde eine schwierige Phase, als aus der Torflaute eine Stürmermisere wurde. Hatten Sie nie Zweifel?

Hasenhüttl: Dass wir uns im Winter verstärken wollten, war klar, weil wir im Sommer nur sehr wenig auf dem Transfermarkt tätig waren. Dario Lezcano hat uns auch geholfen. Aber ich habe immer an meine Stürmer geglaubt und ihnen die Zeit gegeben. Lukas (Hinterseer) und Bomber (Moritz Hartmann) haben in der Rückrunde am Fließband getroffen. Die Arbeit gegen den Ball steht in unserem System im Vordergrund und hindert einen ein bisschen, selbst in Erscheinung zu treten. Aber irgendwann kommt der Moment, wo man beides miteinander verbinden kann und vor dem Tor ruhiger wird.

 

Die Bundesliga war auch für Sie neu. Woher nahmen Sie die Überzeugung: Die Jungs packen das?

Hasenhüttl: Wir reden von unserem System. Und darin ist die individuelle Qualität nicht ganz so wichtig. Deswegen war mir klar, dass auch Zweitliga-Stürmer das lernen werden. Bomber hat das eindrucksvoll bewiesen und mittlerweile in jeder Liga getroffen.

 

Hätten Sie nicht Druck machen können und mehr Verstärkungen fordern können?

Hasenhüttl: Ich weiß es nicht. Ich will aus dem, was ich habe, mehr machen und schreie nicht sofort um Hilfe, wenn etwas ein paarmal nicht funktioniert. Das finde ich eine Bankrotterklärung für einen Trainer.

 

Was haben Sie beim FCI als Trainer gelernt, was Sie vorher noch nicht wussten?

Hasenhüttl: Sehr, sehr viel. Dieser rasante Aufstieg des Vereins geht auch einher mit dem persönlichen Aufstieg jedes Einzelnen, und dadurch ändert sich auch ein bisschen das Leben. Ich suche gerne die Nähe zu den Fans, aber man muss häufiger unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainieren. Man kann auch nicht mehr jeden Interviewwunsch bedienen, weil man merkt, dass man die Kraft für die Mannschaft braucht. Das ist mit das größte Problem in der Bundesliga, dass man so viele Dinge drum herum zu erledigen hat, dass das eigentlich Wichtige, nämlich die Mannschaft zu entwickeln, manchmal zu kurz kommt.

 

Was nehmen Sie mit aus Ingolstadt?

Hasenhüttl: Unglaublich viel. Ich habe mich taktisch enorm weiterentwickelt, weil wir vieles probiert haben. Wir haben so gespielt, wie ich nie zuvor gespielt habe. Ich habe in der Bundesliga mit Mannschaften zu tun gehabt, die einem taktisch viel abverlangen, wo man sich viele Gedanken machen muss. Ich bin definitiv ein besserer Trainer als vor einem Jahr. Auch die Situation mit zwei gleich starken Torhütern haben wir gemeistert. Wir haben es geschafft, beide bei Laune zu halten, besser zu machen und Erfolg zu haben. Das war auch eine Riesenherausforderung.

 

Wie empfanden Sie das Klima im Verein?

Hasenhüttl: Es war alles sehr harmonisch, das war etwas Einzigartiges. Die Geschäftsführer Harald Gärtner und Franz Spitzauer haben mir den Rücken freigehalten. Das sensationelle Verhältnis zu Sportdirektor Thomas Linke hat mir viel Energie gegeben und nicht gekostet. Das habe ich in meiner Karriere auch schon erlebt. Aber wir hatten auch nie Misserfolge, das macht es natürlich leichter.

 

Trotzdem haben Sie sich entschlossen, den Verein zu verlassen. Wann ist die Idee entstanden?

Hasenhüttl: Ich war immer fest davon überzeugt, dass ich den Vertrag hier erfüllen werde. Allerdings ist es halt so, dass sich im Fußball Dinge sehr schnell entwickeln. Dass die Aufmerksamkeit auch für mich persönlich dermaßen groß wird, war nicht vorherzusehen. Dann beginnt man zu überlegen. Ich glaube nicht, dass wir mit unserer Entwicklung schon am Ende sind, aber wer mich kennt, weiß, dass ich ein sehr ehrgeiziger Trainer bin. Ich möchte irgendwann mal Titel gewinnen. Ob das mit Ingolstadt möglich ist, weiß ich nicht. Ich möchte mal in die Champions League auf die ganz große Bühne.

 

Hätte der FCI früher versuchen sollen, den Vertrag mit Ihnen zu verlängern?

Hasenhüttl: Drei Jahre sind eine wahnsinnig lange Zeit als Trainer. Man steht vor seiner Mannschaft und erzählt jeden Tag etwas. Dass sich das irgendwann erschöpft, ist auch klar, obwohl ich nicht das Gefühl habe, dass ich meine Spieler nicht mehr erreicht hätte. Es gibt nicht viele Trainer, die drei Jahre lang in einem Verein Trainer sein dürfen.

 

Es war Ihnen wichtig, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, wann Sie aufhören?

Hasenhüttl: Das ist ein Privileg. Ich bin der erste Trainer beim FCI, der von sich aus geht.

 

Können Sie nachvollziehen, dass sich die FCI-Verantwortlichen vor den Kopf gestoßen fühlten?

Hasenhüttl: Ich habe es so offen versucht wie nur möglich. Aber ohne irgendeinem auf die Füße zu steigen, geht in so einer Situation wahrscheinlich nicht. Es ist klar, dass nicht jeder ,juhu' schreit, wenn man seinen Vertrag nicht erfüllen will.

