Ingolstadt

"Wie bei den sieben Zwergen"

Zum Auftakt der neuen DK-Serie sinniert der Designer Günter Beltzig über den perfekten Spielplatz

08.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:43 Uhr

Der Experte beim Praxis-Test: Günter Beltzig ist ein renommierter Spielplatzdesigner. Die Spielgeräte des 72-Jährigen stehen sogar in Dänemark oder New York. Seiner Meinung nach kann man bei der Gestaltung viele Fehler machen - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Rutschen, Kletterwände oder doch lieber ein großer Sandkasten? Jeder Spielplatz hat eine andere Ausstattung, so auch in Ingolstadt. 134 Spielanlagen gibt es laut Gartenamt in der Stadt. Günter Beltzig ist Experte auf dem Gebiet: Der 72-Jährige ist ein renommierter Spielplatzdesigner aus Hohenwart, dessen Geräte sogar in Dänemark und New York stehen. Zum Auftakt der neuen DK-Spielplatzserie erklärt er, wo er als Kind gespielt hat und überlegt, warum es keinen perfekten Spielplatz gibt.

Herr Beltzig wo haben Sie denn als Kind gespielt?

Günter Beltzig: Ich bin 41er Jahrgang, also im Krieg hab’ ich die Bomber und die Flaks noch miterlebt. Ich bin in Wuppertal aufgewachsen, die Stadt ist sehr dem Erdboden gleichgemacht worden und war eine ideale Trümmerlandschaft zum Spielen. Die tollsten Abenteuer waren es, etwas zu entdecken. Ich hatte drei Brüder und meinen Freundeskreis, wir waren eine große Bande, die eben zusammen gespielt hat. Mein Vater musste viel arbeiten, meine Mutter hatte den Haushalt mit vier Kindern. Wir waren also sehr uns selber überlassen.

Da gab es dann noch keine Spielplätze?

Beltzig: Nein, die ersten Spielplätze kamen später auf, das muss so 1954 gewesen sein. Da gab’s eine lange Rutsche, da zog unsere Bande mal hin, wir rutschten dreimal und dann zogen wir zurück in unsere Trümmer, wo wir uns Hütten gebaut haben und Höhlen und Verstecke – alles das, was heute den Kindern fehlt.

Wie sind Sie dann dazu gekommen, Spielplätze zu designen?

Beltzig: Ich bin Industriedesigner und habe nach meiner Ausbildung meine erste Stelle bei Siemens in München gehabt. Wir haben den alten Kühlschrank, den alten Herd so hergerichtet, dass sie im nächsten Jahr wieder als neues Produkt verkauft werden konnten. Da dachte ich, wir sind doch Betrüger. Dann haben meine Frau und ich unseren Sohn bekommen und uns selbstständig gemacht. Das war diese 68er-Zeit, wo man glaubte, die Welt verbessern zu können. Und wo fängt man an? Bei den Kindern. Ich hab’ die Welt nicht verbessert. Aber ich habe doch gute Spielplätze gemacht – ein Bedarf besteht daran, zu überlegen, wie man mit Kindern umgeht, denn sie sind unsere Zukunft.

Was war Ihr erstes Spielgerät?

Beltzig: Das war eine kleine Rutsche, wo die Treppenstufen eingeformt waren – das war die erste Kunststoffrutsche, die aus einem Stück war. Damit hatte ich auch einigen Erfolg auf Messen und Ausstellungen. 1973 war aber die erste Ölkrise, die ließ Kunststoff als ein böses Material erscheinen, und damit waren diese Kunststoffdinge nicht mehr verkaufbar. So hab’ ich mich vom Material befreit und wirklich nur noch die Bedürfnisse der Kinder gesehen.

Wie wird denn ein Spielplatz gestaltet?

Beltzig: Es ist so, dass fast alle Spielplätze von Landschaftsarchitekten gemacht werden. Der Spielplatz ist aber ein sozialer Funktionsraum und das kommt in der Ausbildung des Gestalters nur am Rande vor. Man arbeitet wissenschaftlich mit Statistiken, die die Atmosphäre eines Spielplatzes nicht erfassen können. Ich bin lieber der Fachberater, denn die Bedürfnisse der Kinder sind nicht erforschbar. Es gibt weltweit keinen Lehrstuhl für Spielplatzgestaltung. Ich mach’ das seit 40 Jahren. Die Kinder jetzt verhalten sich ganz anders als vor 20 Jahren. Da muss ich schauen: Was tun sie oder wieso tun sie das?

