Ingolstadt

Exotin in Berlin

Die Ingolstädter Linken-Abgeordnete Eva Bulling-Schröter ist als gelernte Schlosserin eine Ausnahme im Bundestag

29.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:21 Uhr

Das verlernt man nicht: Die Bundestagsabgeordnete Bulling-Schröter (Linke) schraubt an ihrem alten Arbeitsplatz bei Rieter in Ingolstadt an einer Spinnmaschine. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Bundestagsabgeordnete sind es nicht unbedingt gewöhnt, dass ein Pförtner sie zurückpfeift. Entsprechend unwillig reagiert Eva Bulling-Schröter. „Ich habe hier jahrelang gearbeitet, ich war Betriebsrätin“, murrt sie, bleibt aber stehen und lässt sich am Firmeneingang abholen. Auch um das Besucherschildchen kommt die Linken-Politikerin diesmal nicht herum, denn der Pförtner ist neu. Bulling-Schröter hasst solche Umständlichkeiten. Schließlich ist sie gerade unterwegs zu einer Werkshalle bei Rieter in Ingolstadt. Hier hat sie Jahre ihres Lebens verbracht.

Wegen dieses Arbeitsplatzes hat die „Bild“-Zeitung unlängst ein Foto von ihr gebracht. Denn Bulling-Schröter ist gelernte Schlosserin und gehört damit zu einer Minderheit im Bundestag. Nur noch eine Handvoll Abgeordnete – so wenige wie nie – repräsentiert die Arbeiterschicht in Deutschland, zu der immerhin jeder fünfte Beschäftigte gehört. Neben all den Beamten und Juristen wirkt die Ingolstädterin fast exotisch. Dabei sitzt sie schon seit den 90er Jahren im Bundestag, hat mehr Erfahrung als viele Kollegen.

Vor ihrer Berliner Zeit arbeitete die Linke insgesamt 14 Jahre bei Rieter in Ingolstadt – so wie schon ihr Vater und ihr Großvater. Sie montierte Triebwerke für Spinnmaschinen, die Rieter in alle Welt exportiert. Bulling-Schröter ist stolz auf ihren Beruf. Ihre Ausbildung machte sie bei Audi. „Ich war die erste Betriebsschlosserin bei Audi.“ Es sei toll gewesen, Schmieden und Schweißen zu lernen und es den Männern zu zeigen. „Zur besten Zeit bei Rieter war ich allein mit 80 Männern.“ Es dauerte allerdings, bis sie für gleiche Arbeit auch gleichen Lohn bekam. Bulling-Schröter lernte kämpfen.

„Ich werde immer etwas wehmütig, wenn ich hier bin“, sagt sie in Halle 13. Jetzt ist sie ganz der Kumpel Eva. Grüßt nach links und rechts, plaudert mit ehemaligen Kollegen, natürlich duzt man sich. Die Linke ist eine von ihnen, obwohl sie schon lange aus dem Betrieb raus ist, und obwohl nicht jeder etwas mit ihrer Partei anfangen kann. „Sie kümmert sich um die Sorgen und Nöte der Arbeiter“, lobt einer. Letztes Jahr fuhren die Kollegen zum Besuch nach Berlin. Bulling-Schröter passt auf, dass der Kontakt nicht abbricht. Sie kommt zu fast jeder Weihnachtsfeier. „Ich weiß, was meine Kollegen interessiert und betrifft“, sagt sie. Das hilft, im Berliner Politzirkus nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Bulling-Schröter ist es gewöhnt, dass die Leute bei Anhörungen im Bundestag erstaunt schauen, wenn einmal nicht ein Professor, sondern eine Schlosserin das Wort ergreift. Manchmal nützt ihr der alte Beruf auch. Bei der Altautoverordnung etwa, als es ums Recycling ging. „Da wusste ich genau Bescheid.“ Als Bulling-Schröter 2002 – nach zwei Legislaturperioden – aus dem Bundestag flog, montierte sie bis zur nächsten Wahl wieder Spinnmaschinen – so viel Bodenständigkeit imponiert. „Was hätte ich auch machen sollen? Mit 46 kann man ja nicht in Rente gehen.“ Gut bezahlte Pöstchen in der Wirtschaft werden Linken-Politikern selten angeboten.

Im Ingolstädter Stadtteil Oberhaunstadt trifft man Bulling-Schröter oft mit ihrem Hund beim Gassigehen. Seit ihr Mann vor zwei Jahren gestorben ist, muss sie sich allein um Chico kümmern. Während der Sitzungswochen in Berlin kommt Chico bei einem Nachbarn, dem „Hundeonkel“, unter. Natürlich hat sie die Initiative gegen das Hundeverbot im Bundestag unterstützt, durchgesetzt haben sich die Tierfreunde nicht. Umweltthemen, vor allem die Klimarettung sind das Spezialgebiet der Linken. Ob sich das Klima noch retten lässt? Sie ist da skeptisch. Klar, dass sie selbst mit dem Zug nach Berlin pendelt. Auch bei der Klimakonferenz in Warschau war sie dabei. Mit ihren Umweltthemen wäre sie eigentlich auch bei den Grünen gut aufgehoben. „Ich will aber keinen grün-lackierten Kapitalismus“, stellt sie klar.

Außer Bulling-Schröter haben es diesmal nur drei Genossen aus Bayern nach Berlin geschafft. Bulling-Schröter ist neben dem CSU-Mann Reinhard Brandl in dieser Legislaturperiode auch die einzige Abgeordnete, die Ingolstadt in Berlin vertritt. Viel Kontakt haben die beiden allerdings nicht. Beide saßen bislang in verschiedenen Ausschüssen, Brandl im Verteidigungsausschuss, Bulling-Schröter im Umweltausschuss, zuletzt als Vorsitzende. „Entspannt“ nennt Brandl ihr Verhältnis.

Bulling-Schröter hat nie etwas anderes als Opposition erlebt. Die Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung hat sie dennoch nicht aufgegeben. Schließlich habe sich seit den 90er Jahren viel verändert. „Damals hat man uns im Bundestag nicht einmal gegrüßt.“ Und heute? Da regiert die Linke auf Landesebene längst mit und ist gerade drittstärkste Kraft im Bundestag geworden. Sogar die Bundes-SPD kann sich jetzt ein rot-rotes Bündnis vorstellen – wenn auch nicht sofort.

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