Ingolstadt
Fatale Fehleinschätzungen

Der Absturz des FC Ingolstadt begann damit, dass diverse Probleme im Sommer unterschätzt wurden

18.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:10 Uhr

Am Boden: Ein Punkt hat der FC Ingolstadt bislang aus sieben Partien geholt. Drei der vier Ingolstädter Tore schoss dabei Lukas Hinterseer, doch einen Grund zur Freude gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: Die Schanzer sind erstmals in ihrer Vereinsgeschichte Tabellenletzter in der Bundesliga. - Foto: Simon/Imago

Ingolstadt (DK) Der Tiefpunkt ist erreicht: Der Bundesligist FC Ingolstadt steht nach sieben Spielen auf dem letzten Tabellenplatz. Bei der Suche nach den Gründen für den Absturz werden wahlweise einzelne Spielszenen, individuelle Fehler oder unvorteilhafte Schiedsrichterentscheidungen angeführt. Bei genauer Betrachtung wurden bei der Weichenstellung vor der Saison aber bereits einige Risiken falsch eingeschätzt.

 

An der alten Taktik wurde zu lange festgehalten

Nachdem es zuvor schon einige Wechsel im taktischen System gegeben hatte, schickte Trainer Markus Kauczinski gegen Hoffenheim seine Elf noch einmal im von Vorgänger Ralph Hasenhüttl eingeführten 4-3-3 und mit der Vorgabe, früh ins Pressing zu gehen, aufs Feld. Ein in zweifacher Hinsicht bemerkenswerter Vorgang: Zum einen, weil die Initiative hierzu wohl aus der Mannschaft kam. Zum anderen, weil der Versuch angesichts der ansatzlosen Nominierung von Debütant Anthony Jung sowie des körperlich nicht fitten Almog Cohen beim gleichzeitigen Verzicht auf den stärksten Strafraumstürmer (Dario Lezcano) zum Scheitern verurteilt war. Erst danach, vor dem siebten Spiel, setzte sich Kauczinski durch und muss nun damit klarkommen, dass Leistungsträger der Vorsaison wie etwa Roger, Lezcano, Morales und Christiansen völlig aus dem Konzept sind. Warum hat sich der Coach, der bereits zugab, die Probleme geahnt zu haben, nicht schon zu Saisonbeginn durchsetzen können?

 

Die Neuzugänge haben den Kader nicht verstärkt

Auch wenn klar ist, dass die wirtschaftlichen Möglichkeiten des FC Ingolstadt deutlich schlechter sind als die vieler (aber nicht aller) Liga-Konkurrenten, muss die Frage erlaubt sein: Wurde der Kader vor der Saison überhaupt verstärkt? Die Zahlen belegen das Gegenteil. Hinter Torwart Martin Hansen (26 Jahre) sind alle Neuzugänge 23 oder jünger - und kämpfen größtenteils auch nach sieben Spielen immer noch um den Anschluss. Einzig Marcel Tisserand hat es in die Startelf geschafft, Anthony Jung bestritt eine Partie, und Robert Leipertz bekam bei drei Kurzeinsätzen 14 Minuten Spielzeit. Der Rest sitzt draußen. Die Folge: Der Druck auf die etablierten Kräfte fehlt, und Cheftrainer und Bundesliga-Neuling Kauczinski muss mit der um einige Abgänge erleichterten Mannschaft der Vorsaison ins Rennen gehen. Kein Wunder somit, dass sich die sportliche Leitung um Sportdirektor Thomas Linke, den Geschäftsführer Sport, Harald Gärtner, und Kauczinski inzwischen unangenehme Fragen zur wenig erfolgreichen Transferpolitik gefallen lassen muss.

 

Die Bedeutung der Abgänge wurde unterschätzt

In dieser Zeitung wurde bereits Ende Juni die Frage nach der zukünftigen Hierarchie gestellt. Besonders die Abgänge von Ramazan Özcan und Benjamin Hübner rissen nicht nur einen funktionierenden Defensiv-Verbund auseinander, sie schwächten auch die mentale Widerstandsfähigkeit des Teams. Verblieben ist mit Marvin Matip nur noch ein echter Leader. Pascal Groß, Moritz Hartmann und Tobias Levels versuchen zu unterstützen, haben zugleich aber auch genug mit ihrer eigenen Situation zu tun. Roger, den der Verein gerne in dieser Rolle sehen würde, fällt dafür momentan ebenso aus wie die Özcan/Hübner-Nachfolger Nyland und Tisserand.


Das Potenzial der Offensive wurde überschätzt

Weil der FCI damit 40 Punkte holte, waren die 33 Tore der Vorsaison trügerisch. Zumal Toptorschütze Moritz Hartmann acht seiner zwölf Treffer per Elfmeter erzielte. Dass die Angreifer der Debütsaison Probleme bekommen würden, diese Quote zu wiederholen, war eigentlich klar. Einziger Stürmer, der sich - entsprechend Spiellaune vorausgesetzt - auf Erstliga-Niveau behaupten kann, ist Dario Lezcano. Alle anderen haben in der Vorsaison an ihrem Limit gespielt und laufen dieser Form aktuell hinterher. Trotzdem wurde der Angriff nur mit dem talentierten Zweitliga-Spieler Robert Leipertz ergänzt. Die bisher schwache Trefferquote mit nur vier Toren aus sieben Spielen, davon zwei Elfmetern, ist deshalb keine Überraschung.

 

Lichtgestalt Hasenhüttl fehlt als Motivator

Nach dem erzwungenen Abschied von Showtalent Ralph Hasenhüttl, der mit seiner Art auch die Fans auf seine Seite ziehen konnte, setzt der Klub nun auf den soliden Arbeiter Markus Kauczinski. Der bodenständige Ex-Karlsruher passt in die Philosophie des Vereins, wirkt im Vergleich zum Vorgänger aber immer noch sehr zurückhaltend. Mag sein, dass dies erst nach dem ersten Saisonsieg anders wird. Neben dem Testspielerfolg gegen den VfB Eichstätt (7:0) kann Kauczinski bisher schließlich nur den Pokalerfolg nach Elfmeterschießen in Aue vorweisen. Umfeld und Fans zu mobilisieren - das zeigt auch der Umstand, dass bislang noch kein Heimspiel ausverkauft war und viele Fans das Stadion schon vor dem Abpfiff verlassen - wäre im Kampf gegen den drohenden Abstieg aber natürlich besonders wichtig. Doch wer soll das machen? Immerhin will die Mannschaft ab dem Spiel gegen Dortmund (Samstag, 15.30 Uhr) beim Thema Fanpflege zulegen und nach dem Schlusspfiff wieder die Kurve besuchen.

 

Fazit: Nimmt man den Status quo, dann war der FC Ingolstadt bei der Saisonplanung zu gutgläubig. Der neue Trainer und der umgebaute Kader zahlen viel länger Lehrgeld als gedacht. Gelingen nicht bald erste Erfolge, werden für den angestrebten Klassenerhalt mutigere Entscheidungen als bisher notwendig sein.