Neue Spuren im Fall Peggy

Ist der geistig behinderte Ulvi K. wirklich der Mörder? Die Zweifel an seiner Schuld wachsen

17.07.2012 | Stand 03.12.2020, 1:16 Uhr
Gudrun Rödel glaubt, dass der wegen Mordes verurteilte Ulvi K. unschuldig ist. Die pensionierte Rechtsanwaltssekretärin will das Verfahren neu aufrollen lassen. Am vermeintlichen Tatort auf einem Weg in der Nähe des Aussichtsturms in Lichtenberg erklärt sie ihre Version des Falles Peggy. −Foto: Daniel Peter (dapd)

Lichtenberg (dapd) Der Fall Peggy liegt elf Jahre zurück: Angeblich hat ein geistig Behinderter die Neunjährige in Lichtenberg umgebracht. Er wird wegen Mordes verurteilt – nun soll das Verfahren neu aufgerollt werden.

Der Aktenordner, der vor Gudrun Rödel liegt, ist prall gefüllt. Protokolle aus polizeilichen Vernehmungen, Briefe von Prozessbeteiligten und Gutachten. „Wir haben alles zusammengetragen, was aus unserer Sicht gegen eine Täterschaft von Ulvi K. spricht“, sagt die frühere Rechtsanwaltssekretärin. Mit den Unterlagen will sie den Prozess gegen den behinderten Mann, der vor elf Jahren in Lichtenberg eine Neunjährige umgebracht haben soll, neu aufrollen. Der Bayerische Rundfunk hat die letzten Schritte zum Antrag auf ein Wiederaufnahmeverfahren begleitet.
 
Eigentlich ist der Fall Ulvi K. der Fall Peggy. Es war der 7. Mai 2001, als die Neunjährige auf ihrem Schulweg spurlos verschwand. Wochenlang durchkämmten Hundertschaften die oberfränkischen Wälder, sogar Tornados kamen zum Einsatz. Peggy bleibt verschwunden, ihre Leiche wird nie gefunden.
 Zur Causa Ulvi K. wird der Fall 2003. Der damalige bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU) zieht die bisherigen Ermittler wegen Erfolglosigkeit ab. Für die Neuen gerät der zur Tatzeit 23-Jährige ins Visier: Ulvi K. war zuvor wegen seiner pädophilen Neigungen zwar überprüft, aber als „kalte Spur“ abgetan worden war. Nach stundenlangem Verhör gesteht der geistig Behinderte die Tat.
 
Später wird er zwar seine Einlassung widerrufen, da er körperlich misshandelt worden sei. Dennoch verurteilt ihn das Landgericht Hof drei Jahre nach Peggys Verschwinden wegen Mordes. Ulvi K. wird lebenslang in die geschlossene Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth eingewiesen. Bis heute glaubt in Lichtenberg jedoch kaum jemand, dass der übergewichtige Ulvi mit einem IQ von 67 die Tat begangen haben könnte: Er soll die als aufgeweckt geltende Peggy abgefangen und binnen einer Stunde vergewaltigt, erwürgt und gemeinsam mit seinem Vater beiseitegeschafft haben.
 
Gudrun Rödel wollte sich nicht mit dem Urteil abfinden. Selbst Mutter einer behinderten Tochter, nahm sie Kontakt zu Ulvis Eltern auf. Sie traf auch den Mann, der am Nachmittag des Tattages mit Ulvi K. in seinem Garten Holz gemacht haben will: „Der Mann weinte und beteuerte, dass Ulvi bei ihm war. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich, um was zu tun.“ Die pensionierte Rechtsanwaltssekretärin löste Lichtenberg aus der Schockstarre und gründete eine Bürgerinitiative für den Verurteilten. Detektivisch organisierte sie widersprüchliche Polizeiprotokolle. Auch ein an den damaligen Richter gerichteter Wutbrief eines Vaters ist unter den Dokumenten: Dessen Sohn sah Peggy noch am Abend des Tattages, die Aussage wurde jedoch von der Polizei als „Lausbubenstreich“ abgetan.
 
Der Widerruf der entscheidenden Zeugenaussage gelangte in Rödels Besitz, was für sie nun die tragende Säule für einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist. „Das Gutachten, das Ulvis ursprüngliches Geständnis als wahr einschätzt, basiert allein auf der Aussage eines Zeugen, der zugibt, gelogen zu haben“, sagt sie. Zudem hat sie den Fahrtenschreiber jenes Schulbusses, mit dem Peggy nach Hause fuhr, von einem Verkehrsgutachter auswerten lassen. „Das Ergebnis ist, dass Peggy nie zu der Zeit in Lichtenberg ankam, wie von der Polizei behauptet. Damit stimmt die ganze Theorie zum Tathergang nicht“, sagt sie.
 
Der Film des BR dokumentiert die Wahrheitssuche von Rödel. Allein eine Frage greift der Film nicht konsequent auf: Was könnte tatsächlich mit Peggy passiert sein? Dazu gibt es mehrere Spuren, eine führt sogar in die unmittelbare Nachbarschaft von Ulvi K.: Vor wenigen Jahren wurde ein Lichtenberger Rentner verhaftet, der jahrelang seine Nichten missbrauchte. Vor allem die Mutter von Ulvi K. interessiert sich noch ernsthaft für Peggys Schicksal. „Ich habe selbst zwei Mädchen verloren und finde erst dann Ruhe, wenn ich weiß, was mit ihr passiert ist“, sagt sie.
 
Die Dokumentation „Mord ohne Leiche – Neue Spuren im Fall Peggy“ läuft heute um 23 Uhr in der ARD. 

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