"In Köln war es extrem"

FCI-Kapitän Marvin Matip über den mentalen Druck, der auf Fußballprofis lastet

19.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:32 Uhr
FCI-Kapitän Marvin Matip −Foto: Ralf Lüger

Ingolstadt (DK) In einem vielbeachteten Interview hat der ehemalige Nationalspieler und Weltmeister Per Mertesacker vor Kurzem den Druck im Profifußball beklagt. Oft sei die Belastung für ihn so schlimm gewesen, dass er unmittelbar vor den Spielen mit Brechreiz und Durchfall zu kämpfen hatte.

Für Marvin Matip, Kapitän des FC Ingolstadt, sind diese Schilderungen keine Überraschung. In seinen 14 Profijahren hat der Verteidiger vergleichbare Situationen beobachtet und bewertet es daher als äußerst positiv, dass das Thema Druck im Profifußball nun wieder offener diskutiert wird. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt der 32-Jährige von schwierigen Situation in seiner eigenen Karriere und inwieweit sich der Druck auf den FC Ingolstadt aufgrund der inzwischen sieben Zähler Rückstand zu Relegationsrang drei verändert hat. Gehen er und die Mannschaft deshalb anders in die anstehende Partie bei Tabellenführer Fortuna Düsseldorf (Sonntag, 13.30 Uhr)?

Herr Matip, was haben Sie gedacht, als Sie das Interview von Per Mertesacker gelesen haben?

Marvin Matip: Das waren sicher nicht komplett unbekannte Dinge, die er da erzählt hat. Ich fand es definitiv sehr mutig und absolut an der Zeit, dass jemand in dieser Klarheit über Druck redet.

Haben Sie es in Ihrer Karriere erlebt, dass Teamkollegen ähnlich große Sorgen hatten?

Matip: Definitv. Es sind nun mal nicht alle in der Lage, einfach so jedes Mal den Schalter umzulegen und zu funktionieren. Fußballer sind ganz normale Menschen - und die haben vor und nach den Spielen eben auch ganz normale Ängste.

Mertesacker spricht erst am Ende seiner Karriere über diese Probleme. Ist das für aktive Profis immer noch ein Tabuthema?

Matip: Ich befürchte ja. Es gibt im Fußball gewisse Themen wie Homosexualität und Druck, die werden gerne umschifft. Ich würde mir wünschen, dass offener darüber gesprochen wird, damit alle Beteiligten merken, dass sie in der Pflicht sind. Der Fall Robert Enke darf sich nicht wiederholen.

Oft heißt es: "Fußballer verdienen so viel Geld, die müssen das aushalten."

Matip: Ganz ehrlich, diese Aussage ist für mich nervig und dumm. Die geht komplett am Thema vorbei. Es reicht schon, wenn man sich nur vorstellt, man sei in einer ähnlichen Drucksituation. Würde es einem dann wirklich helfen, wenn man ein Vielfaches verdient?

Für einen Außenstehenden ist schwer verständlich, wie ein Profi diese Schwierigkeiten derart lange geheim halten kann?

Matip: So lange man auf dem Platz funktioniert, ist es ohne weiteres möglich, dass solche Probleme gar nicht oder erst sehr spät auffallen. Ich weiß von Spielern, dass sie vor den Partien einen extrem trockenen Mund bekommen, gedanklich komplett im Tunnel stecken und kaum noch einen klaren Gedanken fassen können. Erst wenn der Anpfiff kommt, fällt eine Last von ihnen und dann funktionieren sie plötzlich. Wie soll da jemand etwas merken?

In Ihrer ersten Bundesliga-Saison waren Sie 19 und mussten mit Köln gleich gegen den Abstieg spielen. Sie haben mal erwähnt, dass der Druck damals kaum auszuhalten gewesen sei?

Matip: Das war schon eine extreme Situation, vor allem, weil ich keine Vorerfahrung hatte. Hinzu kam, dass Köln eine Medienstadt ist, in der viele nach Nachrichten suchen, um Klubs und Spieler kritisieren zu können.

Haben Sie mal daran gezweifelt, ob das wirklich Ihr Traumjob ist?

Matip: Ganz ehrlich: Auch wenn man bei jungen Spielern darauf achten sollte, dass sie rechtzeitig lernen, mit diesen Begleiterscheinungen umzugehen, ist das immer noch ein Traumjob. Ich habe jedenfalls nie ans Aufhören gedacht. In Köln durfte ich nach einer Niederlage aber eben auch mal erleben, dass am nächsten Tag elf Kreuze auf dem Trainingsplatz lagen. Dann merkt man schnell, dass nicht immer nur die Sonne scheint.

Was hilft Ihnen persönlich, wenn es mal nicht so läuft?

Matip: Ein gefestigtes Umfeld und Menschen, mit denen man darüber sprechen kann, sind ganz wichtig. Zu meiner Kölner Zeit mussten meine Eltern in diesem Punkt durchaus mit mir leiden, weil ich nach schlechten Spielen einfach nicht ans Telefon gegangen bin.

Sie haben sich komplett zurückgezogen?

Matip: Verletzter Stolz, falsches Schamgefühl, solche Dinge spielen da eine Rolle. Ich musste eben auch erst lernen, darüber zu reden. Es hilft ungemein, wenn einem jemand sagt, dass ein schlechtes Spiel nicht automatisch heißt, dass du ein schlechter Mensch bist.

Wie hoch ist die Bedeutung der mentalen Stabilität für den Erfolg einer Mannschaft?

Matip: Extrem hoch. Nicht umsonst sagt man: Mentalität schlägt Qualität.

Sie haben mit Köln und Ingolstadt gegen den Abstieg und um den Aufstieg gespielt. Gibt es tatsächlich einen positiven und einen negativen Druck?

Matip: Eher nein, da ist kein wirklicher Unterschied. Druck ist immer da. Nicht zuletzt deshalb, weil man einen Anspruch an sich selbst hat. Ich will zum Beispiel auch beim Testspiel gegen einen Amateurverein immer gewinnen und meine Leistung bringen.

Hat sich für den FCI der Druck vor den letzten Spielen verändert? Schließlich ist Rang drei angesichts des Sieben-Punkte-Rückstandes inzwischen nahezu unerreichbar.

Matip: Hey, wir haben noch vier Spiele! Ziel bleibt, nach Möglichkeit vier Siege einzufahren, angefangen mit dem Spiel in Düsseldorf. Auch wenn der öffentliche Druck vielleicht etwas kleiner geworden ist, so haben wir immer noch unseren eigenen Anspruch. Entsprechend braucht niemand Angst haben, dass wir irgendetwas herschenken. Ich freue mich jedenfalls tierisch auf die letzten vier Spiele.

Das Gespräch führte
Norbert Roth.