 

Haben Sie umgekehrt mehr Dankbarkeit erwartet, weil Sie dem Verein ja auch eine hohe Zusatzeinnahme bescheren?

Hasenhüttl: Ich habe so viel Anerkennung bekommen und nehme viele positive Erinnerungen mit, die mir keiner nehmen kann. Die Gesichter der Zuschauer, die mich persönlich verabschiedet haben. Das ist für mich der allergrößte Erfolg, dass wir den FCI in den Herzen verankert haben.

 

Sie haben das gute Verhältnis zu den FCI-Verantwortlichen angesprochen. Sind da jetzt Freundschaften zerbrochen?

Hasenhüttl: Nein, man muss Emotionen und Geschäftliches trennen. Harald Gärtner, Thomas Linke oder Peter Jackwerth sind für mich auch in Zukunft Menschen, mit denen ich gerne etwas zu tun haben möchte. Ich war ein kleiner Teil des Erfolgs und jetzt bekommt man für das kleine Rädchen eine richtig schöne Ablöse. Ich glaube, ich habe keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Ich kann jedem in die Augen schauen.

 

Hat Leipzig bereits vor der Saison bei Ihnen angefragt?

Hasenhüttl: Die Kontakte zu Leipzig waren über meinen Manager länger da. Fakt ist, dass es nicht so viele Trainer gibt, die einen solchen Fußball spielen wie ich mit meiner Mannschaft. Und Leipzig will genau so spielen. Dementsprechend war ich wohl immer ein Kandidat. So wie man Spieler scoutet, scoutet man auch Trainer.

 

Sie haben bisher bei kleinen Vereinen in Ruhe arbeiten können. Jetzt stehen Sie bei RB Leipzig sofort im Rampenlicht und das bei einem Verein, der unter den Fans als Feindbild gilt. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Hasenhüttl: Erst einmal freue ich mich über die sportliche Herausforderung. Bisher habe ich Vereine im Abstiegskampf übernommen, jetzt komme ich zu einem Bundesliga-Aufsteiger, der schon funktioniert. Das ist für mich etwas ganz Neues. Und dann hat dieser Verein mit Ralf Rangnick einen Trainer, den ich zu den zwei, drei besten in Deutschland zähle. Ich freue mich, die gute Arbeit fortzuführen und hoffe, die Erwartungen zu erfüllen. Ich bin nicht in einer Komfortzone wie beim FCI, sondern fange bei null an. Ich brauche das und möchte mir das selber beweisen. So wie ich das in Aalen und Ingolstadt erreicht habe. Ich habe eine Mannschaft am Tabellenende übernommen, bin mit ihr aufgestiegen und habe sie in der Liga gehalten. Viel mehr geht fast nicht.

 

Ist Leipzig schon der Verein, mit dem Sie in der Champions League spielen wollen?

Hasenhüttl: Es ist ein Verein, der Potenzial hat. 50 000 Zuschauer sind eine andere Hausnummer. In der Stadt Leipzig ist der Fußball schon lange verankert. Durch die professionellen Strukturen lassen sich ambitionierte Ziele verfolgen. Da sind viele Möglichkeiten. Und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit einem Fachmann wie Ralf Rangnick.

 

Aber man muss mit ihm auch auf einer Wellenlänge sein?

Hasenhüttl: Nein, das muss man nicht. Ich habe Respekt vor diesem Mann, aber keine Angst, eine andere Meinung zu vertreten. Ich weiß, dass ich noch viel lernen kann als Trainer, auch von ihm. Ich bin ein Lernender.

 

Hätten Sie ihren Co-Trainer Michael Henke gerne nach Leipzig mitgenommen?

Hasenhüttl: Ich bin bisher stets alleine irgendwo hingegangen. Das hatte ich auch jetzt wieder so vor.

 

Was glauben Sie, was in Ingolstadt möglich sein kann?

Hasenhüttl: Wir haben hier etwas sehr Großes angeschoben. Wir haben die Euphorie in der Stadt nach oben getrieben. Da ist so viel Rückhalt da, dass ich keine Angst habe, dass diese Mannschaft, egal in welcher Zusammenstellung, in der Klasse bleiben kann. Mit den Möglichkeiten hier gibt es zurzeit keine anderen Ziele.

 

Sie wollen um Titel spielen. Haben Sie dafür einen Zeitplan?

Hasenhüttl: Nein, selbstverständlich nicht. Erst einmal gilt es, RB in der Bundesliga zu etablieren. Leipzig hat eine sehr junge Mannschaft, die ihre Erfahrungen in der Bundesliga erst machen muss. Es ist nicht so, dass man da so einfach durchmarschiert.

 

Aber Sie sprechen vom Titel in der Bundesliga?

Hasenhüttl: Wie gesagt, als ehrgeiziger Trainer möchte ich so viel erreichen wie möglich. In Deutschland ist es generell natürlich schwierig, Titel zu gewinnen, weil der FC Bayern eine eigene Liga darstellt. Aber wenn man irgendwann international spielt, wäre das für mich als Trainer schon sensationell.

 

Wie werden Sie jetzt Abstand gewinnen?

Hasenhüttl: Ich habe alles geblockt und keine Anfragen hinsichtlich der EM angenommen. Ich brauche diese Zeit nach den intensiven Wochen und nehme mich komplett raus. Ich werde bei meiner Familie und in den Bergen sein und Sport treiben.