Ingolstadt

Und immer wieder – dieselben Lieder

Sie singen für ein paar Euro: Bettlerinnen in der Innenstadt erregen Mitleid und Frust

29.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:08 Uhr

Betteln bei eisiger Kälte: An mehreren Stellen der Fußgängerzone, wie hier am Schliffelmarkt, sitzen seit einigen Tagen Frauen aus Rumänien. Auffällig ist ihr klagender Gesang - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Vielen Passanten sind sie in den vergangenen Tagen aufgefallen: Aus Rumänien stammende Bettlerinnen, die an verschiedenen Ecken der Fußgängerzone auf dem Boden sitzen und dabei klagende Lieder singen.

Sie sitzen fast tagtäglich bei eisiger Kälte vor Geschäften in der Fußgängerzone und singen dabei elegische Lieder aus einem fernen Land. Bekleidet sind die Frauen oft nur mit dem Nötigsten: eine Trainingsjacke, Turnschuhe, ein Tuch über den Haaren. Manchmal tragen sie nicht einmal Handschuhe, um sich vor den niedrigen Temperaturen zu schützen. Vor ihnen steht ein Pappbecher mit ein paar Münzen darin. Zusammengebetteltes Geld, das ihnen zugesteckt wird.

Menschen, die nur kurz durch die Fußgängerzone gehen, haben kein Problem mit den Frauen aus Osteuropa, deren Lieder oft schon von Weitem zu hören sind. Andere hingegen, die in der Innenstadt arbeiten oder dort ein Geschäft betreiben, sehen das differenzierter. Sie empfinden das meist stundenlange Singen und die immer gleichen Melodien oft als störend. Auch wenn sie Mitleid mit den Bettlerinnen haben.

„Manchmal höre ich Kommentare von Leuten, die fragen, warum die jetzt singen“, sagt ein junger Mann, der am Dienstagvormittag in einem kleinen Geschäft an der Ludwigstraße die Stellung hält. „Wenn sie direkt vorm Laden sitzen und man unterhält sich mit Kunden, ist es schon störend“, räumt er ein. Die Lieder findet er nicht so gut – „weil man die Texte nicht versteht.“

In einem Schmuckgeschäft sieht man es ähnlich: „Schön ist was anderes“, sagt eine der Frauen, die dort arbeiten. Wie sie das aushalten würden, fragen Kunden oft besorgt nach. Die Damen sind aber leidensfähig. „Sie könnten auch mal weiterziehen, an einen anderen Platz“, findet die Filialleiterin. Denn den ganzen Tag immer die gleichen Lieder zu hören, das sei zu viel. „Auch wenn uns die Leute leid tun.“ Manchmal bringen sie Bettlern heißen Kaffee oder Tee hinaus, erzählen sie. „Einige sind dankbar darum, andere lehnen ab und wollen Geld sehen“, sagt eine Angestellte. „Eine Kapelle muss nach einer Stunde weitergehen. Warum die Frauen nicht“ Außerdem fänden sie es schlimm, wenn die Leute auf diese Art zum Geldeintreiben missbraucht werden. „Da ist die Stadt mehr gefordert.“

Die Bettlerinnen selbst reagieren zurückhaltend, aber freundlich, wenn sie angesprochen werden. Sie verstehe wenig Deutsch, ist einer von ihnen zu entlocken. Sie stamme aus Rumänien und singe Volkslieder. Die singenden Frauen seien miteinander verwandt, eine Familie also, erzählt sie weiter. Dann reckt sie vier Finger in die Höhe. So viele Babys haben sie in der Heimat zurückgelassen, um hier mit Betteln ein wenig Geld zu verdienen. Geld, das sie selbst behalten, wie sie versichert.

Und genau daran zweifeln etliche Passanten. „Mich stört das nicht, aber man macht sich Gedanken“, sagt eine Frau, die vorbeigeht. Geld gebe sie prinzipiell nicht. „Weil die Leute nichts davon haben, wenn sie es abliefern müssen.“ Ein Kunde vor einer Metzgerei wird konkreter: „Das sind arme Leute, die abkassiert werden.“ Er habe schon einmal einen Mann beobachtet, der die Frauen besucht. Vermutlich wollte er wissen, ob sie schon Geld bekommen haben. Genaueres habe er aber nicht gesehen.

Die zweite singende Bettlerin an diesem Vormittag bestätigt auf Nachfrage allerdings die Geschichte der ersten: sie seien Schwestern aus Rumänien, hätten dort Kinder und dürfen das Geld behalten, das sie zugesteckt bekommen. Dabei wirkt sie gelöst und offen, so als müsse sie sich tatsächlich vor keinem Gruppenführer im Hinterhalt fürchten.

„Grundsätzlich ist passives, also stilles Betteln, grundrechtlich geschützt. Es handelt sich um einen sogenannten kommunikativen Gemeindebrauch. Das heißt, die Stadt kann das nicht verbieten“, erklärt der städtische Pressesprecher Michael Klarner. Bei singenden Bettlern gelte allerdings das, was für musikalischen Darbietungen im öffentlichen Raum generell gilt: „Es handelt sich um eine Sondernutzung, die beantragt werden muss. Gegebenenfalls mit entsprechenden Auflagen, den Standort regelmäßig zu wechseln. Wer keine Genehmigung hat, wird freundlich darauf hingewiesen, das Singen einzustellen und sich eine Genehmigung zu besorgen“, so Klarner weiter. In dem angesprochenen Fall gebe es vereinzelte Hinweise, denen die Stadt nachgeht und, wie geschildert, verfährt.

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