Ingolstadt
Auszeit

28.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:52 Uhr
GFL1 - Football - Saison 2017 - Ingolstadt Dukes vs. Munich Cowboys - Spiel 5 - Foto: Ralf Lüger −Foto: Ralf Lüger

Ingolstadt (DK) Die NFL Europe existierte 15 Spielzeiten lang als Ableger der US-amerikanischen Football-Liga NFL, Klubs wie Frankfurt Galaxy oder Rhein Fire aus Düsseldorf zogen Zehntausende Fans an. Heute vor zehn Jahren wurde das Ende der Liga verkündet. Wäre angesichts der gestiegenen Football-Begeisterung in Deutschland eine Neuauflage denkbar?

Nicht jeder konnte die Zeichen der Zeit deuten. Beim Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im März 1991 gegen die UdSSR im Frankfurter Waldstadion sollen sich einige TV-Zuschauer beim Sender erkundigt haben, was es mit den seltsamen Markierungen auf dem Spielfeld auf sich habe. Die Antwort: American Football hatte den Weg nach Europa gefunden. Um Märkte außerhalb den USA zu erschließen und ihre zweite Garde unter Wettkampfbedingungen zu testen, hatte die National Football League (NFL) 1991 die "World League of Football" gegründet. Das erste deutsche Team in dieser Weltliga, an der zu Beginn auch amerikanische Mannschaften teilnahmen, war Frankfurt Galaxy - wegen der vielen im Rhein-Main-Gebiet stationierten US-Soldaten. Später kamen in der nun NFL Europe genannten Liga noch Rhein Fire aus Düsseldorf, Berlin Thunder, die Cologne Centurions und Hamburg Sea Devils dazu. Die übrigen europäischen Teams waren die Amsterdam Admirals, London Monarchs, Barcelona Dragons und Scottish Claymores. Der Sieger wurde im so genannten World Bowl ermittelt.

Der Klassenunterschied zwischen NFL und NFL Europe sei vergleichbar mit der 1. und 2. Bundesliga im Fußball gewesen, sagt TV-Moderator Jan Stecker, der in den 80er-Jahren zu den besten deutschen Footballspielern zählte. Hoffnungsvolle Talente sollten sich für die Mutterliga empfehlen. "Das war das Farmteam-Prinzip", erklärt Eugen Haaf. "Die NFL-Klubs haben in Europa ihre zweite und dritte Garde unter Livebedingungen getestet", sagt der Trainer der Ingolstadt Dukes, die in dieser Saison erstmals in der German Football League 1 antreten, der höchsten deutschen Spielklasse. "10 bis 20 Prozent" der Profis, schätzt Stecker, hätten den Sprung geschafft - meist als Ergänzungsspieler. Als spätere NFL-Superstars dürfen zwei Männer gelten: Adam Vinatieri, der 1995 das Trikot der Admirals trug, gewann mit den New England Patriots und den Indianapolis Colts vier Superbowls und gilt als einer der besten Kicker der Geschichte. Kurt Warner, 1998 Quarterback der Niederländer, holte den Super Bowl 1999 mit den St. Louis Rams.

Um den Sport in Europa populärer zu machen, setzten die Teams neben den US-Talenten auf so genannte "Nationals", einheimische Spieler. Neben den Ex-Fußballern Manfred Burgsmüller, Axel Kruse (siehe Interview unten) oder Ingo Anderbrügge, die sich publikumswirksam als Kicker verdingten, war Werner Hippler der bekannteste. Mit mehr als 100 Einsätzen ist der 46-Jährige der NFL-Europe-Rekordspieler. Der Kölner hielt seine Knochen zudem für San Diego und Detroit in Übersee hin. "Es war eine sehr gute Liga", sagt Hippler, der nach der Karriere eine Sicherheitsfirma gründete.

Die Spiele wurden nach US-Vorbild als Event inszeniert. Der 57-jährige Stecker war als Stadionsprecher von Rhein Fire tätig. "Die Fankultur war großartig", erinnert er sich. Im Schnitt pilgerten in den 15 Spielzeiten ihres Bestehens rund 19 000 Zuschauer pro Spiel in die Stadien der NFL Europe. Düsseldorf und vor allem Frankfurt entwickelten sich zu Football-Hochburgen. Haaf war häufig zu Gast im Waldstadion, das im Schnitt 30 000 Fans besuchten. "Galaxy war ein Aushängeschild für Party", erinnert sich der Peutenhausener (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen).

Doch alles Spektakel nutzte nichts: Am 29. Juni 2007 verkündete die NFL das Aus ihrer kleinen Schwester in Europa. Als Grund wurde eine veränderte Strategie genannt, die vorsah, verstärkt Ligaspiele von NFL-Teams in Europa auszutragen. Daneben spielten auch die mangelnde TV-Präsenz und hohe finanzielle Verluste eine Rolle. "Pro Team wurden drei bis fünf Millionen Euro Verlust gemacht", erinnert sich Hippler. Die Teams in Europa hätten sich am aufgeblähten und entsprechend teuren Verwaltungsapparat der US-Klubs orientiert. Außerdem bestand die NFL Europe am Ende aus fünf deutschen Teams, einzig die Amsterdam Admirals rechtfertigten noch den Namen. "Die Liga hätte sich selbst tragen sollen", erinnert sich Stecker. "Da sie das nicht tat, hat die NFL das Ganze geknickt." Das Ende sei überraschend gekommen.

Doch die Football-Begeisterung in Deutschland hat jüngst wieder zugenommen - nicht nur in Ingolstadt. Der Rheinländer Sebastian Vollmer gewann an der Seite von Superstar Tom Brady 2015 und 2017 den Super Bowl mit den New England Patriots, TV-Liveübertragungen der NFL-Spiele erzielen starke Quoten. Wäre zehn Jahre nach dem Aus eine Neuauflage der NFL Europe denkbar - und vor allem wirtschaftlich erfolgreicher?

"Aus Fehlern lernt man. Eine Neuauflage wird in den USA aktuell diskutiert", weiß Hippler zu berichten. "Die NFL sieht jetzt, was sie vermisst. Vor allem Quarterbacks, aber auch alle anderen Positionen sind in der NFL Europe entwickelt worden. Wenn alle 32 Teams 500 000 Euro in die NFL Europe stecken - was für die kleines Geld ist -, haben sie einen Riesengewinn. Sie können ihre Spieler ausprobieren und das Risiko noch teurerer Fehlentscheidungen vermindern."

Haaf sieht Football zwar wieder in einer Boomphase, doch schon zu Zeiten der NFL Europe sei das Interesse in Deutschland groß gewesen. Auch Stecker ist skeptisch: "Hier herrscht europaweit die größte Begeisterung, auch in England ist der Hype groß. Aber in Spanien eher nicht, und auch bei Frankreich bin ich mir nicht sicher." Der Gedanke an eine Neuauflage allerdings sei reizvoll: "Ich würde sofort wieder den Stadionsprecher machen."

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