Reiner Calmund über die Nationalmannschaft: ''Das hatten wir Jahrzehnte nicht''

26.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:54 Uhr
Prall gefüllter Erfahrungsschatz: Reiner Calmund plauderte mit den Jungs von 19er Alu - von links nach rechts Bernhard Schilling, Lars Wilhelm und Tom Heindl - über die große Welt des Fußballs. −Foto: Picasa

Ingolstadt (dk) Mit Reiner Calmund hatten die Jungs von 19er Alu in ihrer 24. Sendung im wahrsten Sinn des Wortes ein Schwergewicht des deutschen Fußballs im DK-Forum zu Gast. Der 63-Jährige formte den einst biederen Werksklub Bayer Leverkusen zu einem Verein von internationalem Format. In Ingolstadt sprach er über moderne Vereinsstrukturen, die deutsche Nationalmannschaft und die emotionalsten Momente seiner Laufbahn.

 
 
Die allerersten Worte Reiner Calmunds an diesem kurzweiligen Abend werden in die Historie dieses Formats eingehen. "Ich merk schon, dass Du ein kleiner Drecksack bist", sagte er nach der Anmoderation von Lars Wilhelm.
 
Calmund ist am Puls der Zeit. Er bedient seinen regelmäßig und rät Vereinen, im IT-Bereich alles auszunutzen, da man ansonsten nicht konkurrenzfähig sei. Ebenso wichtig wären jedoch Mannschafts- und Menschenführung. Klinsmann sei aus diesem Grund bei Bayern München gescheitert. Er schwärmt von Thomas Tuchel, den Trainer des FSV Mainz, nimmt jedoch die "alten Säcke" in Schutz. "Wer steht denn an der Spitze? Heynckes!".
 
Das Scouten brasilianischer Spieler endete unter der Ägide Calmunds nicht auf dem Rasen; potenzielle Neuzugänge wurden auch schon mal in der Kneipe beobachtet. Bayers damals wichtigster Scouting-Verantwortlicher, Heinz Prellwitz, begleitete die Frauen der brasilianischen Ballzauberer in den Kreißsaal und bewahrte Jorginho & Co. davor, statt Dosengulasch Chappi zu essen. Apropos Brasilianer. "Hätte Lucio im Champions-League-Finale 2010 zwischen Inter und Bayern noch in München gespielt, hätten die das Finale gewonnen. Der ist zwar fromm, hat aber schon im Spielergang allen auf die Socken getreten".
 
 

Im zweiten Block geht es um die Nationalmannschaft. Er erinnert sich an die beiden Weltmeisterschaften in Mexiko: "1970 war Fußball pur, da war der spannendste Hitchcock ein Mickymaus-Film dagegen. 1986 war diese Scheiß-WM, wo wir mit Glück und Kampf im Finale waren." Die Maßnahmen nach der verkorksten EM 2000 hätten den Weg für die Zukunft geebnet, und heute hätte man einen regelrechten Boom. "Wenn de da Trainer bist, haste die Qual der Wahl - das hatten wir in dieser Besetzung Jahrzehnte nicht." 
 
Als stärkste Konkurrenten für Deutschland im Kampf um den EM-Titel in diesem Jahr sieht er neben den üblichen Verdächtigen Spanien und Holland auch Ausrichter Polen. Die seien kein Favorit, könnten aber jedem ein Bein stellen und seien eine "ganz, ganz große Hürde auf dem Weg zur Europameisterschaft".
 
 
 
Ans Eingemachte geht es im dritten und letzten Block. Sein emotionalster Moment bei Bayer Leverkusen wäre der Klassenerhalt 1996 kurz vor Schluss gewesen. "Das Münch-Tor blieb länger in Erinnerung als der UEFA-Cup-Sieg 1988." Was weh tut, sind die verpassten Meisterschaften. In Erinnerung ist ihm noch immer der "Anton aus Tirol", der im Unterhachinger Sportpark nach den beiden Gegentoren durchs Stadion hallte. Dass Uli Hoeneß nach dem verpassten Titel bei ihm angerufen und ihm gesagt hat, dass es ihm Leid tut - "das hat bei aller Rivalität gut getan". 
 
Und als ewiger Zweiter mit "Vizekusen" konnte er irgendwann die Sieger-Hymne "We are the Champions" nicht mehr ertragen, er bekam darüber hinaus eine Konfetti-Allergie. "Vier mal Zweiter, vier Mal die Schnibbel vom Gegner um die Ohren geschossen - das ist sensationell!". 
 
Er wünscht sich, dass der Boom in der Bundesliga anhält, dass die Nachwuchsarbeit weiter optimiet wird - und dass die Chaoten endlich aus den Stadien verschwinden. "Ich bin für Stimmung und schönes Feuerwerk, aber auf dem Feld und von Fachleuten. Wenn einer glaubt, man kann Pyrotechnik in einer Kurve machen, muss er ballaballa sein." Und da kann die sonst so gutmütig wirkende Manager-Legende auch mal richtig ernst werden: "Wer Krawall macht - Abflug!". 
 
Text: Uwe Ziegler, Online-Redaktion
Dreharbeiten und Fotos: Bernd Limmer, Online-Redaktion
Dreharbeiten und Schnitt: Tom Webel, Online-Redaktion