Scheinbar gibt es also keinen perfekten Spielplatz. Aber was kann man richtig machen?

Beltzig: Stimmt. Man muss überlegen: Kinder können überall, jederzeit, mit allem spielen. Uns stört aber, dass sie unter dem Tisch rumkriechen. Wir haben den Spielplatz entwickelt, um die Kinder wegzuschieben. So, was zeichnet also einen guten Spielplatz aus? Ein Spielplatz soll zum Verweilen einladen. Spielplätze sind oft nur Abreagierungsräume. Das Nächste ist: Entdeckungsmöglichkeiten. Wo ist das Abenteuer? Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen. Wenn ich von vornherein schon seh’: „Ah, das, das und das und dann lauf ich alle Geräte ab und was dann“ Auf einmal haben die Kinder sich selber eine kleine Spielecke hinter einem Busch gebaut. Solche Möglichkeiten sollten wir zulassen. Büsche, Pflanzen, Hügel, wo sie sich dahinter verstecken können.

Was ist mit der Sicherheit?

Beltzig: Die Norm besagte früher, dass wir einen sicheren Spielplatz haben müssen. Wir haben aber gemerkt, dass wir das Kind zu einem eigenen Sicherheitsgefühl bringen müssen. Das heißt, ich muss fallen, um zu lernen, nicht zu fallen. Deshalb sagt man jetzt, ein Spielplatz muss ein Risiko zulassen. Dann haben wir noch den Sichtschutz. Der ist ein ganz großes Problem und daran erkranken alle Spielplätze. Die Leute sind der Meinung, auf einem Spielplatz muss man von vorne bis hinten alles sehen können, sonst könnte was passieren. Vollkommen idiotisch. Wenn ich verträumt in meiner Spielwelt als Prinzessin oder Harry Potter spiele und dann jemand vorbeikommt, dann werd’ ich in meiner Spielwelt gestört. Deswegen sollten die Spielbereiche abgeschirmt sein.

Welche Fehler kann man noch machen?

Beltzig: Ein schlechter Spielplatz ist ein Dressurparcours, also Spielgeräte, die man abrennt. Dann eben zu wenig Platz, zu eintönig, zu wenig stabil. Auf der anderen Seite: zu sicher, zu reglementiert. Es gibt sogar Gefahren durch Sicherungsmaßnahmen. Wenn eine niedrige Plattform ein Geländer hat, dann fängt das Kind an, auf dem Geländer rumzuspielen und fällt viel höher, als wenn da nur die Plattform wäre. Ganz schlecht: ein zentralistisches Monogebilde nur für bestimmte Gruppen. Es kommen immer wieder unterschiedliche Gruppen auf einen Spielplatz, die nicht kommunizieren wollen, zum Beispiel eine maulige Mutter und eine redselige Mutter. Es muss einfach Möglichkeiten geben, die eine sitzt da, die andere sitzt da.

Was ist wichtiger, ein Spielgerät oder ein Sandkasten?

Beltzig: Weder noch. Die Spielgeräte sind entstanden zur Körperertüchtigung. Der Sandkasten entstand aus der Überlegung heraus, dass Kinder einfach mal machen sollen. Der Sandkasten ist also besser, aber nur für kleinere Kinder. Man könnte eine große Sandmulde nehmen, Findlinge reinstellen, dann spielen da auch die Älteren. Das Beste ist sowieso, wenn es dann noch Wasser zum Matschen gibt.

Darf man auch als Erwachsener noch spielen?

Beltzig: Ich rede immer von Spielplätzen, nicht von Kinderspielplätzen. Ein Spielgerät muss so stabil sein, dass es Erwachsene aushält. Denn ein übergewichtiger Zwölfjähriger ist noch voll Kind und darf auf den Spielplatz. Und ein Spielgerät, das sehr stabil und sicher gebaut ist, wird es sicher doppelt so lang aushalten wie ein dünnes Spielgerät. Das ist im Grunde viel preiswerter.

Das Gespräch führte Tanja Stephan.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/wie-bei-den-sieben-zwergen-4276657
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