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"Schreiben, sonst nichts"

Benedict Wells' Meisterwerk "Vom Ende der Einsamkeit" ist unser neuer Fortsetzungsroman

28.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:34 Uhr

Berlin (DK) Das Telefon klingelt. "Hallo, sind Sie Benedict Wells" "Ja." Pause. "Ich möchte Ihr Buch machen." So erinnert sich Benedict Wells an das Telefonat mit dem Schweizer Verleger und Leiter des Diogenes-Verlags Daniel Keel (1930-2011). Ein Telefonat, das sein Leben verändern soll. Denn Benedict Wells debütiert mit "Becks letzter Sommer" im Alter von 24 Jahren als jüngster Autor beim renommierten Diogenes-Verlag. "Die Zeit" nennt den Roman "das interessanteste Debüt des Jahres". Dabei ist das eigenwillige Roadmovie, das 2015 mit Christian Ulmen in der Titelrolle verfilmt wird ("beim Schreiben hatte ich ihn im Kopf"), eigentlich Wells' zweiter Roman.

Den ersten, "Spinner", schrieb er mit gerade mal 19 Jahren. "Ich wollte etwas schreiben, wovon sich Leute mit 18, 19, 20 Jahren berührt und verstanden fühlten", sagt er 2009 im Interview mit unserer Zeitung. Und so schrieb er über Jesper, der nach der Schule nach Berlin zieht und in einem Kellerloch an einem Roman arbeitet. Auch Benedict Wells, 1984 in München geboren, zieht es nach der Schulzeit 2003 nach Berlin.

Schon früh - nach der Lektüre von John Irvings Roman "Hotel New Hampshire" - ist für Benedict Wells klar, was er machen möchte: "Ich wollte kein falsches Leben führen, ich wollte schreiben, sonst nichts", sagt er. Da ist er 16. Und arbeitet fortan hart an diesem Ziel. Jobbt tagsüber, schreibt nachts. Er ist nicht der einzige Autor in der Familie. Sein Cousin ist der Strafverteidiger, Schriftsteller und Dramatiker Ferdinand von Schirach ("Verbrechen", "Schuld", "Terror"). Sein Vater der Sinologe und Autor Richard von Schirach, jüngstes Kind Baldur von Schirachs, des einstigen Reichsjugendführers der NSDAP. In seiner Autobiografie "Der Schatten meines Vaters" setzt er sich mit dieser Familiengeschichte auseinander. Anders als sie lässt Benedict seinen Namen ändern, als er volljährig ist - um sich von der Vergangenheit seiner Familie in jeder Form zu distanzieren. Der Name Wells ist eine Hommage an eine Romanfigur seines Lieblingsautors Irving.

Mittlerweile gibt er kaum noch Interviews. "Ich stehe einfach nicht so gern in der Öffentlichkeit. Und vor allem möchte ich die Bücher nicht über mein Privatleben verkaufen, die Geschichten sollen für sich selbst sprechen", sagt er in einem Gespräch mit Diogenes-Lektorin Ursula Baumhauer.

Nach "Becks letzter Sommer" (2008) und "Spinner" (2009) erscheint 2011 der Roman "Fast genial", in dem Benedict Wells die wahre Geschichte des exzentrischen US-Multimillionärs Robert K. Graham aufgreift, der in den 80er-Jahren eine Art "Samenbank der Genies" gründete, mit dem Ziel, eine neue Elite zu züchten. Ein Journalist spürt später einige dieser mehr als 200 Kinder auf, um zu sehen, was aus ihnen geworden ist. Dieses Szenario bildet auch den Ausgangspunkt für Wells' literarisches Roadmovie, das ihn selbst auf seiner Recherchetour auf den Spuren seines (fiktiven) Protagonisten Francis Dean quer durch Amerika führt.

Nach einigen Jahren in Barcelona lebt Benedict Wells, der als Sohn einer Luzernerin übrigens auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, nun wieder in Berlin. Und hat mit "Vom Ende der Einsamkeit" nach sieben Jahren seinen vierten Roman veröffentlicht.

Ein literarisches Meisterwerk, das durch seine Reife und Lebensklugheit beeindruckt (der Autor ist gerade mal Anfang 30), zutiefst berührt - und überall gefeiert wird. Wir veröffentlichen "Vom Ende der Einsamkeit" als neuen Fortsetzungsroman. Der Roman erzählt über eine Spanne von drei Jahrzehnten von den drei Geschwistern Jules, Marty und Liz, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen. 11, 13 und 14 Jahre sind sie, als sie ins Internat kommen. Dort driften sie auseinander. Jules wird zum Sonderling, Marty zum Streber, Liz kämpft mit Alkohol und falschen Freunden. Sie werden sich fremd - bis sie die Vergangenheit plötzlich wieder einholt.

Einsamkeit und Verlust sind Benedict Wells' Themen. Der Autor hat selbst seine gesamte Schulzeit in Heimen bzw. Internaten verbracht. "Als ich ein Kind war, wurde ein Elternteil krank, der andere arbeitete selbstständig, es gab finanzielle Probleme, da lag ein Heim einfach nahe", sagt er in dem Diogenes-Gepräch. "In guten Momenten war das Internat dann wie Hogwarts, nur ohne Zauberei." Das nächste Buch - verrät er bei einer Lesung in Berlin - soll übrigens ein Jugendbuch werden: "Ich muss jetzt etwas ganz anderes schreiben."

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit, Diogenes, 368 Seiten, 22 Euro.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/schreiben-sonst-nichts-3504951
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