Hamburg

Ausgebrannte Autos, zerstörte Haltestellen und abgesagte Gartenfeste

In Hamburg ist das gesellschaftliche Leben zum Erliegen gekommen, doch die stolze Stadt lässt sich nicht so leicht in die Knie zwingen

07.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

Hamburg (DK) "Vor meiner Tür sind Autos explodiert, ich traue mich nicht raus", sagt Bettina, sie wohnt in Altona, wo gerade die Polizeidienststelle angegriffen wurde, noch in der Nacht, und sie hat "Angst". Das altehrwürdige Altonaer Rathaus hat keine Fenster mehr, unzählige unserer schönen, gläsernen, sauteuren Bushaltestellen, vom Architektur-Star Norman Foster entworfen, nachdem er mit dem Reichstag fertig war - ein Scherbenmeer.

Die Brandschatzung, eine Kette von verbogenen Metallwracks, die einmal Minis, 5er, Q7 waren, reicht bis zur feinen Elbchaussee: "Mehrere Kleingruppen sind durch Altona gezogen und haben mit Brandsätzen Pkw in Brand gesetzt. An der Max-Brauer-Alle wurden sechs Autos, an der Elbchaussee sechs bis acht Wagen Opfer der Flammen. So haben wir das in Hamburg noch nicht erlebt", sagt Feuerwehrsprecher Jan-Ole Unter. Mindestens ein Gebäude wurde durch die Flammen beschädigt.

"Es riecht nach brennenden Reifen" twittert Mark, ein Facebook-Freund, "die Kinder zählen die Hubschrauber" - und wo sind heute Morgen überhaupt die Kinder? Vincent und ich sind fast allein im Bus, reibungslos und pünktlich, generalstabsmässig geplant unter höchster Sicherheitsstufe mit alternativen Anfahrtsrouten, klar. Da schreibt sein Vater schon: "Jetzt geht es am Michel los." Da ist es 8.08 Uhr. Im Bus, in der Bahn, niemand spricht, die Stille ist ohrenbetäubend. Die Straßen sind leer, es gibt Parkplätze wie Sand am Meer. Offensichtlich haben doch einige die Stadt verlassen.

Uta, Managerin eines Modefotografen, die auch auf St. Pauli wohnt, hat ihre Sechsjährige, Jossy, gefragt: "Was ist ein G 20" Darauf meinte die Tochter: "Ein Finale" Wegen der vielen Polizisten. Die Hamburger Kinder haben Angst vor den Schwerbewaffneten in schwarzer Kampfmontur, sie haben Angst vor den Rauchschwaden, dem Lärm und den Vermummten. Und nach 48 Stunden Tatütata liegen auch meine Nerven ziemlich blank. Robin, mein maoistischer Gitarrist, demonstriert - "im Hintergrund, ich gehöre keiner Organisation an. . ." Dennoch mache ich mir Sorgen. Der Manager von nebenan sagt, seit Donnerstag, 15 Uhr, gehe "auf den Strassen nichts mehr", er hätte alles versucht, "Mittelweg dicht, Rotherbaum auch". Dort befindet sich das hohe Tennisstadion des "Club an der Alster". Trumps Residenz liegt jenseits der Alster, genau gegenüber des Konsulats, na das kann ja noch heiter werden.

An die seit Stunden wartenden Autofahrer in Winterhude verteilt die Pizzeria "La Brusciatta" Pizza-Slizes auf der Straße. Es ist einigen Demonstranten doch gelungen, die Protokollrouten zu blockieren, es werden Sitzblockaden aufgelöst, die Polizisten tragen die Demonstranten weg wie weiland Heinrich Böll. Es gibt Festnahmen.

Was das alles bedeutet? Hamburgs gesellschaftliches Leben ist zum Erliegen gekommen. Von abgesagten Dinner-Parties und Gartenfesten ganz zu schweigen - es geht um den Besuch der Kita, den der Mutter im Heim jenseits der Alster. Kein Kino, kein Shopping, kein Pizzaservice, kein UPS, keine Post. Gar nichts.

"Jetzt sind sie endlich mal Weltstadt", sagt Jan, Vincents weitgereister Vater, "und jetzt passt's auch wieder nicht". Hamburg, die stolze Stadt, sie lässt sich nicht so leicht in die Knie zwingen. Nicht von der Gewalt. Nicht von Chaoten.

 

 

ZUR PERSON:

Der freie Autor und Journalist Harald Nicolas Stazol, ein gebürtiger Ingolstädter, lebt seit 30 Jahren in Hamburg. Für unsere Zeitung verfasst er Notizen rund um den G 20-Gipfel. Seine Wohnung liegt in unmittelbarer Nähe der Bannmeile.

Foto: Claudia Tamm

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